Was hat und kann das neue Modell eigentlich NICHT? Diese recht profane Frage stellen wir uns immer, wenn neue Oberklasse-Limousinen vorgestellt werden und dabei ein regelrechtes Feature-Feuerwerk abfackelt wird. Wie sinnvoll dabei ein 31,3-Zoll-Theatre Screen mit 8K und 5G oder eine autonome Parkfunktion via Smartphone sind? Völlig egal! Denn es geht darum, dass man zeigen kann, wie man der Konkurrenz in Zukunft wieder ein Stück voraus sein will.

Ein Trio für den Vorstand

Meist liegt nach Runderneuerungen dann das logischerweise jeweils neueste Produkt eines ganz bestimmten Trios vorne. Seit Ende 2020 mit der Einführung der neuen S-Klasse (W233) hatte Mercedes-Benz wieder die Pole-Position inne. Doch jetzt beansprucht BMW das Zepter. Mit der neuen 7er-Baureihe (G70). Und zwar wahrscheinlich so lange, bis Audi den A8 in ein paar Jahren für den Kampf um die Gunst der mittlerweile vorwiegend chinesischen, arabischen und amerikanischen (solventen) Kundschaft in die nächste Generation schickt.

BMW 760i xDrive (2022) im Test
BMW 760i xDrive (2022) im Test

Doch jetzt darf der neue BMW 7er zeigen, was er kann. Und das ist unüberschaubar viel. Vom Design, über die Antriebe, das Fahrwerk, die Lenkung, die digitalen Spielereien bis hin zu den Sicherheits- und Komfortfeatures, deren alleinige Auflistung den Rahmen dieses Testberichts sprengen würde.

Stellen wir uns also einmal vor, wir wären Mitteleuropäer, 57 Jahre alt, zu 85 Prozent ein Mann und wären daran interessiert, mit unserem Marktanteil von 9 Prozent dazu beitragen zu wollen, BMW nach 45 Jahren die 2-Millionen-Einheiten-Marke beim 7er knacken zu helfen. Für mindestens 114.300 Euro. Festhalten. Testfahrt.

BMW 760i xDrive (2022) im Test

Laut Christian Schneider, Head of Project, will man mit dem neuen Modell Komfort und Sportlichkeit noch besser vereint haben. Um beim Komfort einen Schritt nach vorne zu machen, verzichtet das in Dingolfing gebaute CLAR-Produkt deshalb fortan auf eine Variante mit kurzem Radstand. 3.215 mm beträgt der Abstand jetzt immer zwischen den Achsen.

Insgesamt ist die Limousine sogar noch einmal um 13 cm in der Länge gewachsen und misst jetzt stattliche 5,39 Meter. Zum Vergleich: Selbst eine S-Klasse mit langem Radstand ist 11 cm kürzer. Die Passagiere im Fond werden den neuen 7er lieben. Er ist ein Auto, um gefahren zu werden. Noch mehr als zuvor.

Die inneren Komfort-Werte

Deshalb öffnen wir zuerst die hinteren Türen. Elektrisch. Wie sonst? Muskeln in dieser Fahrzeugklasse benutzen? Nein danke. Mit Smartphone-großen Touchscreens in den Türverkleidungen kann man es sich jetzt optisch, akustisch und haptisch in der zweiten Reihe erstklassig machen.

Besonders hinter dem Beifahrersitz, wo sich das vordere Gestühl weit nach vorne arretieren lässt, damit man auf dem hinteren Business-Klasse-Sitz eine Beinlehne ausklappen kann. Die Liege erreicht einen Torsowinkel von maximal 42,5 Grad. Heizen, kühlen und massieren lassen kann man sich natürlich auf allen Plätzen, die optional mit kuscheligem Kashmir bezogen werden.

BMW 760i xDrive (2022) im Test
BMW 760i xDrive (2022) im Test

Wir wechseln in die erste Reihe und stellen fest, dass das Interieur auch hier deutlich aufgeräumter und vor allem weniger opulent wirkt als in dem Konkurrenz-Produkt aus Stuttgart. Knöpfe sind auf den ersten Blick so gut wie kaum ersichtlich. Lüftungsschlitze ebenfalls.

Die meisten Funktionen verbergen sich in der sogenannten "Interaction Bar". Diese Vokabel hat sich BMW für die je nach Fahrmodus unterschiedlich bunt-leuchtende Leiste in transparenter Kristall-Optik ausgedacht.

BMW 760i xDrive (2022) im Test

Wenn man auf Bling-Bling steht, mag das cool aussehen. Für unseren Mitteleuropäer-Geschmack wirkt das Design aber etwas drüber. Zumal die Bedienung gewöhnungsbedürftig ist und sich das Material bei Berührung nicht wirklich wertig und gut verarbeitet anfühlt. In China, den Emiraten oder den USA wird man sich mit diesem Lichtshow-Bedienelement aber viele Freunde machen. Da sind wir uns sicher.

Neues System, alte Bedienung

Was auch uns Freude bereitet? Die großen Displays, die wir bereits aus dem iX und dem frisch überarbeiteten X7 kennen. Sie sind gebogen, messen 12,3 und 14,9 Zoll und beinhalten jetzt Augmented-Reality-Funktionen. Zum Beispiel Abbiege-Pfeile, wenn das Navigationssystem eine Fahrtrichtungsänderung signalisieren will. Wenn das nicht reicht, gibt es noch ein großes Head-up-Display.

BMW 760i xDrive (2022) im Test
BMW 760i xDrive (2022) im Test

Obwohl auf den Bildschirmen jetzt das sehr gute, schnelle sowie umfangreiche iDrive 8 läuft und der Finger auf dem Touchscreen eigentlich meist schneller wäre, kann man alles immer noch über den kristallenen Dreh-Drück-Steller auf der sehr reduzierten Mittelkonsole bedienen.

Jetzt noch den richtigen "MyMode" personalisieren, damit der Antrieb, die Musik, die Sitzeinstellung, das Licht, die Klima und alle anderen Parameter des Wohlbefindens passen und schon kann es losgehen. Sehr komfortabel.

Neue Basis, alle Antriebe

Es klingt nach den letzten Absätzen jetzt irgendwie paradox, dass man ein solches Fahrzeug auch noch sportlicher gestaltet haben will, oder? Bei der Plattform handelt es sich zwar um eine komplette Neuentwicklung, trotzdem hat man sich natürlich hier und da an den bestehenden Modellen (beispielsweise dem iX) bedient. So sind vom Start weg so ziemlich alle aktuell denkbaren BMW-Antriebe verfügbar.

Sie möchten einen guten alten Diesel? Kein Problem in Europa. Sie haben Lust auf einen Plug-in-Hybrid? Wird in zwei Ausführungen geliefert, klar. Es soll ein vollelektrischer 7er in Ihrer Garage parken? Nur zu.

Einzig bei reinen Benzinern (zumindest mit MHEV-Unterstützung) tut sich BMW hierzulande schwer. Sowohl 735i, 740i mit jeweils einem 3,0-Liter-Reihensechszylinder als auch der V8-betriebene 760i xDrive sind für die alte Welt nicht vorgesehen.

BMW 760i xDrive (2022) im Test

Aber das dürfte auch nicht weiter schlimm sein, denn laut BMW-Prognosen entscheiden sich die europäischen Kunden in Zukunft ohnehin lieber für den i7 – also die vollelektrische Variante. Und zwar sollen es 75 Prozent werden.

Deshalb sind wir nicht nur das V8-Modell, sondern auch den i7 xDrive60 mit seinen 544 PS und 745 Nm gefahren. Ob er sich gegenüber dem konventionellen 7er mit identisch starkem Verbrenner theoretisch lohnen würde, erfahren Sie in diesem entsprechenden Testbericht auf unserer Elektroauto-Schwesterseite InsideEVs.de.

Toller Antrieb ohne Chancen

Jetzt aber zum V8. Den es zwar vorerst nur in den USA geben wird, aber … kein "aber". Dabei soll es bleiben. Und das ist eigentlich relativ schade, denn BMW hat noch einmal eine Menge Hirnschmalz in das Aggregat gesteckt, das wir wunderbar entspannt vor uns auf den breiten Straßen um das kalifornische Palm Springs herumschieben.

S68 (so sein interner Code) wirkt alles andere als plump, sondern ist durchaus drehfreudig und akustisch sehr fein abgestimmt. Aus 4,4 Liter Hubraum werden mit zwei Turboladern 544 PS und 750 Nm generiert, wobei das maximale Drehmoment bereits bei 1.800 U/min anliegt und die maximale Leistung erst bei 5.500 U/min erreicht wird.

Zusammen mit der stets gut sortierten 8-Gang-Automatik und dem hinterradbetonten xDrive-Allradantrieb lässt sich das 2,3-Tonnen-Gefährt in 4,2 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigen. Schluss ist dann elektronisch bei 250 km/h.

Autonomie auf einem neuen Level

So schnell sollten Sie allerdings nicht unterwegs sein, wenn Sie die eigentlichen Fahr-Highlights des neuen 7ers ausprobieren wollen. Weil sich unter dem gewagten Design (es sieht in der Realität wirklich deutlich besser aus als auf den Bildern) nämlich mehr als 30 Sensoren, Kameras, Radar und Co. verstecken, fährt dieser Luxus-BMW schon ziemlich autonom. Bis 60 km/h ist man so mit Level 3-Autonomie unterwegs – sobald es die Gesetze zulassen. Ein Stau in einer chinesischen Millionenstadt? Egal.

BMW 760i xDrive (2022) im Test

Exklusiv in Nordamerika können sich Kunden zudem darüber freuen, dass sie bis 130 km/h die Hände ganz legal komplett vom Lenkrad nehmen können. Zeitlich ohne Begrenzung. Das funktioniert allerdings nur auf baulich getrennten Fahrbahnen mit zwei oder mehr Fahrspuren. Also auf dem Highway. Dort kann das System via Blinkertippen auch ohne Zutun der menschlichen Insassen die Spur wechseln und Ausfahrten werden vom Navi ebenfalls in die Fahrstrategie mit einberechnet.

Fahren statt gefahren werden

Wenn Sie jetzt abseits der geraden Autobahnen selbst das lenkwinkelabhängige Servosteuer in die Hand nehmen, fällt auf, dass sich der neue BMW 7er auch hier komfortbetonter anfühlt als sein Vorgänger. Er ist zwar immer noch dynamischer als beispielsweise eine S-Klasse, so spitz wie noch der Vorgänger G11 ist die stattliche Limousine aber nicht mehr.

Dabei tut BMW einiges dafür, die schiere Größe und das zusätzliche Gewicht so gut es geht kontrollierbar zu halten. Mit vergrößerten Spurweiten, mit Überarbeitungen an der Doppelquerlenker-Vorder- und der Fünflenker-Hinterachse, mit einer Zweiachs-Luftfederung und einer 48-Volt-Wankstabilisierung.

BMW 760i xDrive (2022) im Test
BMW 760i xDrive (2022) im Test

Gerade mit dem schweren Achtzylinder unter der Haube und dem fehlenden Batteriegewicht am unteren Schwerpunktende fährt sich der Amerika-7er doch recht kopflastig. Nicht, dass Sie jetzt Angst haben müssten, dass Ihnen im Fond schlecht werden würde, aber Ihr Fahrer oder Ihre Fahrerin hat schon deutlich mehr zu tun, um den Kahn auf Kurs zu halten.

Der i7 macht das deutlich besser. Deshalb möchten wir hier noch einmal an den entsprechenden Testbericht erinnern. Ob das die PHEV-Derivate (der 760i und der bei uns erhältliche M760e sind sich auf dem Datenblatt durchaus ähnlich) oder der 740d besser machen werden, bleibt abzuwarten.

BMW 760i xDrive (2022) im Test

So lange hätte Sie jetzt ein wenig Zeit, um ausgiebig die Preislisten mit all ihren Sonderausstattung zu studieren. Denn die ist lang und auch wenn die meisten Features doch schon serienmäßig im 7er verbaut sind, lässt sich mit so manchen Optionen der Basispreis ganz schön nach oben korrigieren.

Beschränken wir uns deshalb auf ein einziges Zubehör. Die wundervolle Zweifarb-Lackierung mit abgesetzter Shoulder Line. Die kostet entspannte 12.000 Euro Aufpreis und wenn Sie sich neben dem schwarzen Lack eine exklusive Kontrastfarbe wünschen, die es nicht im Katalog gibt, wird es noch teurer. Aber wen juckt das schon in dieser Fahrzeugklasse?

Fazit: 9/10 Punkte

Wie viel und welche Technik Sie sich auch immer in Ihrer neuen Oberklasse-Limousine wünschen, der neue BMW 7er beantwortet Ihre Frage danach stets mit "Ja". Dabei bleibt das in allen Ausmaßen gewachsene Fahrzeug aber trotzdem fahrbar und witzigerweise auch irgendwie noch dynamisch.

Nach vielen Kilometern im entspannten Fond samt guter Unterhaltung auf dem Theatre Screen fällt es also ziemlich schwer, negative Kritikpunkte zu formulieren. Das Design? Ist halt Geschmacksache. Der V8-Motor? Den würden wir uns schon auch für Europa wünschen. Zumindest als Option. Die "Interaction Bar"? Uns etwas kitschig. Der Preis? Happig, aber doch irgendwie angemessen. Würden wir ihn bestellen? Ja, aber als i7.

Bildergalerie: BMW 760i xDrive (2022) im Test

BMW 760i xDrive (2022)

Motor 4.395 ccm, V8, Biturbo-Aufladung
Getriebeart 8-Gang-Automatikgetriebe
Antrieb xDrive-Allradantrieb
Leistung 544 PS (bei 5.500 U/min)
Max. Drehmoment 750 Nm (bei 1.800 – 5.000 U/min)
Beschleunigung 0-100 km/h 4,2 s
Höchstgeschwindigkeit 250 km/h (elektronisch begrenzt)
Verbrauch 11,2 l/100km
Emission 255 g/km
Leergewicht 2.345 kg
Zuladung 710 kg
Länge 5.391 mm
Breite 1.950 mm
Höhe 1.544 mm
Basispreis 114.300 Euro (für BMW 740d xDrive)
Preis der Testversion BMW 760i xDrive in Deutschland nicht erhältlich