Was ist das?

Sollten Sie ein Mensch von Reichtum, Stil und erlesenem Geschmack sein (oder einfach zu viel wertvolle Lebenszeit auf den einschlägigen Autoportalen vernichten), werden Sie es mitbekommen haben: Selbst bei Bentley geht es dem Zwölfzylinder in Bälde an den Kragen. Im April 2024 läuft nach mehr als 20 Jahren und über 100.000 Einheiten der letzte W12 "vom Band". Höchste Zeit also, den Sechsliter-Biturbo-TSI nochmal gebührend abzufeiern. 

Und das ganz standesgemäß in seiner derzeit performantesten Ausprägung. Selbige findet man im Continental GT Speed mit 659 PS und 900 Nm Drehmoment. Noch, muss man dazusagen. Denn der 740 PS starke Bentley Batur scharrt bereits ungeduldig mit den Hufen. Den kriegen allerdings nur 18 Auserwählte zum hanebüchenen Preis von mindestens 2,38 Millionen Euro. Er zählt also nicht so richtig. 

Bei der Recherche zu diesem Test fiel mir auf, dass uns der aktuelle Speed bis hierhin komplett durch die Lappen gegangen war. Es ist also wirklich höchste Zeit für einen Test.  Vorgestellt wurde er Anfang 2021, drei Jahre nach der Einführung der derzeitigen (dritten) Conti GT-Generation. Kaufen kann man ihn seit Herbst 2021, also auch schon seit mehr als eineinhalb Jahren. Ein Faszinosum ist er nach wie vor.

Bentley Continental GT Speed (2023) im Test
Bentley Continental GT Speed (2023) im Test
Bentley Continental GT Speed (2023) im Test

Nicht nur aufgrund seiner Präsenz (unabhängig davon, wie knallig Sie ihn ab Werk anstreichen lassen) und des prestigeträchtigen Aggregats unter seiner Monumental-Motorhaube. Sondern vor allem auch, weil er einen ganzen Haufen Fahrwerkstechnologie und Performance-Attitüde intus hat, die es so bei einem Bentley noch nicht gab. 

Jetzt werden Sie gleich sagen: Ja Moment! Was ist denn bitte mit dem alten Continental GT Supersports von 2017? Hatte der nicht 710 PS, 1.017 Nm und ganz viel Schürzen, Flügel, Trallala? Hatte er ungenommen. Aber der jetzige Speed ist leichter, wenn man sich das sagen traut, bei einem Auto, das 2.273 Kilo wiegt. Er hat größere Bremsen (und Räder), ein schnelleres Getriebe und diverse Technologie-Schmankerl, die ihn raffinierter und amüsanter ums Eck gehen lassen sollen. 

Dass so ein Conti GT einen recht opulenten Fahrkomfort aufs Parkett zu legen im Stande ist, das weiß ja nun wirklich jeder. Und dass man innen drin sehr formidabel sitzt und die eigenen Augen zwischen wahnsinnig schönen Materialien hin und her blinzeln, das dürfte auch klar sein. Aber hier soll das nun auch mit dem Handling auf einem neuen Level hinhauen. Und mit dem Gefühl, dass man mehr mittendrin und weniger nur dabei ist. "Das dynamischste Straßenauto in der Geschichte von Bentley", sagt Bentley.

Große Worte. Wie soll das hinhauen?

Nun, in den letzten Jahren hat es Crewe geschafft, Zugang zu den interessanteren Teile-Regalen des Volkswagen-Konzerns zu erhalten. Der Conti GT steht ja im Prinzip auf der Plattform des Porsche Panamera. Er nutzt die großartige 48-Volt-Wankstabilisierung, aber im Falle des Speed sind zwei andere Gimmicks entscheidend. Sie tragen zur Mobilisierung der Hinterachse bei und damit auch zu mehr Dynamik im Gesamtsystem. Wir reden hier von der Hinterradlenkung und einem elektronisch kontrollierten Sperrdifferenzial - beide findet man zum ersten Mal an einem Conti GT. 

Und das macht einen spürbaren Unterschied?

Absolut, ja. Der normale Conti GT hat seinen ausladenden Leib ja dank der 48-Volt-Wankstabilisierung sehr gut im Griff. Aber irgendwo Richtung Limit wird das Gewicht vorne am Auto, und davon gibt es ja reichlich, doch ein bisschen viel für die Vorderreifen und sie ergeben sich nach langem Kampf dem Untersteuern. Da kann der Allrad dann irgendwann auch nichts mehr ausrichten.

Beim Speed verhält es sich anders. Ja klar, der Grip ist auch hier für ziemlich lange Zeit ziemlich monumental. Aber die Hinterradlenkung bringt einen ganzen Haufen zusätzlicher Agilität beim Einlenken. Es ist, als würde sie Gewicht von vorne nach hinten schaufeln und so die Balance des Autos verbessern. So fühlt sich der Speed leichtfüßiger an. Mit einer Grundeinstellung, die mindestens neutral, aber eher leicht heckgetrieben daherkommt. Das wohlgemerkt in den weniger wilden Modi "Comfort" und dem Default-Setting "Bentley".

Bentley Continental GT Speed (2023) im Test
Bentley Continental GT Speed (2023) im Test

"Weniger wild" ist übrigens vollkommen ernst gemeint, denn im "Sport"-Modus verwandelt sich der Speed in ein Auto, das man vielleicht von der M GmbH oder AMG erwarten würde, aber nicht vom fliegenden B.

So, wir machen jetzt mal, was völlig natürlich und angemessen erscheint, wenn man in einem würdevollen britischen Groß-Coupé sitzt. Wir lenken vor einer etwas schärferen Kurve ein und hauen das wunderschön gefertigte Gaspedal beherzt in den zentimeterdicken Lammfellteppich.

In "Comfort" und "Bentley" ist  die Kraftverteilung ziemlich ebenbürtig zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt. In "Sport" jedoch zimmert das hintere E-Differenzial bis zu 90 Prozent der Power - und das ist viel Power - Richtung Hinterräder. Wenn Sie halbwegs vorsichtig sind, schärfen Sie präzise die Linie und helfen mit dem Heck der Vorderachse, kompakt und agil um die Ecke zu fahren. Noch dazu, weil Sie deutlich früher ans Gas können, ohne fürchten zu müssen, dass die Nase nach außen schiebt.

Es braucht aber auch nicht viel, um das wuchtige Heck dieses Kraftwagens zum Ausbrechen zu bewegen. Nur im Sport-Modus wohlgemerkt, das muss man schon dazu sagen. Glauben Sie es oder nicht, aber der Continental GT Speed malt nur all zu gerne rauchige Zeichen in die Luft und schwarze striche auf den Teer.

Um die große Masse vorne auszugleichen, haben die Abstimmer wohl entschieden, sehr viel Drehmoment sehr schnell nach hinten geben zu können. Die Folge: Ein driftender Conti GT. Das Gewicht und der Lange Radstand geben einem zudem ganz gut Zeit zu reagieren und die Schräglage zu halten. Also wenn Sie jetzt keinen Grund haben, einen Speed zu kaufen, dann weiß ich es auch nicht.

Aber Komfort kann er schon auch noch, oder?

Ich wollte schon eh gerade noch darauf eingehen, dass wir es hier trotz aller neu gefundenen Dynamik noch immer mit einem fast 2,3 Tonnen schweren und mehr als 1,95 Meter breiten Großkaliber zu tun haben. Ja, Herrschaften, wir sitzen noch immer in einem Bentley. Und Menschen, die einen Bentley fahren, die wollen keinen lockerleichten Filou. Sie wollen Sattheit, Souveränität, Qualität im Gewicht spüren. 

Auch wenn der GT Speed also nicht untersteuert und sogar willig seitwärts fährt - auf einer Landstraße ist er ehrlich gesagt schon ein ganz schöner Brummer. Da ist eine gewisse Schwere in den Kontrollen. Man sitzt wohl auch ein wenig zu hoch, um sich wirklich mit dem Chassis zu verzahnen. Die Lenkung ist nicht superschnell oder gibt jeden Kieselstein in die Handballen weiter. Und wer würde das bei diesem Auto auch wollen?

Bentley Continental GT Speed (2023) im Test

Nichtsdestotrotz haben das die Ingenieure in Crewe mit der Lenkabstimmung sehr gut gelöst. Viele Systeme vermeintlich dynamischerer Autos sind wesentlich weniger akkurat und informativ. Hier hat man ein gefälliges Handmoment und schöne Präzision bei hohem Lenkkomfort. So muss das sein in dieser Klasse. 

Aber wir waren ja beim Wohlbefinden und das hat beim Fahren durch die neu gewonnene Sportlichkeit minimal abgebaut. Keine Sorge, wir sind weit weg davon, panisch auf den Fliegender-Teppich-kaputt-Notruf-Buzzer zu hauen, aber ein bisschen mehr von dem, was eine Straße eben so mitbringt, geht jetzt schon nach innen durch. 

An der Paradedisziplin dieses Autos ändert das aber rein gar nichts. 170, 180 km/h auf der Autobahn, 1.900 Touren im achten Gang, heilige Ruhe (na gut, an den Windgeräuschen könnte man tatsächlich arbeiten), seliges Gleiten und ein Gefühl völliger Erhabenheit. Da macht dem Speed wohl keiner etwas vor. Obendrein hilft die Winterschlaf-Drehzahl hier dem Verbrauch. Auf der Bahn geht es auch mal mit 10 Liter. Ansonsten eher nicht. 

Schade, dass der W12 geht?

Natürlich ist das schade. Er zwölfzylindert so ungeniert zwölfzylindrig, dass es die reinste Freude ist. Besonders angestrengt wirkt er nie. Fürchterlich fix ist er trotzdem. Er dreht ja kaum 6.000 Touren. Er muss es nicht. Sein Schwall an Kraft ist nie aufdringlich, einfach nur mächtig und vollmundig. Die Gasannahme ist trotzdem aufregend spontan. Der Rest ist einfach Drehmoment. 

Im normalen Betrieb säuselt er vor sich hin. Richtig aufmüpfig tönt er nie. Besonders laut eigentlich auch nicht. Außer Sie gehen in "Sport" und drehen ihn ein bisschen aus. Dann "prappappapapts" ein wenig aus den beiden ovalen Auspuffblenden. Ob das so richtig zu ihm passt, ist eine andere Frage, aber nun gut - der Speed ist halt sowas wie die sportliche Speerspitze. 

Wie ist er innen?

Wenn er Sie bis jetzt immer noch nicht überzeugt hat, dann merken Sie spätestens innen, dass hier das Nonplusultra in puncto Grand Touring erschaffen wurde. Die Materialauswahl ist so geschmackvoll und luxuriös. Der ganze Chrom, die (beim Speed serienmäßige) Steppung der Sitze und Türtafeln, das zentrale Flip-Display, das zwischen Infotainment, Oldschool-Rundinstrumenten und schlichtem Furnier hin und her wechselt - so muss ein GT dieser Preisklasse aussehen. Herrlich. 

Bentley Continental GT Speed (2023) im Test
Bentley Continental GT Speed (2023) im Test
Bentley Continental GT Speed (2023) im Test

Die vielen Knöpfe und Taster sind ehrlich gesagt eine Offenbarung. So einfach in der Handhabung. Das Infotainment (mehr oder minder aus dem Panamera) funktioniert auch trotz Touchbedienung einwandfrei. Lediglich die Grafiken - und das gilt auch fürs digitale Instrumentendisplay - wollen so gar nicht zum edlen Anspruch passen. Das hat Anflüge von Audi 2008.

Ansonsten aber: durchweg großes Kino. Selbst die Innenseite der Heckklappe ist mit herrlich flauschigem Teppich versehen. Louis-Vuitton-Koffersets, Dom-Pérignon-Kisten oder die üblichen zwei Golftaschen werden jubeln vor Freude. 

Weiter vorne ist das auch erlaubt, denn weicher und bequemer können Stühle nicht bezogen sein. Und trotzdem halten sie gut fest. Außerdem hat der Conti GT die wohl motivierteste Sitzbelüftung der gesamten Industrie. Allerwertester auf Gefriertemperatur - gut 1,5 Sekunden. Der Fond hingegen sollte tunlichst gemieden werden, wenn Sie älter sind als - naja - acht. Oder größer als 1,40 Meter. 

Fazit: 8,5/10

Das mit dem dynamischsten Bentley aller Zeiten trifft hier sicher zu. Aber der Speed mutiert nicht plötzlich zur Rennstrecken-Waffe. Warum sollte er? Er ist der Inbegriff eines Gran Turismo. Eines großen, schweren Gran Turismo, keines aggressiven Kurvenräuber-GT.

Aber innerhalb dieser Disziplin ist er agiler als gewohnt. Man kann ihn schon pushen, deutlich weiter als den "Standard"-Continental GT. Antrieb, Verarbeitung, Interieur und Fahrsouveränität sind hier einfach etwas ganz Besonderes.  

 

Bildergalerie: Bentley Continental GT Speed (2023) im Test

Bild von: Fabian Grass

Technische Daten und Preise Bentley Continental GT Speed

Motor Biturbo-W12 Benziner; 5.950 ccm
Getriebeart 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
Antrieb Allradantrieb
Leistung 485 kW (659 PS) bei 5.000 - 6.000 U/min
Max. Drehmoment 900 Nm bei 1.500 - 5.000 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 3,6 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 335 km/h
Länge 4.850 mm
Breite 1.954 mm
Höhe 1.405 mm
Leergewicht 2.273 kg
Zuladung 452 kg
Kofferraumvolumen 358 Liter
Verbrauch WLTP-Verbrauch: 13,7 Liter; Testverbrauch: 15,2 Liter; Autobahn 120-140 km/h: 11 Liter
Emission Werksangabe: 311 g/km CO2
Basispreis 280.000 Euro
Preis des Testwagens wird nachgereicht