Was ist das?

Es ist ja inzwischen schon wirklich schwierig mit McLaren und dem Auseinanderhalten. Sollte es so etwas wie professionelle Nischen-in-der-Marktnische-Sucher geben, dann hat der britische Sportwagenhersteller sicher einen Großteil davon beschäftigt.

Das gilt vor allem für das Portfolio in der eigenen "Einstiegslinie" Sports Series. Sollten Sie alle Sports Seriesses aufzählen können, ist es vielleicht an der Zeit, sich bei "Wer wird Millionär" anzumelden. Das hier aber ist die letzte Ausbaustufe (na gut, ein 620 R wurde auch noch eingeschoben). Für viele ist sie wohl auch die Begehrenswerteste. Erinnern Sie sich noch an den 600LT? Nun, das hier ist die Roadster-Variante. 

McLaren 600LT Spider (2021) im Test
McLaren 600LT Spider (2021) im Test

Vor Uhrzeiten galt es mal als Sakrileg, Hardcore-Track-Supercars deutlich schwerer zu machen, in dem man ihnen das feste Dach klaute. Aber nicht nur McLaren hat, etwa mit dem 675LT, bewiesen, dass das inzwischen problemlos mit absolut brillanten Ergebnissen in Einklang zu bringen ist.  

Die Transformation vom Hardtop-570S zum Hardtop-600LT wurde hier quasi eins zu eins wiederholt. Nur eben ohne Hardtop. Dass die Spider-Werdung schwerer macht, war auch hier nicht zu vermeiden. Die 48 Kilo dürften allerdings zu verschmerzen sein. Gelobt sei in diesem Zusammenhang einmal mehr das hauseigene Monocell-II-Monocoque, das so fürchterlich steif ist, dass es einfach keine zusätzlichen Verstrebungen nötig hat. 

Trotz all des Schnickschnacks, den so ein elektrisch faltbares Klappdach mit sich bringt, ist dieses Cabrio 50 Kilo leichter als ein 570S Coupé. Gegenüber seinem nächsten Verwandten, dem 570S Spider sind es gar zwei Zehntner. 

Das setzt allerdings voraus, dass man die richtigen (und sündteuren) Häkchen in der Aufpreisliste setzt. Die - entschuldigen Sie mein Vokabular - affengeile Top-Exit-Auspuffanlage (-12,6 Kilo), Leichtbau-Fahrwerkskomponenten (-10,2 Kilo), neue Schmiederäder mit Pirelli Trofeo-Pneus (-17 Kilo) und einteilige Carbon-Sitze aus dem P1 (-21 Kilo) sind Serie. 

Wenn Sie aber wollen, dass Ihr Spider dürr ist wie ein kalifornischer Rockstar, empfiehlt sich das sogenannte Clubsport-Paket bestehend aus den noch leichteren Stühlen des Senna (-5,6 Kilo), mehr Carbon im In- und Exterieur und Titanradschrauben für läppische 22.990 Euro. Ganz Hartgesottene können zudem die Klimaanlage (-12,6 Kilo) und das Soundsystem (-3,3 Kilo) eliminieren. Kommt halt ganz darauf an, wie viel Verzicht Sie ihn Ihrem offenen 250.000-Euro-Tracktool zu ertragen bereit sind. 

Laut McLaren ist der 600LT Spider mindestens 80 Kilo leichter als jeder seiner Rivalen. Einzig der feste Heckflügel addiert Gewicht zu dieser anorektischen Flunder. Es sind 3,5 Kilo.  

McLaren 600LT Spider (2021) im Test

Jetzt aber genug vom Gewicht. Highlights gibt es nämlich auch sonst genug. Diverse Neuteile stammen vom größeren 720S. Dazu zählen die Bremse, die Doppelquerlenker und die hinteren Spurstangen, steifere und dickere Stabis und eine effizientere Wasserpumpe. Die adaptiven Dämpfer werden vom 570S übernommen, allerdings mit einer optimierten Abstimmung. Dazu kommen 10 mm mehr Spurweite und eine Tieferlegung um 8 mm.  

Die 30 Mehr-PS des 3,8-Liter-Biturbo-V8 (600 PS/620 Nm) ergeben sich - zumindest teilweise - durch den nach oben austretenden Auspuff. Er ist einen ganzen Meter kürzer und erzeugt weniger Abgas-Gegendruck. 

Immer wieder interessant sind auch die Asse im Ärmel der 7-Gang-Doppelkupplung. Der "Ignition Cut" im Sportmodus, ermöglicht schnellere Gangwechsel durch eine kurzzeitige Unterbrechung des Zündfunkens während eines Schaltvorgangs. Der "Inertia Push" im Track-Mode nutzt die kinetische Energie des Schwungrads für einen Drehmomentimpuls beim Einlegen des nächsten Gangs.

Und dann wäre da noch der Hauptgrund für den 20.000-Euro-Aufpreis gegenüber dem 600LT Coupé - das klappbare Carbon-Dach fieselt sich innerhalb von 15 Sekunden in und aus dem Verdeckkasten und das bis zu Geschwindigkeiten von 40 km/h.

Wie fährt er?

Es ist schwer zu glauben, weil es sich um einen McLaren handelt. Und weil dieses Auto natürlich so viele andere Sensationen zu bieten hat. Aber das, was hier mit am meisten hängen bleibt, ist der Sound. Dieser völlig irre Sound. Dank gebührt in diesem Fall einem kleinen Stück Glas, das per Knopfdruck absenkbar ist. Es handelt sich um die Heckscheibe, die unabhängig vom Dach bedient werden kann. Am besten also Dach rauf (damit weniger andere Geräusche stören), Scheibe runter und zuhören, wie die eigenen Lauscher bersten. Es ist wohl das coolste Gimmick am Spider und einer der Hauptgründe, ihn dem Coupé vielleicht vorzuziehen.  

Es ist ja nicht nur die Lautstärke, die spätestens ab 6.000 Touren so richtig kriminell wird. Es ist die Klarheit und Härte dieses infernalischen Geschreis. Diese Attribute passen übrigens auch ganz wunderbar zum Fahrverhalten des Autos. Wie die Gangwechsel reinknallen, wie gierig die Lenkung tanzt, wie die Bremsen beißen und immer wieder dieser absolut lächerliche Schub des Biturbo-Achtzylinders.   

Klar, dass die Sportgeräte aus Woking anschieben wie der Teufel, ist jetzt wirklich nichts Neues, trotzdem frostet es einem bei der gebotenen Kombi aus Kraft, Drehvermögen und Mini-Gewicht jedes Mal aufs Neue das Gehirn. Anschließende Lachanfälle der Ungläubigkeit inklusive. Da verzeiht man ihm dann auch, dass es noch immer ein wenig dauert, bis die Turbos so richtig in die Gänge kommen. 

Wie unglaublich flach, aggressiv, räuberisch sich der LT mit seiner noch niedrigeren und strafferen Federung durch ein kurviges Stück Landstraße fräst, ist nicht minder beeindruckend. Die eigenen Finger sind förmlich unter Strom, weil die (noch immer hydraulische) Lenkung so viel Gefühl und Information durch sie hindurchjagt. Auf jeden noch so winzigen Befehl folgt eine Reaktion, deren Unmittelbarkeit wirklich schwer zu begreifen ist. Es dürfte fast unmöglich sein, ein weiteres Hardcore-Supercabrio zu finden, dass mit so viel Fokus und Aggressivität durch die Lande knallt.  

Besonders auffällig gegenüber einem 570S ist der Zugewinn an Ruhe und Stabilität im Vorderwagen. Gerade bei höheren Geschwindigkeiten auf der Autobahn tendiert der 570 ja sehr gerne zum Flattern und Wandern. Der 600 LT dagegen klebt souverän an der vorgegebenen Linie.

Und alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, funktioniert trotz des völlig absurden Umstands, dass auf meinem Testwagen - ich traue es mich kaum auszusprechen - Winterreifen montiert waren. Es wird vermutlich der einzige Satz Winterpellen sein, der je an einem McLaren 600LT Spider steckte/stecken wird. Zumindest wäre das meine dringende Empfehlung, denn letztlich waren die armen Sottozeros mit der schieren Power des LT dann doch ein wenig überfordert. 

Von Untersteuern merkte man auch mit den deutlich kompromissbehafteteren Pneus nichts, aber das Heck wurde bei stärkerem Gaseinsatz aus der Kurve heraus schneller unruhig als wohl ursprünglich angedacht. Schließlich drücken der Heckflügel und der monströse Diffusor das Auto schon merklich heftiger in den Boden als bei den übrigen Sports Series-Modellen.

Es will gar nicht so recht in meinen Kopf, welche absurden Levels an Grip und Bremsperformance das Auto mit den eigentlich montierten Pirelli Trofeo R-Cupreifen erreichen kann. Das alles ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der LT vorne mit vergleichsweise klapperdürren 225er-Schlappen unterwegs ist.   

Apropos erstaunlich: Ein paar Zahlen dürfen in diesem Zusammenhang natürlich nicht fehlen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt geschlossen bei 324 km/h, offen sind es 315. 0-100 km/h dauern wie im 600LT Coupé 2,9 Sekunden, die 0-200 km/h sind in 8,4 Sekunden und damit zwei Zehntel langsamer erledigt. Die kapitalen Beschleunigungswerte sind sicher auch ein Verdienst von McLarens formidabler Launch Control, die einen Hecktriebler wohl effektiver vom Fleck bringt als jedes andere System da draußen. 

Und im Alltag?

Trotz absolut fantastischer Sitze und eines zwar straffen, aber herausragend gedämpften Fahrwerks ist der 600LT Spider kein entspannter Roadster. Lässiges Gecruise oder Stop and Go in der Stadt sind absolut nicht sein Metier. Je härter man ihn fährt, desto mehr bricht er das Eis. Er ist, und das ist verdammt gut so, ein extremes, aufs Wesentliche reduziertes Supercar mit Rennstrecken-Fokus. Und das geht nicht ohne Kompromisse.

Bei niedrigen Drehzahlen schütteln die Vibrationen des Motors das ganze Auto durch. Inklusive des Rückspiegels, in dem man dann nichts mehr sieht. So wunderbar die Keramikbremse beim ambitionierteren Angasen zu modellieren ist, wenn man nur herumrollt, braucht sie einen relativ harten Tritt, bis etwas passiert. Zu den Nässe-Eigenschaften der Trofeo Rs kann ich natürlich nichts sagen, aber ich denke, man sollte auf der Hut sein und schön das ESP anlassen. 

Und dann wäre da noch das Interieur, das eines mindestens 250.000 Euro teuren Autos nicht so richtig würdig ist.

Wie ist er innen?

Sehr viel Leder und Alcantara hier drin. Trotzdem wirkt der Innenraum maximal nüchtern. Man kann das als Reduzierung aufs Wesentliche feiern oder es stinklangweilig finden. Teppiche gibt es übrigens nicht. Spart 7 Kilo. Ein Handschuhfach auch nicht. Wieder 1 Kilo weg. Und überlegen Sie sich gut, ob Sie wirklich die minimalistischen Carbon-Schalensitze des Senna wollen, denn das Serien-Gestühl ist eine Macht und obendrein saubequem. 

Sitzposition? Absolute Perfektion. Und jedes Mal, dass du in einem McLaren sitzt, denkst du dir - warum zieht den sonst keiner die Windschutzscheibe so weit nach unten? Die Sicht ist phänomenal und man fühlt sich, als würde man den Asphalt aufsaugen, so nah ist man an ihm dran. Ebenfalls verdammt cool: Das satte Klacken der Schaltpaddles, die man übrigens in beide Richtungen bedienen kann. Sprich: Man kann auch auf einem Paddle rauf- und runterschalten. 

McLaren 600LT Spider (2021) im Test
McLaren 600LT Spider (2021) im Test

Warum dann die ganze Aufregung? Erstens, weil es mir hier drin alles ein bisschen zu viel klappert und knarzt, wenn man bedenkt, wie groß der Scheck ist, den man dafür ausgestellt hat. Und zweitens, weil McLarens Infotainmentsystem zum größten Mist gehört, der jemals seinen Weg in ein Auto fand. "Rudimentär" wäre noch die höfliche Beschreibung. Es ist absolut unintuitiv, verfügt über miserable Grafiken und produziert ständig Fehler. Gott sei Dank wird es im Artura ein komplett neues System geben. Es kann nur besser werden.

Ein Wort noch zum Dach: Es öffnet und schließt auf Knopfdruck. Ist es geschlossen, erhält man 52 Liter Extra-Stauraum. Unter der Fronthaube ist Platz für 150 Liter Gepäck.

Fazit: 9/10

Auch der 600LT Spider ist so viel mehr als nur ein schnellerer, härterer 570S. Die Schärfe, die Präzision und das Gefühl im Handling sind nochmal auf einem anderen Level. Und wie schon beim 675LT Spider sind die Unterschiede zum Coupé so unglaublich gering, dass selbst den hartgesottenen Verfechtern der "Cabrios-sind-keine-seriösen-Performanceautos"-Philosophie die Argumente ausgehen.  

Man muss halt schon damit leben können, dass es mit dem Feinschliff hier und da nicht so weit her ist. Bei allem, was nicht unmittelbar mit dem Fahren zu tun hat, sind andere Hersteller sicher besser. Aber ums Fahren geht es ja wohl hoffentlich bei so einem Produkt und hier ist es schwer vorstellbar, ein anderes Auto zu finden, das einen mit so vielen Sensationen, mit so viel Thrill und Talent beglückt. Und dazu noch mit einem derart meisterlichen Klang, der Welten besser ist als bei jedem anderen Sports Series-Modell. 

Beim jüngsten LT, dem 765, gab es von einigen Experten die Kritik, McLaren habe den Bogen überspannt und ein fast schon unfahrbares Biest kreiert. Ganz anders ist es bei diesem Long Tail - ein Fahrerauto par Excellence. Perfekt zu beherrschen, aufregend ohne Ende.

Bildergalerie: McLaren 600LT Spider (2021) im Test

Bild von: Fabian Grass

Technische Daten und Preis McLaren 600LT Spider

Motor Biturbo-V8; 3.799 ccm
Getriebeart 7-Gang-Doppelkupplung
Antrieb Hinterradantrieb
Leistung 600 PS bei 7.500 U/min
Max. Drehmoment 620 Nm bei 5.500-6.500 U/min
Leergewicht 1.479 kg (mit Fahrer)
Beschleunigung 0-100 km/h 2,9 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 324 km/h
Verbrauch Normverbrauch: 12,2 Liter
Emission 276 g/km CO2
Basispreis 250.000 Euro