Was ist das?

Keine Pause ist so erwartungsschwanger wie die Ruhe vor diesem Sturm. Das Modusrädchen auf Sport Plus, Füße auf beide Pedale und der Porsche Taycan Turbo S zeigt die Meldung "Launch Control activated". Sonst passiert überhaupt gar nichts. Kein ungeduldig aufschreiender Motor, kein Warten auf Ladedruck (trotz der irreführenden Nomenklatur), nur das zaghafte Summen eines elektronisch erzeugten Soundtracks, als sich 1.050 Nm Drehmoment bereit machen, über vier arme Räder herzufallen.

Nehmen Sie den Fuß von der Bremse und ein gottloser Schlag feuert Ihren Schädel gegen die Kopfstütze. Ansatzloses Drehmoment eben, dass den 2,3-Tonner in bisher ungekannter Weise nach vorne beamt. Porsche behauptet, die 0-100 km/h gehen im Turbo S in 2,8 Sekunden (der normale Turbo mit "nur" 687 PS Maximalleistung soll 3,1 Sekunden brauchen ), aber jeder weiß, dass man in Zuffenhausen Fahrleistungen eher konservativ angibt und genau danach fühlt es sich auch gerade an. 

Nach einer langwierigen Promo-Ochsentour mit Tech-Workshops, einer feierlichen Fabrikeröffnung, Mitfahrten für Journalisten und einer weiteren Medienfahrt durch neun Länder von Oslo nach Stuttgart hat der neue Taycan diverse Schockwellen durchs traditionelle Enthusiasten-Metier gejagt und Debatten entfacht, wie es sie bei einer Porsche-Veröffentlichung selten gegeben haben dürfte. Nun kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass Porsches erstes rein elektrisches Fahrzeug zu einem überaus günstigen Zeitpunkt erscheint.

Elon Musks Elektro-Pionierarbeit ist zweifelsfrei bahnbrechend, betrachtet man aber das große Ganze, spricht derzeit vieles eher für Porsche. Das Tesla Model S, inzwischen sieben Jahre alt (was es kaum noch verhehlen kann), hat die Zeit genutzt, um viele Skeptiker umzudrehen. Von kraftstoffabhängigen Gewohnheitstieren zu batterieliebenden E-Jüngern. Teslas Supercharger-Netzwerk hat Vertrauen ins elektrische Reisen gestärkt. Klar hätte man flugs ein paar Porsche-Logos auf ein übereilig entwickeltes Auto kleben können, um den Kaliforniern eine Handvoll Verkäufe zu klauen. Allerdings hätte das wohl irreparablen Schaden am Ruf des Sportwagenbauers erzeugt. Der einzige Weg für Porsche, den Taycan zu machen? Sich Zeit nehmen und ihn richtig machen.

2020 Porsche Taycan Turbo S
2020 Porsche Taycan Turbo S

Wie wirkt er live?

Ich starre auf einen mambagrünen Taycan Turbo S, der mich innerhalb der nächsten zwei Tage von Kopenhagen nach Hamburg bringen wird. In Fleisch und Blut macht er einen Haufen Eindruck. Trotz 4,96 Meter Länge mehr Elfer als Panamera. Wirklich viel hat sich nicht geändert gegenüber der Studie Mission E, die Porsche erstmals vor vier Jahren auf der IAA zeigte. Er wirkt sehr flach und kurvig. Und er hat einen cW-Wert von nur 0,22, was ihn zum flutschigsten Gefährt macht, das Porsche baut.

Noch wichtiger als das Aussehen ist aber die technische Basis. Insbesondere die 800-Volt-Technik, die den Antriebsstrang versorgt. Durch die höhere Spannung kann das System mit geringerer Stromstärke betrieben werden, was es wiederum weniger anfällig für thermische Störungen macht. Dies könnte erklären, warum das Tesla Model S auf der Nordschleife wohl 20 Sekunden schneller fahren konnte, später aber entdeckt wurde, dass es anschließend direkt auf einen Hänger verladen wurde, während der Taycan nach seiner Rekord-Runde einfach weiterfuhr. Die 800-Volt-Konfiguration ermöglicht auch eine zügigere DC-Schnellladung. Porsche verspricht 5 auf 80 Prozent in nur 22,5 Minuten.

"In Fleisch und Blut macht er wirklich einen Haufen Eindruck."

Entern Sie das Innere des Taycan und Sie werden sich in einem sehr schnittigen, edel ausgestatteten Raum wiederfinden. Auf den ersten Blick wirkt er mit all seinen Glas-Panel-Displays wie eine Kombination aus den jüngsten Porsche- und Audi-Cockpits. Mit einem Hauch Mission-E-Futurismus. Nicht weniger als vier Bildschirme lauern im Taycan-Interieur: ein konfigurierbares Instrumentendisplay direkt vor dem Fahrer (flankiert von berührungsempfindlichen Bedienelementen), ein zentraler 10,9-Zoll-Touchscreen für Multimedia-Funktionen, gleich daneben ein weiterer für den Beifahrer und ein zentral gelegener Bildschirm für die Klimasteuerung. In der Praxis funktionieren die Bildschirme relativ gut, obwohl auf unserem Roadtrip ein paar Ärgernisse auftraten. Dazu später mehr.

2020 Porsche Taycan Turbo S
2020 Porsche Taycan Turbo S
2020 Porsche Taycan Turbo S
2020 Porsche Taycan Turbo S
2020 Porsche Taycan Turbo S

Wie fährt er?

Drücken Sie den ersten Startknopf, der es je in einen Porsche geschafft hat (und ja, falls Sie jemals mit Ihrem Taycan hastig in Le Mans starten müssen - er befindet sich links) und ein niederfrequentes Surren macht sich breit. Sport Plus lässt den Klang im Inneren deutlich prominenter wirken und beim Beschleunigen wird ein schwer beschreibliches Sirren durch die Kabine geschickt, das am ehesten an einen Taser erinnert. Vermutlich werden Sie dieses Geräusch in den ersten Wochen lieben, danach aber froh sein, dass Sie es auch deaktivieren können.

Das erste, was auffällt, sobald man sich hinters Lenkrad gequetscht hat, ist die Natürlichkeit, mit der hier alles vonstatten geht. Von der intuitiven, erfreulich porschigen Rückmeldung die die Lenkung liefert, bis hin zum beruhigenden Druckaufbau des Bremspedals herrscht grundsätzlich ein überraschend analoges Gefühl in diesem ultimativ digitalen Auto.

Angetrieben wird der Taycan von je einem Synchron-Elektromotor pro Achse. Vorne gibt es ein gewohntes Eingang-Getriebe, hinten kommt eine selbstentwickelte Automatik mit zwei Gängen zum Einsatz. Eine 93,4-Kilowattstunde-Batterie versorgt die beiden E-Motoren mit Power. Jegliche Beschleunigung wirkt in diesem Auto vollkommen mühelos und kann mit dem rechten Pedal einfach und präzise moduliert werden. Es gibt vier Fahrmodi - Normal, Sport, Sport Plus und Range (der die Effizienz maximiert). Der Start im ersten Gang ist für die beiden aggressivsten Fahrstufen reserviert. Bei normaler Beschleunigung in Sport und Sport Plus erfolgt der Gangwechsel bei etwa 80 km/h.

'

Die Leistungsabgabe erfolgt mit bemerkenswerter Flexibilität und das bis ganz hinauf auf 16.000 U/min (es gibt allerdings keine Anzeige der Motordrehzahl, nur Anzeigen für die relative Leistung und Regeneration). Hauen Sie den Pinsel in den Boden und Sie werden einen Schub erleben, der vollkommen unvernünftig und extrem ist. Und absolut süchtig macht.

Das Bremsgefühl wirkt sehr organisch. In diesem Fall ist das wirklich bemerkenswert, schließlich behauptet Porsche, dass 90 Prozent der Bremskraft während der meisten Fahrten aus der Energierückgewinnung stammen und nicht aus der Reibung der hydraulisch betätigten Carbon-Keramik-Stopper.

"Die Beschleunigung ist unvernünftig, extrem und macht absolut süchtig."

Die Homogenität in Bremse und Lenkung macht aber nur einen Teil der hervorragenden Fahrdynamik dieses neuen Porsche aus. Klar, auch die lächerlichen, jederzeit verfügbaren Mengen an Kraft sind nicht zu vernachlässigen. Aber der Taycan ist sicher mehr als das. Dank seiner scharfen Vorderachse, dem  super agilen Einlenken (woran auch die Hinterachslenkung nicht ganz unschuldig sein dürfte) und dem mächtigen Grip den die 265er- und 305er-Reifen auf fetten 21-Zöllern aufbauen, erinnert er auch hier eher an einen Elfer als an seinen engeren Verwandten Panamera.

Obwohl die Dämpfungsfertigkeiten der Luftfederung insgesamt nicht ganz so vielseitig wirken wie im Panamera (aufgrund der reduzierten Höhe der Stoßdämpfer und der größeren Masse des Taycan), bleibt der Wagen in allem außer Sport Plus jederzeit beeindruckend komfortabel, sogar auf den 21-Zöllern. Man muss ihn schon mit beachtlichem Speed über signifikante Höhenunterschiede werfen, um seine Dämpfer ans Limit zu bringen und ein bisschen was von seinem Gewicht zu spüren. Aber der niedrige Schwerpunkt (niedriger als im 911) sowie dieser immer verfügbare, hanebüchene Tritt ins Kreuz absorbieren das Schlimmste. Er fühlt sich nicht nach 2,3 Tonnen an.

Apropos hohe Geschwindigkeiten: Hier zeigt sich der Taycan bisherigen Serien-Elektroautos weit überlegen. Auf einem freien Stück Autobahn beschleunigte er stark bis etwa 250 km/h und mit nahezu gleichem Eifer bis auf GPS-gemessene 269 Stundenkilometer. Immerhin neun km/h mehr als Porsche angibt. 

2020 Porsche Taycan Turbo S

Und, kann man das kaufen?

Während der Taycan fahrdynamisch durchweg glänzte, sorgte er ergonomisch für das ein oder andere Ärgernis. Das Fehlen von echten Knöpfen beispielsweise hat zur Folge, dass man sich durch ein Klimaanlagenmenü fummeln muss, um einfache Dinge wie die Richtung und den Fluss der Lüftungsöffnungen zu ändern. Ebenfalls nervig: bestimmte Funktionen wie der Ladezustand der Batterie werden auf der unteren zentralen Anzeige nur angezeigt, wenn das Fahrzeug steht. Außerdem schaltet sich der Beifahrer-Bildschirm einfach selbst aus, wenn mal kein Beifahrer an Bord ist. Wir hatten auch hin und wieder Probleme mit dem Navi an einem unserer Testwagen, gehen aber mal davon aus, dass selbige bis zum Marktstart des Taycan im Dezember behoben werden.

Abgesehen von diesen Kleinigkeiten, gaben Porsche Taycan Turbo und Turbo S während dieser ersten Fahrt ein beeindruckendes Gesamtbild ab. Es handelt sich hier um fantastische GTs mit den Fertigkeiten eines echten Sportlers. Fahrdynamisch ist der Taycan ein Genuss. Dazu kommen das herausragende Gesamtniveau an Komfort und Ruhe. Und im Fond sitzen auch zwei Erwachsene mit mehr als 1,80 Meter über einen längeren Zeitraum sehr kommod.

Obwohl sie natürlich mit deftigen Preisschildern bewaffnet sind, liefern Porsche Taycan Turbo und Turbo S eine außergewöhnlich gute Antwort auf eine Frage, von der Enthusiasten bisher gar nicht wussten, dass sie sie sie hatten. Ein echter Porsche, der nun eben einfach rein elektrisch fährt. 

Fazit: 9/10

+ Das beste Elektroauto, das man derzeit kaufen kann

- Wenn man im Stande ist, es sich leisten zu können und warten will, bis die Infrastruktur gleichzieht

Bildergalerie: Test Porsche Taycan Turbo S

Technische Daten und Preise Porsche Taycan Turbo S

Motor zwei permanenterregte Synchron-Elektromotoren
Leistung Leistung: 625 PS (761 PS im Overboost); Drehmoment: 1.050 Nm
Getriebeart 1-Gang-Automatik vorne; 2-Gang-Automatik hinten
Antrieb Allradantrieb
Batterie 93,4 kWh
Beschleunigung 0-100 km/h 2,8 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 260 km/h
Verbrauch T.B.D.
Elektrische Reichweite 412 km
Ladeanschluss 110 Volt / 240 Volt / bis zu 270 kW DC
Aufladezeit unbekannt / 11 Stunden / 22,5 Minuten
Leergewicht 2.300 Kilo
Anzahl der Sitze 4
Kofferraumvolumen 81 Liter vorne; 366 Liter hinten
Basispreis 185.465 Euro
Marktstart Dezember 2019