Und dann war er da. Der Tag, an dem uns der Ford Fiesta ST wieder abgenommen wurde. Okay, man hätte sich an die 18-Zoll-Felgen ketten, einfach mit ihm abhauen oder spontan 28.500 Euro an Ford überweisen können, um die Abholung eventuell hinauszuzögern oder ganz zu verhindern. Aber wenn wir ehrlich sind, wären wir mit dieser roten Spaßgranate am Ende doch in eine leicht toxische On-Off-Beziehung abgedriftet. Wieso? Willkommen zum Gesamtfazit ...
Zugegeben: Dieser On-Off-Gedanke ist eigentlich ziemlich komisch, denn nach einer Fahrleistung von mehr als 5.000 Kilometern in zwei Monaten könnte man schnell zu der Annahme kommen, dass der Ford Fiesta ST die besten Voraussetzungen mitbringt, um für eine dauerhafte und ausgewogene Beziehung zu taugen. Und in vielen Punkten ist das tatsächlich auch so.
Der geregelte Alltag
Im ersten Teil unseres Testberichts klärten wir dafür die Qualitäten im Alltag. Und ja ... die aktuelle Mk8-Generation ist deutlich besser für die nicht zu unterschätzenden Herausforderungen gewappnet, als das noch bei Mk7 der Fall war. Das Fahrwerk wurde entschärft und von Fahrer- sowie Passagierrücken geht ein großes Dankeschön an Ford.
Außerdem sind die neuen Sportsitze in der ersten Reihe keine gemeinen Fesselungskünstler mehr, die nur krummbuckligen Zwergen mit einem BMI von 15 eine angenehme Position erlauben. Langstrecke ist also möglich. Und zwar zur Not mit vier Personen und ein wenig Gepäck, denn das Packaging des Innenraums passt.
Bildergalerie: Ford Fiesta ST (2022) im Dauertest (3)
Die entsprechenden Komfort-Features erleichtern das Leben in weniger aufregenden Abschnitten des Zusammenseins auf der Autobahn, der Landstraße oder im allmorgendlichen Pendelverkehr ebenfalls. Es wird an den richtigen Stellen und nicht zu aufdringlich assistiert, das Navi kennt souverän die stauärmsten Routen, das Klima ist stets gut und der Sound aus der optionalen B&O-Anlage mit 575 Watt macht aus dem Kleinwagen eine ansprechende Boombox, die via Apple Car Play oder Android Auto genau das abspielt, was man sich in den jeweiligen Streamingdiensten zurecht gelegt hat.

Darüber hinaus lassen sich trotz der immensen Motorleistung für einen Kleinwagen und dem kurz abgestimmten Getriebe relativ humane Verbräuche von rund sieben Litern auf 100 km herausfahren. Also ... natürlich nur, wenn man will ...
Fiesta? Kann er!
Wenn man dann aber ein bisschen Spaß fordert, merkt man schnell, das der Fiesta mit mehr als 10 Liter auf 100 km trinkfester sein kann, als das vielleicht gesund wäre. Hätte man aber ahnen können. Schließlich sieht er nicht aus wie ein braver und berechnender Mathe-Nerd, sondern wie ein für die Dorfdisko zurechtgemachter Halbstarker aus der Vorstadt.
Was das bedeuten soll? Der schwarze Monstergrill samt ST-Logo an der Front, der "Ford Performance"-Schriftzug auf der Lippe darunter, die für einen Kleinwagen gewaltigen Felgen, die zweiflutige Abgasanlage im Mini-Diffusor sowie der Dachkanten-Spoiler sind prollig, aber irgendwie doch geschmackvoll.



Dieser Ford will also nur etwas grobschlächtig Aufmerksamkeit erregen, obwohl er eigentlich ein netter Kerl aus gutem Hause ist. Er ist der Typ im Fußballverein der Verbandsgemeinde den alle mögen. Der an einem Samstag viel Sprit vernichtet, ab und zu mal kurz unangenehm auffällt, aber beim Sonntagsspiel auf dem Platz doch wieder beweist, dass Sportlichkeit und gute Leistungen für ihn viel wichtiger sind, als am Abend zuvor der lauteste im Club gewesen zu sein. Und das haben wir ausführlich erleben dürfen. Bei der Performance-Party im zweiten Teil unserer Dauertests.
Trotzdem keine feste Beziehung?
Irgendwie taugt er nicht für eine feste Bindung. Obwohl er es so verdient hätte und er sich so ins Zeug legt. Ein eigentlich perfekter 1,0-Liter-Dreizylinder-Turbobenziner, 200 PS, 0-100 km/h in 6,5 Sekunden, laut Tacho fast 250 km/h in der Spitze. Dazu das knackige 6-Gang-Schaltgetriebe, das ausgewogene Fahrwerk, die präzise Lenkung und die somit stetige Verbundenheit zwischen Fahrer, Auto und Asphalt. Plus die vermeintliche Gelassenheit im Alltag, die Vorhersehbarkeit im Grenzbereich. Perfekte Voraussetzungen.
Ford Fiesta ST 1,5 l EcoBoost 5-Türer
Aber gerade für eine dauerhaft erfolgreiche Beziehung müssen die Kräfte gleichmäßig verteilt sein, um gemeinsam eine Zukunft aufbauen zu können. Und hier ist der Fiesta ST zu bestimmend. Er will stets die Richtung vorgeben und zeigt das beim starken Beschleunigen mit teils unangenehmem Zerren an der Vorderachse.
Außerdem stachelt er mit seinen überragenden Fahrleistungen immer wieder zu Höchstleistungen an, sodass man sich gerade mit zunehmendem Alter fragt, wann diese verrückte Jugendlichkeit endlich endet. Klar, so ein Partner hält jung, aber man will ja auch irgendwann mal zur Ruhe kommen.

Darüber hinaus fehlt ihm eine gewisse Verlässlichkeit. So sieht das Infotainment-System beispielsweise gut aus und alles lässt sich leicht bedienen, wenn es aber darauf ankommt, fällt plötzlich der Bildschirm aus und man tappt in Dunkelheit. Oder das Keyless-Go-System streikt mal wieder, man wird nicht hineingelassen und muss umständlich über den Knopf am Schlüssel um Einlass bitten.
Und so wird aus dem Ford Fiesta ST der Kumpel, den man anruft wenn man gerade mal wieder in der Stadt ist. Der eine Freund von dem man weiß, dass man mit ihm eine gute Zeit haben kann. Spaß garantiert. Bis einem auf einer Serpentinenstraße schlecht wird. Man macht Ausflüge, erlebt zusammen verrückte Sachen und bewegt sich gemeinsam für außenstehende teilweise an der Grenze des guten Geschmacks.
Und wenn man dann zu viel von dieser einnehmenden Persönlichkeit hat, stellt man ihn wieder weg, denkt an die lustigen Zeiten und ist doch irgendwie froh, dass man mit einem stinknormalen Ford Focus oder später vielleicht mit einem Ford Kuga alt wird.