Was ist das?
Wenn Du als BMWler gerade am neuen 4er arbeitest, muss das Momente von ziemlicher Frustration beinhalten. Du reißt Dir täglich den Hintern auf und entwickelst ein Auto, dass sich - optisch und fahrdynamisch - stärker als je zuvor vom 3er unterscheiden wird, und alles worüber die Leute sprechen, ist diese klobige Zahnspange zentral unter den Scheinwerfern.
Die neue XXL-Niere ist DAS Hauptthema bei BMWs kommendem Mittelklasse-Coupé. Es ist zwar noch nicht offiziell, aber gehen Sie mal fest davon aus, dass das Ding so kommt wie beim extrem kontroversen Concept 4, welches die Münchner auf der IAA 2019 gezeigt haben.
Daniel Ferrufino, Baureihenleiter der 4er-Reihe (inklusive i4), scheint jedoch ziemlich gut damit leben zu können: "Die Leute sprechen so viel wie noch nie über das Auto und das ist gut. Viele 4er-Kunden, nicht nur in den USA sondern auch hier, wünschten sich eine größere Differenzierung zum 3er und die kriegen sie jetzt definitiv."
Was ändert sich noch?
Das gilt übrigens nicht nur für den Grill, sondern im Prinzip für jedes Teil der Karosserie. Der Einsatz von mehr festen und hochfesten Stählen und Aluminium (unter anderem an den Türen und am Vorderwagen) dürfte das ein oder andere Kilo purzeln lassen. Die Windschutzscheibe und die Heckscheibe stehen flacher. Und der komplette Heckbereich mit seiner ungewohnt muskulösen Schulterlinie ist ohnehin komplett anders.
Selbst mit haufenweise Tarnfolie kann man bereits erkennen, dass die Proportionen ziemlich auf den Punkt sind. Die Front ist schön flach, die Linie steigt nach hinten an. Auch das dürfte zu einem cW-Wert beitragen, der nochmal 0,015 Punkte besser ist als die hervorragenden 0,23 des aktuellen 3er. Außerdem ist der 4er bei gleichem Radstand ein paar Zentimeter länger.


Aber genug vom Design. Erstens kredenzt man uns eh Prototypen, bei denen von der NIERE noch nichts zu sehen ist, und zweitens bin ich heute wegen der Fahrdynamik hier. Ferrufino betont gebetsmühlenartig die hervorragende Basis, die der 3er in dieser Hinsicht bietet, nennt dann aber eine Armada an Optimierungen, die es in diesem Ausmaß auch noch nicht gegeben haben dürfte. Die wichtigsten Änderungen gegenüber dem 3er im Überblick:
- 57 mm weniger Fahrzeughöhe
- 21 mm tieferer Schwerpunkt
- 23 mm mehr Spurweite hinten
- mehr Steifigkeit durch neue Dom-Frontend-Streben, ein zusätzliches Schubfeld an der
Vorderwagen-Stirnwand und zusätzliche Verstrebungen im Bereich der Hinterachse - 0,8 Grad mehr Negativsturz an der Vorderachse
- eigene Abstimmungen für Federn/Dämpfer, Lenkung und Bremsen
- weniger Auftrieb an der Hinterachse
All das sorgt laut dem Baureihenleiter für "ein souveräneres Fahrverhalten, bei dem man weniger arbeiten muss, wenn man sich am Limit bewegt".
Merkt man den Unterschied?
Um das zu veranschaulichen, setzt man mich zuerst in einen 430i mit Hinterradantrieb, ungeregeltem M-Sportfahrwerk (hier ist die variable Sportlenkung grundsätzlich dabei) und M-Sportdifferenzial.
Das Cockpit ist noch weitgehend verhüllt, aber unter den schwarzen Matten wird es nachher auch nicht anders aussehen als im 3er. Die Tür klonkt mit dem hohlen Schäppern eines typischen Vorserien-Autos zu. Motor an und im digitalen Instrumentendisplay erscheint eine kurze Animation des fertigen 4ers. Ich soll ja nicht zu viel verraten, aber die Mega-Niere kommt, Freunde. Da könnt Ihr Euch sicher sein.

Es geht über herrlich geschlungene Landstraßen in die Hallertau, ins Zentrum des bayerischen Hopfen-Anbaus. Die Gegend verdient also nicht nur Lob für Ihren Beitrag zum glorreichen bayerischen Bier, sondern auch für ihre sensationellen Kurven. Kurven, die der 430er ziemlich gerne mag und die er verblüffend gefühlsecht und sauschnell nimmt.
Der 258 PS starke Zweiliter-Vierzylinder hat ein neues Abgasreinigungssystem mit optimierten NoX-Kat bekommen, dass ihn Euro6d-fit macht. Viel beeindruckender ist aber, welche Entwicklung er sonst über die letzten Jahre genommen hat. Dieses Aggregat sprüht vor Ehrgeiz, spricht sensationell an, dreht gierig, wirkt extrem kräftig, klingt sogar toll. Sicher einer der besten Vierzylinder da draußen. Mehr braucht eigentlich niemand.
"Hier fährt ein moderner BMW mit sehr viel Charakter. Eine Konfiguration, die man definitiv ins Auge fassen sollte."
Vor allem, weil der 4er mit dem leichteren Vierzylinder und dem Hinterradantrieb zur Hochform aufläuft. Die Lenkung ist in Sachen Handmoment für mich noch immer nicht der Weisheit letzter Schluss, wirkt etwas schwer und gummig, aber sie meldet gut, was unter einem passiert. Das passt.
Insgesamt wirkt der 4er ein Stück agiler und schneller/direkter beim Einlenken als der 3er. Besonders schön ist aber, dass er sich - zumindest in dieser Konfiguration - natürlicher anfühlt, als ich das zuletzt von den Autos aus München kannte. Er ist schon satt und straff gefedert, darf sich aber trotzdem bewegen. Das erzeugt ein spielerisches, analogeres Fahrverhalten, gibt einem bessere Kenntnis über das nahende Limit und macht auch viel mehr Spaß. Zudem hat der Zweiliter-Turbo genug Power, um den Charme des Heckantriebs jederzeit fühlbar zu machen.
Hier fährt ein moderner BMW mit sehr viel Charakter. Eine Konfiguration, die man definitiv ins Auge fassen sollte.
Ist der M440i xDrive nicht viel besser?
Das kommt ganz darauf an, wie Sie das Fahrverhalten Ihres Sportcoupés gerne serviert bekommen. Dieses Auto ist spürbar straffer, fokussierter und umtriebiger. Es wirkt aber auch hibbeliger und nervöser. Nicht jeder - mich eingeschlossen - ist ein Riesen-Fan von sowas.
Der M-Performance-4er hat das adaptive M-Fahrwerk an Bord. BMW sagt noch nicht genau, was den vorerst stärksten 4er von den anderen unterscheiden wird, aber analog zum M340i wird es eine aggressivere Fahrwerkskinematik, größere Bremsen und spezielle Setups für Federn, Dämpfer und Lenkung geben. Die elektronische Hinterachs-Differenzialsperre ist Serie.
Spannend, weil mit einem ganz neuen Feature versehen, ist der Dreiliter-Sechszylinder-Turbo. Wie im 340i leistet er 374 PS (in den USA sind es 388 PS) und 500 Nm. Hier kommt er aber mit 48-Volt-Mildhybrid-System. Erstmals in einem BMW-Benziner und erstmals in einem Sechszylinder.


Das ganze Ding wiegt 32 Kilogramm und bringt über den Startergenerator bis zu 11 PS Boost-Leistung für maximal 10 Sekunden. Bis 160 km/h ist Motor-Aus-Segeln möglich und das nun auch im Comfort-Modus. Außerdem verspricht BMW ein verbessertes Ansprechverhalten bei niedrigen Drehzahlen.
Im normalen Betrieb merkt man davon wenig, was daran liegen dürfte, dass der Dreililter-R6 auch vorher schon irrsinnig gut auf Gas reagierte und auch sonst eine helle Freude ist. Dieses Auto ist so dermaßen kraftvoll und lebendig, dass man sich wirklich fragen muss, was erst der kommende M4 anrichten wird.
Von dem würde ich mir, wenn ich es mir aussuchen dürfte, ein Stück mehr Gefühlsechtheit wünschen. Denn während der M440i alle fahrdynamischen Aufgaben mit Bravour löst, kann er eine gewisse Synthetik nie ganz ablegen.
Sein Allradsystem ist absolut hervorragend abgestimmt, betont bei aller Traktion die Hecklastigkeit. Und die Agilität und Flinkheit des Autos sind mehr als imposant. Allerdings ist der 440er so sehr auf stets erlebbare Dynamik ausgelegt, dass er sich fast anfühlt wie ein Computerspiel. Vielleicht könnte man das zu 95 Prozent fertige Fahrzeug ja dahingehend noch ein wenig abmildern.
Was muss ich sonst noch wissen?
Das serienmäßige Sportgestühl passt wie angegossen und ist überaus bequem. Außerdem ist man bei BMW ziemlich stolz auf den Platz im Fond. Weitgehend zurecht, wie eine kurze Sitzprobe ergab. Mit 1,85 Meter wird es am Kopf Coupé-bedingt etwas eng, aber die Bein- und Schulterfreiheit sind wirklich großzügig.
Optisch wird BMW beim neuen 4er sehr viel Mut beweisen, fahrdynamisch gibt es - das kann man jetzt schon sagen - hingegen wenig zu befürchten. Beim ersten Vorserientest wirkte das Auto extrem fahraktiv und gleichzeitig sehr reif.
Die offizielle Vorstellung dürfte im Juni stattfinden. Dann wissen wir nicht nur, wie er fährt, sondern endlich auch, wie groß die Niere wirklich ist.