Was ist das?
Das hier ist vermutlich das wichtigste Sportauto des Jahres. Nicht, weil es das stärkste, schnellste, begehrenswerteste Geschoss der Branche ist, sondern schlichtweg, weil es nichts gibt, was sich annähernd so gut verkaufen wird. Sagen Sie Hallo zum Golf 8 GTI.
Haben Sie keine Angst, ich fange jetzt nicht mit Kult, Legende oder ähnlichen Beweihräucherungen an. Aber so einen GTI, den siehst du halt wirklich überall. Vorm Friseursalon, am Schulparkplatz, der Villa in Bestlage, schleifend am Tuningtreff oder mit Käfig und Cup-Pellen auf der Nordschleife.
Das hier ist der Sportler, der mehr als jeder andere für die breite Masse passen muss. Dass du das nicht hinkriegst, wenn du eine extreme, bockharte, giftige Schleuder zusammenentwickelst, dürfte klar sein. Dass er trotzdem auch ambitioniertere Fahrer abholen muss, aber ebenso. Ein saublöder Zielkonflikt ist das.
Zuletzt, also beim Golf 7 GTI und seinen Derivaten, ging das Ergebnis für uns ein bisschen zu stark in Richtung Alltagstauglichkeit und ein bisschen zu wenig in die nachhaltige Entwicklung adäquater Gänsehaut. Schön schnell ist er natürlich, aber ein bisschen zufrieden, gemütlich. Das Tagtägliche kannst du dir ohne ihn gar nicht mehr vorstellen, aber der Sex war schon mal besser.
Der Golf 8 GTI könnte das mit der Libido nun wieder ein bisschen gerade rücken. Zumindest hat man einiges dafür investiert.
Bildergalerie: Volkswagen Golf 8 GTI (2020) im Test
Was hat man getan?
Sehr viel Feinschliff am Fahrwerk. VW weiß schon selbst am besten, dass der GTI nicht zum Mégane R.S. Trophy-R mutieren darf, aber hier und da kann man schon noch gut anspitzen. Der wichtigste Faktor scheint dabei der neue Fahrdynamikmanager zu sein. Dabei handelt es sich um einen übergeordneten Regler, der alle elektromechanischen Fahrwerkskomponenten miteinander vernetzt.
Um es möglichst einfach auszudrücken: Die elektronische Differenzialsperre XDS (arbeitet mit Bremseingriffen an allen vier Rädern) und das optionale Adaptiv-Fahrwerk DCC kommunizieren jetzt mehr und schneller mit Lenkung, ESP und Co. Die Dämpfer etwa passen sich 200-mal pro Sekunde auf Fahrerinput und Fahrbahn an. Und das an jedem Rad individuell. So lassen sich Giermomente erzeugen, mit denen man etwa dafür sorgen kann, dass sich das Auto mit dem Heck besser eindreht.


Was das DCC jetzt auch hat, ist eine sehr spaßige Leiste im Infotainment-Menü, bei der man den Dämpfungsgrad noch über die normalen Einstellungen "Comfort" und "Sport" hinaus klicken kann. Noch mehr Spreizung zwischen gediegen und Kasalla also. Volkswagen verspricht etwa, dass durch die Straffheit auf der sportlichsten Stufe ein Übersteuern begünstigt wird. Das sei dann eher für den Spaß als für die schnellst mögliche Fortbewegung gedacht. Und ja, wir sind auch noch mehr als verdutzt, dass Wolfsburg tatsächlich einen "Spaß-Modus" entwickelt hat.
Die übrigen Fahrwerksoptimierungen lesen sich dagegen relativ klassisch. An der Vorderachse gibt es neue Querlenkerlager, straffere Federraten (plus 5 Prozent) sowie den Hilfsrahmen aus dem großartigen GTI Clubsport S. Er ist aus Alu und spart drei Kilo Gewicht. Damit soll das Auto an Einlenkagilität gewinnen und besser ansprechen.

Hinten gibt es ebenfalls neue Lager und 15 Prozent steifere Federn. Das Ziel war hier nicht, den GTI zur Heckschleuder zu machen, er soll einfach bei niedrigen Geschwindigkeiten schneller ansprechen.
Auch das ESP und die Lenkung wurden neu abgestimmt. Ersteres geht künftig komplett aus, greift dann nur noch ein, wenn man ein Objekt treffen würde. Die Lenkung wurde etwas direkter abgestimmt, ist mit einem Übersetzungsverhältnis von 14,1:1 aber noch immer nicht so spitz wie bei einigen Konkurrenten.
Bei VW nimmt man das ganz bewusst in Kauf. Für die Entwickler steht auch beim 8er GTI die Fahrstabilität bis in die höchsten Geschwindigkeitsbereiche klar im Vordergrund. Wenn darunter Gier und Aggressivität leiden, dann können die Herrschaften sehr gut damit leben.

Und, fährt hier ein komplett anderer GTI?
Nein, ganz sicher nicht. Das hier ähnelt dem Vorgänger schon extrem. Dazu muss aber unbedingt gesagt werden: Der Fahrtermin fand aufgrund der bekannten Einschränkungen in und um Wolfsburg statt. Wer hier selbst auf einer 150 Kilometer langen Route mehr als fünf Kurven findet, der hat meinen allergrößten Respekt.
"Der 8er GTI lenkt direkter und verbindlicher ein als bisher, taucht in schneller gefahrenen Kurven weniger ein."
Entsprechend vorsichtig bin ich mit meiner ersten Einschätzung. Was aber definitiv auffällt: Der 8er GTI lenkt direkter und verbindlicher ein als bisher. Und er taucht in schneller gefahrenen Kurven (ein paar fand ich dann doch) weniger ein, schlurft auf der Vorderachse nicht mehr weg. Das fühlt sich schon ein Stück athletischer, griffiger und fokussierter an.

Am beeindruckendsten ist aber sicher die nahezu unverwüstliche Traktion auch aus ganz engen Ecken heraus. Untersteuern ist quasi nicht existent. Genauso wie Antriebseinflüsse in der Lenkung. Hier funktioniert das Zusammenspiel der genannten Systeme wirklich effektiv. Und die inzwischen serienmäßige Vorderachse-Quersperre (VAQ) arbeitet sehr subtil, aber offenbar höchst wirkungsvoll.
Das Ganze wie gesagt unter einem gewissen Vorbehalt. Wie das Auto in Richtung eines echten Grenzbereichs funktioniert, müssen wir ein andermal klären.
Aber ist das alles denn jetzt aufregender als bisher?
Ich glaube gar nicht, dass es das unbedingt soll. Der GTI hat in den letzten Jahren so unglaublich viel talentierte Konkurrenz bekommen. Hyundai i30N, Renault Mégane R.S., Honda Civic Type R - sie alle fahren sicher deutlich ausdrucksstärker, sind aber auch viel extremer. Da würde sich das Gros der klassischen GTI-Kundschaft mit Grausen abwenden.

Sie wünschen sich einfach einen sehr schnellen Golf, keinen wilden Hallodri. Und das ist genau das, was sie kriegen. Auch beim Neuen. Dieses Auto federt sehr hochwertig, ist maximal gutmütig, stabil und verlässlich. Natürlich kann er Kurven, aber er macht sie nicht zum Show-Event. Da können Sie - auch wenn Volkswagen etwas anderes behauptet - in der Biegung lupfen, wie Sie wollen, das Heck wird sich in der Regel nicht bewegen.
Auch der Golf 8 GTI ist in dieser Hinsicht ein typischer GTI. Sicher nicht das aufregendste Auto seiner Klasse, aber vermutlich der beste Allrounder.
Und das gilt wahrscheinlich auch für den Antrieb ...
Naja, irgendwie schon. Der gute alte EA888 wurde überarbeitet und trägt jetzt die Zusatzbezeichnung "evo4". In erster Linie ging es hier wohl um die Erfüllung neuester Abgasnormen. Dafür installierte man neue Kraftstoff-Injektoren und erhöhte den Einspritzdruck von 200 auf 350 bar. Zusammen mit den unausweichlichen Partikelfiltern und einem größeren Kat, versteht sich.

Die Leistung des 2,0-Liter-Turbobenziners bleibt mit 245 PS und 370 Nm auf dem Niveau des Golf 7 GTI Performance. Die 0-100 km/h gehen in 6,3 Sekunden, die Spitze ist nun bei 250 km/h abgeregelt. Vermutlich weil sich der GTI beim cW-Wert um zehn Prozent verbessert hat (0,27).
Ansonsten macht dieser Motor, was ihn schon immer ausgezeichnet hat. Gleichmäßig druckvoll beschleunigen und relativ agil bis 6.500 Touren ausdrehen. Das alles fühlt sich im mittleren und oberen Bereich schon irgendwie nach mehr als 245 PS an. Unten heraus ist er hingegen etwas pomadig.
"Mit dem Handschalter gewinnt das Auto deutlich an Flair. Vor allem, weil Volkswagen die Nummer mit den manuellen Getrieben wirklich drauf hat."
Wobei er hier mit dem serienmäßigen Schaltgetriebe tatsächlich lebendiger wirkt als mit dem frisch überarbeiteten 7-Gang-DSG (Version DQ381). Selbigem wurde das leidige Thema "ruckfreies Anfahren" weitgehend ausgetrieben. Außerdem schaltet es nun im Sportmodus schneller.

Und es gibt eine ziemlich coole neue Funktion: Längeres Ziehen des linken Paddles gibt einem sofort den niedrigst möglichen Gang, was etwa beim Überholen oder dem sportlichen Anfahren einer engen Kurve sehr hilfreich ist.
Das DSG schaltet alles in allem schnell und sauber, hält die Gänge nun in "S" länger, aber eben immer noch nicht komplett. Es macht das Erlebnis GTI natürlich komfortabler, aber eben noch ein wenig androgyner.
Mit dem Handschalter gewinnt das Auto deutlich an Flair. Vor allem, weil Volkswagen die Nummer mit den manuellen Getrieben wirklich drauf hat.
Ein Wort noch zum Klang: Wenn Sie wollen, ist er nicht existent. Stellen Sie den Auspuff im Menü auf Sport und Sie erhalten ein wenig eingespielte Unterstützung. Das grummelt und dröhnt dann beim Ausdrehen so ein bisschen. Nichts, was die Welt anhält, aber das ist beim GTI denke ich auch nicht gefragt.
Wie ist er innen?
Die normalen Versionen des Golf 8 haben bei den ersten Tests für ihr komplett neues Bediensystem ja ziemlich auf die Mütze bekommen. Nach ein paar Stunden mit dem GTI kann ich die Kritik teilweise nachvollziehen.
Die ganze, riesige Digital-Wand aus Instrumenten und Infotainment macht optisch natürlich schon einen sehr schlanken Fuß und grafisch sieht das auch alles todschick aus. Besonders die GTI-spezifischen Cockpit-Anzeigen mit dem großen mittigen Drehzahlmesser wirken ziemlich cool.

Aber bedientechnisch bleibt der weitgehende Verzicht auf Knöpfe, Schalter und Co. gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil die übrig gebliebenen "Tasten" (sprich: Bedienflächen) kein wirkliches haptisches Feedback geben, stochert man oft im Nebel und muss den Blick erst recht von der Straße nehmen. Zudem sind die Flächen für Klimabedienung und Lautstärkeregelung unbeleuchtet. Viel Spaß schon mal beim nächtlichen Fummeln.
Dass viele Einstellungen gefühlt im drölften Untermenü zu finden sind, hilft auch nicht unbedingt. Beispiel ESP. Früher drückte man da EINE Taste - fertig. Heute manövrierst du dich durch sieben Bildschirme und setzt dann entnervt dein Häkchen. Willkommen in der Digitalisierung.
Einen absolut fantastischen Eindruck hinterlassen dagegen die neuen Sportsitze mit integrierter Kopfstütze. Hervorragende Sitzposition, stark im Halt und obendrein saubequem.

Die Materialien machen auch beim 8er GTI einen gediegeneren Eindruck als bisher. Viel mehr geht in der Klasse nicht. Ärgerliche Ausnahme sind die etwas gebrechlichen und noch immer viel zu kleinen Plastik-Schaltpaddles des Direktschaltgetriebes. Kommt schon VW, habt ihr die Dinger damals im Heinrich-Lohse-Style gleich milliardenfach bestellt oder warum sind die noch hier?
Nichtsdestotrotz gilt auch bei Generation 8: Kaum ein Kompaktsportler dürfte im Alltag knitterfreier sitzen als der GTI. Auch wenn er jetzt digitaler ist als liberale Parteivorsitzende, passt er wie angegossen.

Soll ich ihn kaufen?
Wer auf kompromisslosere und ungeschliffenere Hot Hatches wie den i30 N oder den Ford Focus ST steht, wird auch mit GTI Nummer 8 seine Probleme haben. Obwohl der Neue agiler einlenkt, sich in der Kurve straffer abstützt, noch stabiler und traktionsstärker geworden ist, fährt er nicht so viel anders als sein Vorgänger. Sprich: Unglaublich geschliffen, aber ohne den ganz großen Kick.
Aus Sicht der Adrenalin-Junkies und Performance-Freaks ist das ein wenig schade, aus so gut wie jedem anderen Blickwinkel jedoch ein Kompliment. Der GTI ist ein GTI ist ein GTI. Mühelos schnell, narrensicher abgestimmt, langstreckentauglich, qualitativ top. Und dazu bei der Testfahrt mit 7,5 Liter bemerkenswert sparsam.

Die neue superdigitale Bedienung ist sicher ein Thema, das man sich persönlich anschauen sollte. Ansonsten überzeugt der Golf 8 GTI aus rationaler Sicht komplett. Ende August steht er beim Händler. Die Preise starten bei circa 35.000 Euro.
Fazit: 7/10
+ klassenbester Mix aus Dynamik, Komfort und Alltagstauglichkeit
+ hervorragende Traktion, so gut wie kein Untersteuern
+ sehr hochwertiger, bequemer Innenraum
- stressfrei schnell, aber noch immer nicht besonders aufregend zu fahren
- neue Touch-Bedienung nach wie vor gewöhnungsbedürftig
Bildergalerie: 2020 Volkswagen Golf GTI
Technische Daten und Preise VW Golf 8 GTI