Wenn Sie ein regelmäßiger Leser von Motor1.com sind, kennen Sie bestimmt unsere Rubrik "Vergessene Studien". Dabei handelt es sich meist um extravagante Stilübungen, die es nur selten in die Serie schafften. Unsere Kollegen aus Brasilien haben jedoch ein Projekt aufgespürt, das nicht einmal VW-Nerds kennen: den VW BY.

Erst über 30 Jahre später beschloss VW do Brasil das kleine Auto zu zeigen. Es ist einer der Stars der VW-Garage, einer Kollektion, die die Marke in einem Schuppen der Fabrik in Anchieta, São Bernardo do Campo (SP), vorbereitet hat. 

VW BY

Es gibt dort Brasilien-Klassiker aus den 1980er- und 1990er-Jahren, wie den Voyage, den "eckigen" Parati, den Passat GTS, den Santana EX und sogar einige Autolatina-Früchte (Joint-Venture mit Ford aus Brasilien zu dieser Zeit), wie Apollo (ein Ford Orion mit VW-Logo) und Pointer. Einige ältere Modelle, wie TL, Brasilia, Variant, SP1 und sogar eine Cabrio-Version des Fusca (der Käfer in Brasilien) sind ebenfalls vertreten.

Doch zurück zum Volkswagen BY. Anfang der 1980er-Jahre dachte man bei VW über ein neues Weltauto nach, insbesondere für Schwellenländer. Hintergrund war, dass die Produktion des altgedienten Käfer 1985 in Brasilien und Mexiko auslaufen sollte. Tatsächlich wurden 1985 die letzten Mexiko-Käfer offiziell nach Deutschland importiert. 1986 endete die brasilianische Käfer-Produktion nach 3,3 Millionen Einheiten, nur um zwischen 1993 und 1996 wieder aufgenommen zu werden. In Mexiko lief der Käfer sogar noch bis 2003 vom Band. 

Aber ursprünglich gilt der Käfer in Wolfsburg als praktisch tot, es muss etwas Neues her. Gewiss, in Europa hat man den erfolgreichen VW Polo. 1982 debütiert die Studie VW Student, ein 3,13 Meter kurzes Fahrzeug unterhalb des Polo. Den Student will VW der DDR zur dortigen Produktion anbieten, übrig bleibt aber nur die Motoren-Lizenz für Trabant und Wartburg.

VW BY Prototyp für Südamerika aus den 1980er-Jahren

Ganz so klein soll der Käfer-Ersatz für Brasilien nicht werden, sondern ein ähnliches Raumangebot bieten. Zugleich muss der Preis niedrig bleiben. Der BY-Vorschlag sollte das neue Einstiegsauto für die Marke im Land werden. Vom 1981 eingeführten Gol übernahm der BY die gesamte Frontpartie bis zur B-Säule vom VW-Verkaufschampion.

Diese Lösung wirkt etwas "nasenbärig", der recht üppige vordere Überhang ist dem Längsmotor geschuldet. Genauer gesagt: Der Verwendung des AP-1.600-Motors aus der BX-Familie (Gol, Voyage, Parati und Saveiro CS). Formal erinnert der VW BY beim Lenkrad und der Heckpartie an den Fiat Uno, der später in Brasilien zum Bestseller wurde.

Die Rückleuchten scheinen vom Seat Malaga zu stammen, das simple Armaturenbrett vermischt Elemente von Student und Polo. Apropos: Die Frontmaske weckt Assoziationen zum Facelift des Polo II von 1990.

VW BY
VW BY

Mit einigen Merkmalen war das BY-Projekt seiner Zeit voraus. Die Windschutzscheibe war mit der Karosserie verklebt, Lösungen, die später in der Branche üblich wurden. Wegen des kurzen hinteren Überhangs wurde der Kofferraum im Verhältnis zum Gol geopfert.

Aber VW entwickelte dann zwei Lösungen, um den Kofferraum zu erhalten: eine verschiebbare Rückbank und die hintere Aufhängung des in die USA exportierten Voyage (dort Fox genannt), die andere Verankerungspunkte als der Gol hatte, um nicht in den Laderaum einzudringen. 

Diese Punkte machten das Projekt jedoch zu teuer in der Herstellung, hinzu kam das unproportionale Design. 1987 wurde das Projekt eingestellt, erst 1992 kam in Brasilien der VW Gol 1000 als Antwort auf den Fiat Uno Mille auf den Markt. Und wie schon erwähnt, 1993 das Comeback des Käfer.

Auch in Europa tat sich VW mit Einstiegsmodellen schwer: Erst der Student, 1991 stand die Studie Chico auf der IAA. 1998 kam der recht aufwendige VW Lupo, ihm folgte 2005 der berüchtigte VW Fox (aus Brasilien!) nach. 2011 erschien schließlich der erfolgreiche VW Up, den es jedoch in Brasilien nie gab.

Fotos: Autor und Vertrieb      

Bildergalerie: VW BY Prototyp für Südamerika aus den 1980er-Jahren