In der Entwicklungsphase ging es viel darum, wie die neue Chevrolet Corvette Z06 gegenüber ähnlich proportionierten Ferraris aussehen würde. Und je mehr wir im Laufe der Zeit über das Auto erfuhren, desto schwieriger wurde es, die Ähnlichkeiten zu ignorieren. Offensichtlich würde man aus der Z06 ein Mittelmotor-Auto machen. Aber dann kamen Gerüchte bezüglich eines Flat-Plane-V8 auf. 

Zusätzlich angeheizt wurde die Corvette-versus-Ferrari-Fehde durch ein frühes Erlkönigvideo, dass Prototypen der Vette bei Tests mit einem Ferrari 458 zeigt. Und Gerüchten zufolge wurden sogar Chevy-Händler im Umgarnen von Ferrari-Kunden trainiert.

Ich glaube zwar nach wie vor nicht, dass Ferrari-Besitzer ihren lokalen Chevy-Händlern die Tür einrennen werden, um endlich der Corvette-Familie beitreten zu dürfen. Aber sie sollten das Auto tatsächlich erst mal fahren und es nicht nur nach seinen vermeintlich primitiven amerikanischen Grundzutaten beurteilen. 

Die Z06 ist nicht weniger aufregend und dynamisch als das meiste, was derzeit die Werkstore von Maranello verlässt. Der Flat-Plane-Motor und die schwindelerregende Drehzahlgrenze sind mehr als vertraut und könnten durchaus den ein oder anderen Interessenten zum Grübeln bringen, der zuletzt mit Argwohn auf Ferraris Turbogelade und Hybridisierung geblickt hat. 

Sauger-Schwierigkeiten

Die Ferrari-ness des Antriebs ist in der Tat schwer wegzudiskutieren. Achtzylinder mit flacher Kurbelwelle, Doppelkupplung, Hinterradantrieb .. Sie kriegen es. Und ja, ganz genau - Chevys Allianz mit der Aufladung in seiner Flaggschiff-Corvette ist mit der Einführung der fünften Z06-Generation offiziell vorbei.  

Auch wenn es niemand wirklich aussprechen wollte, ließ mich der Eindruck nicht los, dass der Wechsel vom 6,2-Liter-Kompressor-V8 mit seinem eher moderaten roten Bereich (6.500 U/min) hin zu einem Hochdrehzahl-Sauger einer Art Kurskorrektur für das Track-fokussierte Modell gleichkommt. 

Allerdings sagten mir diverse Ingenieure auch, dass die Z06 "keinen Schritt zurück" machen konnte. Gemeint sind die 659 PS des LT4. Das hat den Schritt hin zur natürlichen Beatmung nicht gerade einfacher gemacht. Es hieß also 660 oder stirb. Und das ganze ohne die Hilfe eines Kompressors oder Turbos zu erreichen, war wohl ein ziemlich heikles Unterfangen. 

2023 Chevrolet Corvette Z06

Vermutlich kam es zu einem Geschäft mit dem Teufel, für das Tadge Juechter, der Chefentwickler der Z06, seine Seele in die ewige Verdamnis verscherbelte, aber was soll's - der neue 5,5-Liter-V8 hat 21 PS mehr als der alte, aufgeladene Sechszweier. Allerdings gibt der Teufel nicht nur, er nimmt auch ganz gerne. In diesem Falle nimmt er Drehmoment und zwar reichlich. 

Die 623 Nm des neuen Saugers sind dann doch weit unter den 881 Nm des Vorgängers. Chevy mildert das Drama mit einer Drehmomentkurve, die von 3.600 U/min bis zur himmelhochjauchzenden 8.600er-Drehzahlgrenze nahezu eben verläuft. Obendrein ist der neue Achtzylinder 14 Kilo leichter als der alte und er dreht, wie es nur irgendwie geht. 

Egal, ob auf der Straße oder der Rennstrecke, so richtig vermisst habe ich den Kompressor nicht. Wie bei Ferraris letztem V8-Sauger ist das Drehmoment so breit nutzbar und das Ding dreht so irre motiviert, dass man schon eklatant fahrlässig sein muss, wenn man eine Kurve mit dem Fuß im Bodenblech verlässt. Du bist tatsächlich das schwächste Glied beim Beschleunigen einer Z06.

Naja und auf dem Track ist die neue Maschine wenig überraschend das reinste und absolute Vernügen überhaupt. Klick dich in den Track Mode und die Gasannahme wird noch schärfer. Der Motor fühlt sich jetzt permanent an, als würde er kochen. In diesem Zusammenhang hilft natürlich auch das 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe von Tremec. Es profitiert von einer kürzeren Übersetzung, verstärkten Innereien und einer optimierten Schmierung, um besser mit der Arbeit auf der Strecke fertig zu werden. 

Schon auf der Straße, wenn du nicht im vollen Angriffsmodus unterwegs bist, reagiert die Automatik verblüffend schlau auf die kleinsten deiner Inputs. Hier verspricht aber auch der manuelle Modus mit seinen Carbon-Paddles am Lenkrad eine verdammt gute Zeit. 

Irritierenderweise ist der Selbstschalt-Mode auf der Strecke ziemlich unnötig. Die Ingenieure warnten mich sogar ein wenig davor, nachdem sie andere Journalisten beim viel zu früh hoch- und runterschalten "erlebten". Oder anders ausgedrückt - das Tremec M1M ist schlauer als die meisten von uns und braucht unsere amateurhaften Eingriffe einfach nicht. Klingt absurd, aber es funktioniert wirklich. Ich hatte eigentlich keine Situation, wo ich mir einen Gangwechsel so richtig gewünscht hätte. 

Unabhängig vom Schaltmodus erzeugen die vier zentralen Auspufftröten bei laststarken Gangwechseln einen ordentlichen Schlag. Der Flat-Plane-Soundtrack war ziemlich elementar, als die Ingenieure die Z06-Abgasanlage entwickelten. Gegenüber der Stingray Z51 ist das neue Setup knapp neun Kilo leichter und meine Herren haben die Herrschaften das Teil zum Klingen gebracht. 

 

In der Tat sind die Gemeinsamkeiten zwischen der straßentauglichen Z06 und dem Rennauto C8.R, das die Rennversion des Flat-Plane-LT6-Motors bereits seit drei Saisonen nutzt, erstaunlich. Na klar, das Rennauto ist nochmal ein gutes Stück lauter, aber der Ton ist nahezu identisch. Eher klingt die Serienversion am Ende sogar besser, weil sie höher dreht (der LT6.R darf aus Reglement-Gründen nur um die 7.500 Touren drehen). Die Z06 kann also getrost auf fette visuelle Statements verzichten (was sie auch tut) - jeder der in Hörweite ist, weiß, dass hier etwas Besonderes anrollt. 

2023 Chevrolet Corvette Z06

Alles Sechser und Siebener

Was den Antrieb betrifft sind alle Z06en gleich. Was Fahrwerk, Bremsen und Aero angeht, gibt es aber teils erhebliche Unterschiede. Eine Standard-Z06 beispielsweise kommt mit Michelin Pilot Sport 4S-Pneus auf 20 und 21 Zoll großen Schmiederädern. Magnetische Dämpfer der vierten Generation sind Serie. Genau wie 6-Kolben-Brembo-Stopper mit 370er-Scheiben vorne und 380er-Scheiben hinten. 

Auf der kalten, eher feuchten Strecke fühlte sich diese Z06 gewissermaßen an wie eine Stingray auf Steroiden. Mit seriöserer Körperkontrolle, mehr Grip und bemerkenswerter Bremspower. Die PS4S-Pneus performten absolut bewundernswert in den ausbaufähigen Konditionen, die meinen Testtag prägten. 

Kaum ein Hauch eines Heckrutschers beim Herausbeschleunigen aus der Kurve. Dazu ein sehr gut modulierbares Bremspedal. Leider mangelte es an Runden, um herausfinden zu können, wie es um die Standhaftigkeit der Anker bestellt ist. 

Alles super also bis hierhin und dennoch ist die neue Vette mit dem optionalen Z07-Package auf einem ganz anderen Level. 

2023 Chevrolet Corvette Z06
2023 Chevrolet Corvette Z06
2023 Chevrolet Corvette Z06

Die serienmäßige Corvette Z06.

2023 Chevrolet Corvette Z06

Die Corvette Z06 mit Z07- und Carbon Aero-Paket.

Anstelle der PS4S-Gummis und der Alu-Räder kommen hier Michelin Cup2R auf Carbon-Rädern zum Einsatz. Dahinter verbergen sich größere Brembo-Sättel und 400-mm-Scheiben. Die ungefederten Massen reduzieren sich um 8,5 Kilo pro Rad. Die Größe der Gewichtseinsparung und die Klebrigkeit der Cup2s veranlassten die Ingenieure dazu, die Dämpfer-Software und die Kalibrierung der Lenkung zu ändern. Alleine die Kohlefaser-Räder sorgten laut Z06-Chefingenieur Josh Holder offenbar für eine Verbesserung um 1,5 Sekunden auf GMs rund zwei Minuten langem Milford Road Kurs.  

Jede Z06 ist hinten breiter um die größeren Räder unterzubringen. Außerdem gibt es größere Einlässe, die den LT6 mit Luft versorgen. Gute fünf Zentimeter mehr Hüftweite (pro Seite!) dienen als größtes Unterscheidungsmerkmal zur normalen C8. Maximal auf Downforce eingestellt, erzeugt die Z06 bei 300 km/h 164 Kilo Abtrieb. Mit dem optionalen Carbon-Paket samt größerem Heckflügel verdoppelt sich dieser Wert nahezu.   

2023 Chevrolet Corvette Z06

Bedenkt man all die krassen Optimierungen bei Reifen, Fahrwerk, Lenkung, Bremsen und Aero schafft es sogar ein Holzhacker wie meine Wenigkeit, einen Unterschied zwischen einer Z06 mit und ohne Z07-Pack herauszufahren. Die Limits rücken in allen Bereichen spürbar nach oben. Aber richtig fies oder unerträglich kompromisslos ist das Auto dabei nie.

2023 Chevrolet Corvette Z06
2023 Chevrolet Corvette Z06

Verzichte auf nichts (außer Geld)

Viele Fahrzeuge mit dem Leistungsniveau der Z06 schüren die Erwartung, dass sie im Alltag .. naja ..  nicht ganz so gut funktionieren. In diesem Fall könnte das nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Chevy-Ingenieure haben sich mehr als nur Mühe gegeben, die Vibrationen, die so ein Flat-Plane-Motor mit seinem 180-Grad-Hubversatz nun mal so mit sich bringt, auszubügeln. Und im Tour-Modus fühlt sich das Auto genauso komfortabel an wie eine Stingray.

Das Reifengeräusch ist durch die größeren Gummis natürlich stärker und der Cup 2R lief auf den rumpeligen Straßen um Pittsburgh wirklich jeder Spurrille nach. Natürlich ist auch der Klang des Achtzylinders allgegenwärtig (wenn Sie der Typ sind, der sich über solche Dinge beschwert, wundert es mich allerdings, dass Sie überhaupt bis hierher gelesen haben). Aber wenn ich ehrlich bin, ist die neue Z06 sehr sehr nah dran am Alltagskomfort einer Stingray.  Bei dramatisch besseren Performance-Eigenschaften.

2023 Chevrolet Corvette Z06

Fehlt noch der Preis. Der ist auch bei der Z06 eine der Stärken der C8. Obwohl sie schon ein gutes Stück teurer ist als eine Stingray. Die Preise beginnen bei 106.695 US-Dollar (einschließlich 1.395 Dollar Überführungskosten) für ein Coupé mit Basisausstattung und reichen bis zu fast 137.000 Dollar für ein Volle-Hütte-Cabrio mit Z07-Paket.

Ein Blick auf die Konkurrenz verdeutlich das. In den USA kostet der Porsche 911 GT3 mindestens 172.450 Dollar, der Audi R8 V10 Performance RWD startet bei 160.095 Dollar und der 325.000 Dollar teure Mercedes-AMG GT Black Series spielt preislich sowieso in einer ganz eigenen Liga. Zudem ist eine voll ausgestattete Z06  immer noch nur etwa halb so teuer wie ein gebrauchter 458 (in den USA wohlgemerkt). Ich weiß, was ich kaufen würde.

2023 Chevrolet Corvette Z06

Enzo würde abnicken

Es ist etwa ein Jahrzehnt her, dass ich das letzte Mal einen Ferrari 458 fahren durfte, aber ich erinnere mich noch immer dran, als wäre es gestern gewesen. Ich erinnere mich an den irren Sog des Drehmoments, selbst wenn die Nadel nur in der Mitte des Drehzahlmessers stand, an die Veränderung des Tonfalls, wenn sich die Ventile im Tripple-Auspuff öffneten. Die hanebüchene Unmittelbarkeit in der Lenkung und das völlige Fehlen unnötiger Karosseriebewegungen kommen mir immer noch von Zeit zu Zeit in den Sinn. Dieses Auto zu fahren war eine grundlegende Erfahrung in meiner Karriere als Autoschreiber.

Und obwohl ich in der Zwischenzeit schon leistungsstärkere und schnellere Autos gefahren bin, hat mir persönlich nur die 2023er Z06 diese Kombi aus absoluter Zweckmäßigkeit bei gleichzeitig massivem Fahrgenuss und spielerischer Zugänglichkeit gegeben, die ich an jenem Tag im 458 erleben durfte. Chevy gibt bereitwillig zu, dass man den 458 als Inspirationsquelle verwendet hat. In der Welt der Hochleistungsfahrzeuge ist das bemerkenswert offen. Ich kann dazu nur sagen: "Macht weiter so, Jungs. Ihr habt den besten Ferrari seit Jahren gebaut."

Bildergalerie: Chevrolet Corvette Z06 2023: Erster Test

2023 Chevrolet Corvette 3LZ Z06 Z07 Package

Motor 5,5-Liter-V8
Leistung 680 PS / 623 Nm
Getriebeart 8-Gang-Doppelkupplung
Antrieb Rear-Wheel Drive
Beschleunigung 0-60 mph 2,6 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 304 km/h
Verbrauch TBD
Leergewicht 1.558 Kg
Anzahl der Sitze 2
Kofferraumvolumen 357 Liter
Basispreis $105,300 + $1,395 Destination
Preis der Testversion $120,545
Preis des Testwagens $130,000 (est)