Dochdoch, Vorurteile und Stereotype sind durchaus zu etwas gut: erstens, um sich in dieser verwirrend verrückten Welt überhaupt zurechtzufinden und zweitens, damit man am Stammtisch was zu reden hat. Und was sagt man dort zum Thema automobile Mittelklasse? Ganz einfach: Die Mercedes C-Klasse ist komfortabel, der BMW 3er ist sportlich, der Audi A4 ist sehr technisch, und alles andere kann man eh vergessen. Wir haben den am 13. November 2015 startenden, neuen A4 in der Kombiversion getestet und nach Anhaltspunkten für die vielbeschworene Technik-Fixierung von Audi gesucht.

Turbobenziner mit Miller-Brennverfahren
Als Motorisierungen für meine Testfahrten wähle ich einen Newcomer und einen Bestseller. Neu ist die 190 PS starke Version des 2.0 TFSI. Er hat nicht nur ein paar PS mehr als die alte Version, sondern hier wird erstmals im Konzern ein Miller-Zyklus eingesetzt. Die verwendete, modifizierte Form nennen die Ingolstädter (nach dem Audi-Motorenentwickler Ralf Budack) B-Zyklus. Mit den technischen Details will ich hier niemanden langweilen, aber das Wesentliche ist: Damit soll ein relativ großer Motor so sparsam werden wie ein kleiner, ohne Drehmoment einzubüßen.

Ein paar Zehntelliterchen weniger Verbrauch
Was den Bums angeht, so fühlt sich der Motor im A4 Avant gut an, die Beschleunigung ist erfreulich, auf den befahrenen Landstraßen fehlt mir hier gar nichts. Der Sound ist leicht knurrig, was mir gefällt. Aber der Verbrauch? Nach den ersten 45 Minuten Fahrt bin ich schockiert, denn der Bordcomputer meldet 9,4 Liter. Als ich später die gleiche Strecke zurückfahre, ergeben sich aber 6,4 Liter. Und mir wird klar, warum: Der Hinweg führte bergauf, zurück ging es bergab. Die gemittelten 7,9 Liter passen gut zum Normverbrauch der gefahrenen Version von 5,4 Liter – mein Testverbrauch ist praktisch immer 50 Prozent höher als der Herstellerwert. Wunder vollbringt das Brennverfahren aber offenbar nicht. Auch der Normverbrauch ist nur ein paar lumpige Zehntelliter niedriger als bei der Konkurrenz (BMW 320i Touring und Mercedes C 200 T-Modell).

Diesel mit kleinem Adblue-Tank
Der Bestsellermotor im A4 Avant ist natürlich der 2.0 TDI, den ich in der 190-PS-Version fahre. Das Drehmoment ist hier noch etwas höher als beim Benziner – es sind 400 statt 320 Newtonmeter. Aber das ist kaum spürbar: Beide Autos fahren sich flott, und die bei beiden verbaute S tronic bügelt die unterschiedliche Drehzahlcharakteristik glatt, indem sie beim Diesel einfach früher schaltet. Beim Sprint ist der Diesel gerade mal um 0,4 Sekunden langsamer, die Höchstgeschwindigkeit ist bei beiden fast gleich. Zwischen den beiden Motoren würde ich mich daher anhand der Preisliste und der Verbrauchswerte entscheiden. Ein Detail sollten Dieselfreunde aber auch berücksichtigen: Die SCR-Abgasreinigung will öfter mal mit Adblue beglückt werden. Der Serientank für das Additiv fasst zwölf Liter und das reicht laut Audi gerade mal für 7.000 Kilometer. Man sollte also auf jeden Fall den 24-Liter-Tank bestellen.

Leise – und ein wenig langweilig
Bei beiden Motorisierungen ist der bestimmende Eindruck im A4 Avant: Das Auto ist überragend leise! Mithilfe der Schaltwippen drehe ich den Benziner auf 5.500 Touren hoch und bin überrascht, dass man fast nichts davon hört. Auf langen Strecken – und der A4 Avant ist ja das Paradebeispiel für ein Autobahnauto – ist das sicher ein Vorteil, auf kurvigen Bergstrecken aber dämpft es die Fahrfreude. Dazu kommt noch, dass ich bei meinen S-tronic-Autos nicht richtig (will sagen: nicht mit einem Knüppel) schalten kann. All das macht das Fahren zwar komfortabel, aber auch langweilig. Man ermüdet nicht, dem Beifahrer wird es nicht so schlecht, wie es bei Serpentinen zu erwarten wäre, aber man wird auch nicht zu sportlichem Fahren animiert. Kaufen Sie sich also ruhig einen Mittelklassekombi, aber lassen Sie Geld übrig für einen Mazda MX-5 oder Ähnliches.

Definitiv straffer als eine C-Klasse mit Luftfahrwerk
In puncto Fahrwerk hat sich Audi nach reiflicher Überlegung gegen eine Luftfederung entschieden, wie sie bei der C-Klasse angeboten wird. Die Ingenieure fanden das Feature zu teuer. Dabei kostet es bei Mercedes mit rund 1.400 Euro nicht wesentlich mehr als die geregelten Dämpfer (etwa 1.000 Euro), für die sich Audi entschieden hat. Jedenfalls gibt es im A4 nun neben Serien- und Sportfahrwerk gleich zwei verschiedene Fahrwerke mit geregelten Dämpfern. Meine Testwagen haben das "Komfortfahrwerk mit geregelten Dämpfern". Nach einigem Hin- und Herschalten an der Drive-Select-Taste wähle ich die Abstimmung "Dynamic". Dann ist die Lenkung spürbar direkter, das Gaspedal spricht schneller an. So fährt sich das Auto definitiv straffer – und für mein Gefühl angenehmer – als eine C-Klasse mit Luftfahrwerk. Schön wäre noch eine Hinterradlenkung wie beim Q7 (der auf der gleichen Plattform namens MLB evo beruht) gewesen. Die hätte das Auto wohl wendiger und sportlicher gemacht, und wäre ein schönes Alleinstellungsmerkmal gewesen.

Makelloses Cockpit
Dass die Qualität über jeden Tadel erhaben ist und die Materialien schön sind, ist bei einem Audi eine Binsenweisheit. Das Cockpit wird beherrscht von einer rund einen Meter langen ,Breitbanddüse". Während es im A3 runde Ausströmer gibt, die wir für ihr sattes Einrasten lieben, wollten die Designer hier offenbar die Breite betonen. Das Virtual Cockpit haben wir schon bei etlichen Modellen bewundert, vom Audi TT über den Q7 bis zum VW Passat, aber die brillante Anzeige ist immer wieder schön anzusehen. Die optionalen Sportsitze sind meilenweit von Sitzschalen entfernt, mir bieten sie an den Oberschenkeln zu wenig Seitenhalt. Im Fond sitzt man aber auch als bekennender Sitzriese gut.

Weniger Platz als im Passat Variant
Und wie steht es um die Kombiqualitäten? Beim Kofferraumvolumen liegt der Avant auf gleicher Höhe mit Touring und T-Modell. Aber warum nur soll ein Premiumkombi weniger Gepäck fassen als ein Volumenmodell? Ein VW Passat Variant oder erst recht ein Skoda Superb Combi schluckt viel mehr. Außerdem gibt es beim Avant zwar eine Edelstahlleiste am Kofferraumeingang, die vor Kratzern schützt, aber eben auch eine Schwelle, über die man schwere Getränkekisten nicht so einfach herausziehen kann. Und die Rücksitze lassen sich zwar vom Heck aus entriegeln, aber sie klappen dann nicht von selbst nach vorne – anders als etwa im T-Modell.

Elektrisch bediente Abdeckung statt Rollo
Die Heckklappe wird nun serienmäßig elektrisch bedient – per Taste am Auto oder am Schlüssel. Optional gibt es eine Sensorsteuerung dafür: Auf eine ,Fußgeste" hin öffnet sie sich nicht nur, sondern sie lässt sich so auch wieder schließen – beim Superb Combi muss man den gerade herausgehobenen schweren Bierkasten erst abstellen, um eine Taste zu drücken. Statt des bei Kombis üblichen Laderaum-Rollos hat der Avant außerdem serienmäßig eine elektrisch bediente Gepäckraumabdeckung. Sie fährt beim Öffnen automatisch nach oben und beim Schließen wieder zurück – super. Positiv auch, dass es optional ein Schienensystem gibt, um kleinere Gepäckstücke an ihrem Ort zu halten. Und den Ladeboden kann man umdrehen, so dass man eine weniger empfindliche, glatte Oberfläche erhält.

Effizienzassistent für technoid Veranlagte
In puncto Technik bietet der A4 Avant so ziemlich alles, was es auch im Q7 gibt, und das ist ziemlich viel. Man kann das als Männerspielzeug abtun, aber ich muss zugeben, dass mich zum Beispiel der "prädiktive Effizienzassistent" fasziniert hat: Um ihn auszuprobieren, stelle ich den Abstandstempomaten auf Landstraßentempo. Zunächst fährt das Auto dann diese Geschwindigkeit. Doch vor dem ersten Kreisverkehr bremst das Auto automatisch auf 40 km/h herunter, und beschleunigt danach wieder – das Navi machts möglich. Auch die optische Verkehrszeichenerkennung wird einbezogen. Vorsprung durch Technik? Nun ja, es ist ein schöner Einstieg ins autonome Fahren. Technikaffine Fahrer werden begeistert sein. Obwohl es nur in etwa 70 bis 80 Prozent der Fälle funktioniert: Bei einigen (in den Navidaten nicht enthaltenen) Landstraßenkurven sucht mein Beifahrer panikartig nach dem Haltegriff.

Preise zwischen BMW und Mercedes
Die Preise für den A4 Avant 2.0 TDI mit 190 PS und S tronic beginnen bei 42.250 Euro. Damit liegt der Audi zwischen BMW und Mercedes. Den 320d Touring gibts mit Automatik schon für einen Tausender weniger, das C 250 d T-Modell ist runde 3.500 Euro teurer. Ein Seitenblick auf die Volumenkonkurrenz mag man mir gestatten: Fast 7.000 Euro günstiger als der Audi ist der Superb Combi mit 190-PS-Diesel und Doppelkupplungsgetriebe. Hier bleibt noch viel Gestaltungsspielraum für Extras, auch wenn Goodies wie Virtual Cockpit oder LED-Scheinwerfer im großen Skoda nicht verfügbar sind.

Wertung

    • ★★★★★★★★★☆

Ein misslungener Audi A4 wäre eine Riesenüberraschung gewesen. Nein, damit kann ich nicht dienen. Die gefahrenen Motoren bieten viel Leistung und Drehmoment – viel mehr, als für unsere Teststrecken nötig war. Das Komfortfahrwerk mit geregelten Dämpfern ist erfreulich straff. Das Virtual Cockpit und die sonstigen Hightech-Elemente sind klasse. Die Qualität ist super. Aber erstens lässt einen der A4 Avant etwas kalt, Begeisterung fürs Kurvenfahren will nicht aufkommen. Und zweitens hat Audi ein paar Kombipflichten vernachlässigt. Ein Schrägheck darf eine kleine Schwelle am Kofferraumeingang haben, aber ein Kombi nicht. Und da muss auch der Ladeboden komplett eben werden, und das wird er beim A4 Avant nicht. Wer den Avant kauft, weil es vom A4 keine Sportback-Version gibt, kann vielleicht darüber hinwegsehen, aber wer einen praktischen Kombi sucht, wird woanders glücklicher. Zum Beispiel beim Skoda Superb Combi, für den ich mich als premiumaverser Käufer in dieser Klasse entscheiden würde. Der bietet natürlich weniger Technik, ist dafür aber auch billiger und hat mehr Kofferraum.

+ sehr leise; starke Motoren; gutes geregeltes Komfortfahrwerk; faszinierende Hightech-Elemente

- kein ebener Ladeboden; Umklappen der Rücksitze unpraktisch; eher kleiner Kofferraum

  • Antrieb
    90%  
  • Fahrwerk
    90%  
  • Karosserie
    80%  
  • Kosten
    80%  

 

Preisliste


Audi A4 Avant 2.0 TDI (140 kW) S tronic

Grundpreis: 42.250 Euro
Ausstattungen Preis in Euro
Klimaautomatik Serie
Bildschirmnavigation ab 1.480
CD-Radio Serie
Metalliclackierung 890
Leichtmetallfelgen ab 250 (17 Zoll)
Tempomat 300
Lederausstattung ab 950
Xenonlicht Serie
Nebelscheinwerfer - (stattdessen scheinwerferintegriertes "Allwetterlicht")
Anhängevorrichtung 970 (schwenkbar mit elektrischer Entriegelung)
elektrisch bediente Heckklappe, elekrische Gepäckraumabdeckung Serie
Anti-Kollisionssystem Serie
Komfortfahrwerk mit geregelten Dämpfern 980
Assistenzpaket Tour (Abstandstempomat, prädiktiver Effizienzassistent etc.) 1.640
Matrix-LED-Scheinwerfer 1.900
Virtual Cockpit 500
Head-up-Display 980
Motor-Startknopf, elektrische Parkbremse Serie
Berganfahrassistent 80
kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung 300
Parkpiepser vorn und hinten 780

 

Datenblatt

Motor und Antrieb
Motorart Turbodiesel mit VTG, DOHC, SCR-Katalysator 
Zylinder
Ventile 16 
Hubraum in ccm 1.968 
Leistung in PS 190 
Leistung in kW 140 
bei U/min 1.750 
Drehmoment in Nm 400 
Antrieb Frontantrieb 
Gänge
Getriebe Doppelkupplungsgetriebe 
Maße und Gewichte
Länge in mm 4.725 
Breite in mm 1.842 
Höhe in mm 1.411 
Radstand in mm 2.824 
Leergewicht in kg 1.605 
Zuladung in kg 545 
Kofferraumvolumen in Liter 505 
Kofferraumvolumen, variabel in Liter 1.510 
Anhängelast, gebremst in kg 1.400 
Tankinhalt in Liter 40 
Fahrleistungen / Verbrauch
Höchstgeschwindigkeit in km/h 210 
Beschleunigung 0-100 km/h in Sekunden 7,9 
EG-Gesamtverbrauch in Liter/100 km 4,0 
EG-Verbrauch innerorts in Liter/100 km 4,7 
EG-Verbrauch außerorts in Liter/100 km 3,5 
CO2-Emission in g/km 104 
Schadstoffklasse Euro 6 
Weitere Informationen
1/moreName 12 Liter/7.000 km (optional: 24 Liter/14.000 km) 



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