Allrad hat bei Audi einen Namen: quattro. Ein begehrter Name, denn über 40 Prozent der im Jahr 2015 verkauften Audi-Fahrzeuge waren mit Vierradtechnik ausgerüstet. Allein in Deutschland wählten rund 120.000 Kunden die Allrad-Option. Für die Finanzen des Konzerns ist das prima, mit Blick auf immer strengere Verbrauchsnormen ein Problem. Schließlich fordert das Plus an Traktion einen Zuschlag an der Tankstelle. Die Lösung soll zukünftig bei einigen Modellen "quattro ultra" heißen.

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Bei einigen Modellen? Ja, denn nicht bei jedem Auto mit dem legendären Zusatz am Heck ist derselbe Allradantrieb drin. Bei Fahrzeugen mit längs eingebautem Frontmotor (MLB-Plattform, etwa A4, Q5 und A6) bildet ein selbstsperrendes Mittendifferenzial das Herzstück. Dadurch können bis zu 70 Prozent des Drehmoments nach vorne oder maximal 85 Prozent nach hinten geleitet werden. Andere Lösungen sind ein Sportdifferenzial (etwa bei RS 6 und RS 7), eine elektrohydraulische Lamellenkupplung für Modelle des modularen Querbaukastens MQB (S1, TT, A3) und ein geregeltes Vorderachsdifferenzial im Audi R8.

Doch unser Hauptaugenmerk liegt hier und jetzt auf dem MLB-Allradantrieb, also den Modellen A4, Q5 und A6. Entwicklungsingenieur Florian Kolb erzählt mir, worin der Zielkonflikt liegt: Maximaler Fahrspaß plus optimale Traktion bedeuten einen Mehrverbrauch. Neben dem Aufpreis schreckt das so manchen potenziellen Kunden ab, der nur gelegentlich Allrad benötigt. Daher haben Kolb und seine Kollegen jetzt ein System namens ,quattro ultra" entwickelt. Der bei Audi für besonders sparsame Modelle verwendete Zusatz ,ultra" zeigt die Zielrichtung an: weniger Verbrauch. Die Lösung: Der Allradantrieb ist immer dann deaktiviert, wenn er nicht gebraucht wird, bleibt jedoch permanent verfügbar. Stark vereinfacht formuliert, wird die Hinterachse bei Bedarf stillgelegt.

Wie funktioniert das System? Die quattro-Elektronik ist mit einer Vielzahl von Steuergeräten vernetzt. Im Takt von zehn Millisekunden (also hundertmal pro Sekunde) werden Daten wie der Lenkwinkel, die Quer- und Längsbeschleunigung oder das Motormoment erfasst und bewertet. Die Zuschaltung des Allradantriebs erfolgt in einer dreistufigen Strategie. Stufe eins ist die proaktive Ebene: Hier rechnet das Steuergerät etwa eine halbe Sekunde weit voraus und ermittelt aus den Daten zum Beispiel den Punkt, an dem das kurveninnere Vorderrad die Haftgrenze erreicht.

Stufe zwei läuft unter dem Begriff ,prädiktiv", also vorausschauend. Hier orientiert sich das Steuergerät am Stil des Fahrers, am Status des ESP, am gewählten Fahrmodus (automatisch, dynamisch oder effizient) und der Anhängererkennung. Stufe Nummer drei ist quasi der Notfallmodus. Bei plötzlichen Reibwertveränderungen greift das ,reaktive Zuschalten", etwa wenn die Räder vom trockenen Asphalt auf eine Eisplatte geraten. Innerhalb von nur 0,2 Millisekunden wird auf Allrad umgeschaltet, für die Umstellung auf Frontantrieb nimmt sich das System etwas mehr Zeit.

Für die Zu- und Abschaltung sind zwei Kupplungen verantwortlich. Beim Wechsel in den Frontantrieb koppelt eine Lamellenkupplung am Ausgang des Getriebes die Kardanwelle ab. Im Hinterachsgetriebe öffnet zudem eine integrierte Trennkupplung und legt diesen Bereich gewissermaßen ,still". Die zum jeweiligen Hinterrad führenden Wellen sind mit einem Klauenelement verbunden, beide Elemente lassen sich koppeln oder trennen. Die Öffnung erfolgt elektromechanisch, die Schließung über vorgespannte Federn.

Aber genug der Theorie, für Sie und mich ist die Praxis sicherlich interessanter. Zu diesem Zweck hat Audi einen A4 mit herkömmlichen Allradantrieb und einen A4 mit ,quattro ultra" bereitgestellt. In unserem Fall mit dem Doppelkupplungsgetriebe ,S tronic", eine Kopplung mit manueller Schaltung ist aber auch möglich. Im direkten Vergleich merke ich vom Zuschalt-Allrad nichts, im Cockpit weist auch nichts darauf hin, wann wie viele Räder angetrieben werden. Beides ist Absicht, erklären mir die Ingenieure bei der Analyse meiner Fahrdaten. Die zurückgelegte Strecke bestand aus kurvigen Bergstraßen, Stadtverkehr und Autobahn. Bei meinem gemäßigten Fahrstil pendelt sich das Verhältnis der genutzten Antriebsarten auf 50:50 ein. Klar, bei konstanter Fahrt auf der Autobahn oder beim Gondeln durch die Stadt brauche ich keinen Allrad, auf kurvigen und nassen Passstraßen schon eher. Und wie groß ist der Spareffekt? Die Audi-Entwickler haben auf ihrer hauseigenen Teststrecke rund 0,3 Liter auf 100 Kilometer herausgefahren. Aber das hängt natürlich vom Fahrertyp ab: Wer enge Kurven betont sportlich nimmt, spart weniger.

Erstes Modell mit dem selektiven Allradantrieb wird der Mitte 2016 auf den Markt kommende A4 allroad quattro sein,von dem es eine quattro-ultra-Variante gibt. Es folgen die Neuauflagen von Q5 und A6. Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Nicht ganz: Audi hätte noch die Navigationsdaten einbeziehen können, wie man es beim ,prädikativen Effizienzassistenten" im neuen A4 macht. Und auch die Idee eines Teilzeit-Allradantriebs ist nicht so ungewöhnlich. Beim Land Rover Discovery Sport wird zum Beispiel mittels zweier Lamellenkupplungen bedarfsgerecht zugeschaltet. Keine Revolution also von Audi, aber eine technisch interessante Lösung für die Zukunft.

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