Was ist das?

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Endlich wird es ernst für den neuen BMW 1er. Sie wissen schon, der mit dem - BMW-Fans können es immer noch nicht unfallfrei aussprechen - Frontantrieb. Meine Güte, was ist sich da aber auch aufgeregt worden. Geschimpft haben sie wie die Rohrspatzen, die sogenannten Experten im Internet und in den Fachmedien. Die dritte Generation des 1ers gebe mit dem Heckantrieb auch das Alleinstellungsmerkmal des Autos auf. Jeglichen Fahrspaß ohnehin. Dabei sollte längst jedem klar sein, dass die Realität weit weniger Enthusiasmus für traditionelle BMW-Tugenden aufbringt, als die hartgesottenen BMW-Anhänger vielleicht glauben. Sprechen Sie mal mit einem Münchner Produktmanager. Der wird Ihnen sagen, dass es der überwiegenden Mehrheit der 116i- oder 118d-Fahrer völlig Schnurz ist, ob ihre Motoren längs oder quer eingebaut sind, ob die Kraft auf die Vorder- oder die Hinterräder übertragen wird. Sie wollen lieber mehr Platz im Fond und einen praktischeren/größeren Kofferraum. 

All das kriegen sie nun. BMWs UKL2-Frontantriebsplattform sei Dank. Ein "deutlich spürbares Plus an Agilität" soll es ebenfalls geben. Dass sich der Hersteller bei jedem gebauten 1er auch noch einen schönen Batzen Geld spart, steht natürlich nicht im Werbeprospekt. Aber Skaleneffekte sind etwas ganz tolles. Und neben den beiden Minis Countryman und Clubman, den 2er-Tourer-Vans sowie den SUVs X1 und X2 ist der neue 1er nun schon das siebte Auto mit dem Fronttriebler-Unterbau.

Auch wenn man es nicht gut finden muss, dass BMW seinen kompakten Bestseller (rund 2,5 Millionen Einheiten seit 2004) komplett umgekrempelt hat - spannend ist es allemal. Denn letztlich muss auch ein 1er, der die Vorderachse antreibt, fahrdynamisch die Benchmark in seiner Klasse setzen.  

Wie soll das gehen?

Gegenüber dem Vorgänger hat der neue 1er eine steifere Karosserie, ist bis zu 30 Kilo leichter. Von seinen Plattform-Geschwistern hebt er sich durch spezifische Fahrwerkskomponenten und eine reibungsärmere und damit gefühlvollere Lenkung ab. Neben dem Standard-Fahrwerk gibt es auch ein Adaptiv-Fahrwerk mit zwei Dämpfer-Settings sowie ein M-Sportfahrwerk mit 10 mm Tieferlegung.

BMW 118d im Test (2019)

Unwürdigem Untersteuern und hässlichen Antriebseinflüssen in der Lenkung rücken die BMW-Ingenieure mit viel Technologie auf die Pelle.  Das neue ARB-System (aktornahe Radschlupfbegrenzung) kommt vom elektrischen Bruder i3s. Dabei wird ein Teil der Traktionskontrolle nun direkt vom Motorsteuergerät übernommen, nicht mehr vom ESP-Steuergerät. Die Regelung erfolgt geschmeidiger und gefühlt zehn mal schneller, sagt BMW. Zweiter Baustein ist die sogenannten Performance Control, die Fronttriebler-typisches Nachaußenschieben in der Kurve durch Bremseingriffe an den kurveninneren Rädern verhindern soll.  

Dann mal Butter bei die Fische: Wie fährt der neue 1er mit Frontantrieb?

Im Großen und Ganzen sehr positiv. Wenn Sie bisher nicht permanent seitwärts durch Kreisverkehre geschossen sind oder Autobahnauffahrten mit qualmenden Hinterreifen genommen haben (wer hat das schon mit einem normalen 1er?), dürften Sie wenig bis gar nichts vermissen. Hier kommt ein sehr rundes Kompaktauto, dass sich überaus geschmeidig und agil bewegt. Initial wirkt die Sitzposition einen Ticken zu hoch, aber das gibt sich nach ein paar Minuten. Neben dem M135i (für den Test bitte hier klicken) stellte BMW beim Fahrtermin lediglich den 118d mit Zweiliter-Biturbo-Diesel und 150 PS/350 Nm zur Verfügung. Untersteuern ist, wenn man es nicht völlig übertreibt oder die Kurve komplett versemmelt, kein Thema. Antriebseinflüsse in der Lenkung sind trotz des stattlichen Drehmoments so gut wie gar nicht zu spüren. Zumindest ist das so, wenn die Straße trocken ist. Ob und wie sehr sich das Fahrverhalten des Autos bei Nässe zum Negativen verändert, war beim ersten Test leider nicht herauszufinden.   

BMW 118d im Test (2019)

Die Lenkung ist zackig, wirkt natürlicher und angenehmer als zuletzt. Der 1er lenkt schnell und positiv ein, tendiert aber glücklicherweise nicht zu hibbeliger Nervosität, wie das zum Beispiel beim X2 auftreten kann. Außerdem ist, zumindest mit dem optionalen Adaptiv-Fahrwerk, vortrefflich gefedert. Sehr komfortabel, aber nie weich oder lätschern. Insgesamt ein sehr hochwertiges und durchaus dynamisches, unterhaltsames Fahrverhalten. Rein vom Fahren ist das hier ein gutes Stück sportlicher, mitteilsamer und auch besser als eine Mercedes A-Klasse oder ein Audi A3. Dass er jetzt mehr fährt, wie jeder andere Kompakte und seine besondere Stellung innerhalb des Segments verloren hat, mag bei der Performance-Version M135i sicher von Relevanz sein. Bei den Brot-und-Butter-Varianten des neuen 1er fällt es - und sorry, dass ich die Romantik zerstöre - einfach nicht so sehr ins Gewicht.

Und der Antrieb? 

Zum Start des neuen BMW 1er gibt es zwei Benziner und drei Diesel. Den Einstieg markiert der 1,5-Liter-Dreizylinder im 118i. Nach Überarbeitung leistet er nun 140 PS und 220 Nm. Topmodell ist der M135i mit Zweiliter-Turbo und 306 PS/450 Nm. Neben dem bereits erwähnten 118d kriegen Sie im Selbstzünder-Bereich auch den dreizylindrigen 116d mit 116 PS/270 Nm, der bereits Euro 6d erfüllt. Diesel-Topmodell ist der 120d, ebenfalls ein Zweiliter-Biturbo mit 190 PS/400 Nm. Die Flaggschiffe 135i und 120d kommen serienmäßig mit Allradantrieb und 8-Gang-Automatik. Alle anderen Varianten sind ab Werk mit Frontantrieb und 6-Gang-Handschalter ausgerüstet. Für die beiden Dreizylinder ist optional eine 7-Gang-Doppelkupplung zu haben, für den 118d ebenfalls die 8-Gang-Box. 

In dieser Konfiguration dürfte Letzterer wohl das Verkaufszugpferd im 1er-Lineup werden. Zumindest im Firmenkunden-Bereich. Ob er deshalb als einziger normaler 1er (neben dem 135er) bei der Fahrvorstellung zur Verfügung stand, weiß ich nicht. Oder die Füchse in der BMW-Presseabteilung wollten einfach sicher gehen, dass das neue Auto einen guten Eindruck hinterlässt. Mission erfüllt, würde ich sagen. Der neue Vierzylinder-Biturbo-Diesel zieht angenehm und gleichmäßig durch, stellt seine Kraft gut nutzbar zur Verfügung. Er wirkt für den normalen Gebrauch kräftig und absolut schnell genug. Mehr braucht man eigentlich nicht. Vor allem auch, weil er sich akustisch vornehm zurückhält und nervige Vibrationen nahezu vollständig ausblendet. Im Paket mit der unauffälligen, effektiven Aisin-Automatik ist das hier ein sehr stressfreier und sparsamer Antrieb. Die 4,1 Liter Normverbrauch dürften zwar nur selten zu erreichen sein, aber mit um die fünf, fünfeinhalb Liter dürften Sie im Schnitt schon hinkommen. 

Ähm, er sieht ein bisschen aus wie ein Van?

Hm, naja ... die gewohnte Form mit der langen Motorhaube ist nun natürlich Geschichte. Jetzt sieht er mehr aus wie das Produkt einer heißen Liaison zwischen BMW X2, einer Mercedes A-Klasse und einem einschüchternd großen Grill. Ganz unüblich für heutige Verhältnisse, legt er größenmäßig kaum zu. Mit 4,32 Meter ist er gar einen halben Zentimeter kürzer als bisher und auch der Radstand schrumpft um zwei Zentimeter auf 2,67 Meter. Dafür wächst er um 3,5 Zentimeter in die Breite (1,80 Meter) und um gut 1,5 Zentimeter nach oben (1,434 Meter). LED-Lichter kosten vorne und hinten Aufpreis, die Räder messen in der Basis 16 Zoll. Erstmals kriegen Sie in einem 1er aber bis zu 19 Zoll große Felgen. Die Dreizylinder erkennen Sie an einem 90-mm-Auspuffendrohr, die Vierzylinder haben gleich zwei davon.

Wie ist er innen?

Ganz abgesehen von all den Kein-Heckantrieb-kein-Sechszylinder-mehr-Diskussionen scheint das Interieur das große Thema beim neuen 1er zu sein. Öffnen Sie die Fahrertür (von mir aus auch die Beifahrertür) und Sie blicken auf ein Cockpit, dass aussieht, wie im 3er. Gute Sache eigentlich, mit insgesamt höherwertigen Materialien. Auch wenn die Dekorleisten und die Lüftungsdüsen etwas lieblos aussehen. Nachts ist es vermutlich besser, denn nun hat auch der 1er eine umfangreiche Ambiente-Beleuchtung. 

BMW 118d im Test (2019)
BMW 118d im Test (2019)
BMW 118d im Test (2019)

Sprechen wir über Bildschirme: Serienmäßig kriegen Sie jetzt einen 8-Zoll-Infotainment-Screen sowie analoge Instrumente mit 5,1-Zoll-Anzeige in der Mitte. Das Maximum (BMW Live Cockpit Professional) kommt in Form zweier 10,25-Zoll-Displays für Infotainment und Instrumente. Dazu können Sie erstmals ein 9,2-Zoll-Head-up-Display ordern. Ich werde wohl nie ein Freund der neuen digitalen Instrumente, sie sind einfach nicht besonders gut abzulesen und bieten zu wenig Spielereien, um sie ernsthaft gegenüber den klassisch-schönen Analog-Anzeigen zu rechtfertigen. Das Infotainment ist hingegen einmal mehr eine Wucht. Touchen, reden, gestikulieren oder klassisch am iDrive-Rädchen drehen? Auch im kleinen 1er lässt Ihnen BMW die freie Wahl und es funktioniert prächtig.

Rein funktional gibt es hier drin wenig zu kritisieren. Über den Charme des 1er-Innenraums kann man jedoch mal wieder trefflich streiten. Wenn das A-Klasse Interieur eine rauschende Party auf einem Tech-Startup-Kongress ist, kommt einem das BMW-Wohnzimmer vor wie die Weihnachtsfeier des örtlichen Elektronikmarkts. 

Der hat nun immerhin einen spürbar größeren Raum gemietet. Schon vorne fühlt sich der 1er durch einen niedrigeren Mitteltunnel und mehr Breite luftiger an. Hinten kann man viel würdevoller einsteigen, hat drei Zentimeter mehr Beinfreiheit und obendrein mehr Raum für Schultern und Köpfe. Außerdem rutschen die Füße gut unter den Vordersitz. Sie sollten sich nur darüber im Klaren sein, dass der 1er deswegen nicht gleich zum ultimativen Raumwunder mutiert ist. Es ist besser als vorher, aber opulent ist es nach wie vor nicht.  

Bliebe noch der Kofferraum. Der fasst mit 380 nun 20 Liter mehr als bisher. Neu ist eine steilere Zwischen-Arretierung der Rückbank, die 40 weitere Liter bringt. Legt man alles um, passen wie zuletzt 1.200 Liter in den 1er. Allerdings steigt die Mindestbreite des Gepäckraums nun um fast sieben Zentimeter. Außerdem gibt es einen sehr gut nutzbaren doppelten Ladeboden sowie erstmals im 1er auch eine elektrische Heckklappe.  

Was die Assistenzsysteme betrifft, schließt der 1er zu seinen größeren Geschwistern auf. Dass er auf Wunsch Abstand und Spur hält, versteht sich mittlerweile von selbst. Neu sind jetzt auch hier der nahezu allwissende Sprachassistent „Hey BMW“ sowie der Rückfahrassistent, der Sie rettet, wenn Sie sich in einer engen Gasse mal wieder hoffnungslos festgefahren haben. Dazu speichert er die letzten 50 gefahrenen Meter (nicht schneller als 36 km/h) und fährt sie auf exakt der gleichen Linie rückwärts wieder zurück (mit maximal 9 km/h). Ach ja, wenn Sie wollen können Sie nun auch im 1er ihr Smartphone als digitalen Schlüssel benutzen. Funktioniert derzeit allerdings nur mit den neuesten Samsung Galaxys und Android 8.0.

Soll ich ihn kaufen?

Ich weiß nicht, ob Sie als Fahrer eines (oder Interessent an einem neuen) 1er wirklich so viel Wert darauf legen, welche Achse angetrieben wird. Wie anfangs erwähnt, dürfte es den meisten Kunden relativ egal sein. Vor allem, wenn die Wahl nicht auf einen M135i, sondern auf einen 118i, 116d oder 118d fällt. Das ist die große Masse. Die Versionen, die die Menschen wirklich kaufen. Ich will wahrlich keine Koryphäen entweihen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand daherkommt und ernsthaft sagt: „Mein alter 116er hat so viel Fahrspaß gebracht und die neue Fronttriebler-Möhre tut das nicht mehr.“

Vor allem, weil es nicht stimmt. BMW hat TROTZ FRONTANTRIEB ein sehr gut austariertes, sehr geschliffenes und dynamisches Auto gebaut, das angenehm und unterhaltsam zu fahren ist. Angenehmer und unterhaltsamer als die meisten anderen Fronttriebler, die ich kenne (unterhalb der Hot-Hatch-Klasse, versteht sich).

Geht es nur ums Fahren, steckt der neue 1er auch seinen ärgsten Konkurrenten aus Stuttgart in die Tasche. Beim Innenraum-Ambiente und den coolen Tech-Gimmicks hat die A-Klasse aber gefühlt die Nase vorn. Das vieldiskutierte bessere Platzangebot, dass der neue Baukasten dem 1er beschert, ist spürbar, aber nicht überwältigend. Insgesamt ein sehr runder, hochwertiger und fantastisch entwickelter Kompaktwagen mit überdurchschnittlicher Fahrdynamik. Dass er mit dem Heckantrieb sein Alleinstellungsmerkmal verloren hat, fällt vielleicht beim sportlichen M135i ins Gewicht, bei den normalen Versionen sollte (und wird) es für die meisten Fahrer keine Rolle spielen. 

Fazit: 8/10

Bildergalerie: BMW 118d im Test (2019)

Technische Daten und Preis BMW 118d

Motor Vierzylinder-Biturbodiesel; 1.995 ccm
Antrieb Vorderradantrieb
Getriebeart 8-Gang-Automatik
Leistung 110 kW(150 PS) bei 2.500-4.000 U/min
Max. Drehmoment 350 Nm bei 1.750-4.000 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 8,4 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 216 km/h
Länge 4,32 Meter
Breite 1,80 Meter
Höhe 1,43 Meter
Leergewicht 1.505 Kilo
Zuladung 550 Kilo
Kofferraumvolumen 380-1.200 Liter
Verbrauch Normverbrauch: 4,1 Liter
Emission 108 g/km CO2
Basispreis 34.500 Euro