Künstler kennen das Problem: Man hat einen Erfolg gelandet, aber lässt sich daran anknüpfen? Oder man liefert einen Hit nach dem anderen, darf aber nicht nachlassen. So gesehen ist der Tiguan seit 2007 der Konsalik-Roman, die Beatles-Platte und der 007-Film von Volkswagen. Acht Millionen Tiguan hat der Hersteller bislang global verkauft. Kann die Neuauflage daran anknüpfen? Wir sind sie schon gefahren und haben es herausgefunden.
Auf den offiziell freigegebenen Fotos zeigt sich der neue VW Tiguan noch getarnt, doch wir konnten bereits einen Blick auf das fertige Fahrzeug werfen. Soviel sei verraten: Der Tiguan bleibt sich im Design treu, die Frontpartie erinnert etwas an ID.4 und ID.5. Am Heck schlängeln sich die Leuchten künftig etwas mehr um die Seiten, zudem ergeben sie ein durchgehendes Band.
Etwa Geduld ist noch nötig
Wie in Wolfsburg üblich: Evolution statt Revolution. Die finale Enthüllung findet voraussichtlich im August 2023 statt. Im ersten Quartal 2024 soll der neue Tiguan dann auf den Markt kommen.
Der Tiguan wird das erste MQB-Modell sein, das mit den neu entwickelten "IQ.LIGHT – HD-Matrixscheinwerfern" auf den Markt kommt. Das interaktive Lichtsystem wurde parallel auch für den jüngst überarbeiteten Touareg entwickelt – beide SUV teilen sich also den Grundaufbau der Scheinwerfer. Sie werden beim Tiguan und Touareg serienmäßig für die Topversionen beider Baureihen erhältlich sein.
Großes Display und Gangwahl im ID.-Stil
Was fällt innen auf? Digitalität nach Art des VW Golf 8, aber wesentlich besser gemacht. Man hat die Klagen der Kundschaft hinsichtlich Wertigkeit, Verarbeitung, Bedienung und mauer Software vernommen. Der mittige Touchscreen ist wie im neuen ID.7 bis zu 15 Zoll groß (Serie: 12,9 Zoll), hat aber hinterleuchtete Regler für die Klimasteuerung. Besonders gut: Auf dem Mitteltunnel thront ein großer analoger Drehknopf.
Genauer gesagt: Der neue Fahrerlebnisschalter (FES) mit einem OLED-Display. Fortan können über diesen Schalter nicht nur die Fahrprofile respektive Allradprogramme eingestellt werden, sondern ebenso die Lautstärke und die Ambientelicht-Modi. Apropos analog: Am Lenkrad gibt es klassische Tasten statt Touch-Gedöns.
Generell wirkt die Materialanmutung im Cockpit hochwertig, obgleich wir es noch mit Vorserienfahrzeugen zu tun haben. Mehr Raum für Ablagen bieten zudem die Mittelkonsole, da die Getriebeschaltung analog zu den ID.-Modellen nun über einen Lenkstockhebel rechts vom Lenkrad erfolgt: nach vorn auf D drehen zum Vorwärtsfahren, nach hinten auf R drehen zum Rückwärtsfahren, seitlich drücken, um die Parkbremse zu aktivieren. Zudem kommt auf der linken Seite ein neuer, multifunktionaler Lenkstockhebel für die Blink- und Scheibenwischer-Funktionen zum Einsatz.
Der neue Tiguan und der neue Passat Variant (beide werden noch 2023 vorgestellt) haben eine gemeinsame technische DNA: den Modularen Querbaukasten in seiner neuesten Entwicklungsstufe, kurz MQB evo.
Abmessungen im Vergleich
Der neue Tiguan ist 32 mm länger (4.551 mm), aber mit einem Plus von 5 mm kaum höher (1.640 mm) als sein Vorgänger. Breite (1.939 mm) und Radstand (2.681 mm) bleiben konstant. Obwohl das SUV nur unwesentlich länger geworden ist, wächst das Kofferraumvolumen um 33 Liter auf jetzt 648 Liter (bei Beladung bis zur Höhe der Rücksitzlehnen).
Die Kopffreiheit verbessert sich vorn um weitere 9 mm (auf 1.058 mm) und hinten um 10 mm (auf 1.022 mm). Im Selbsttest zeigt sich: Wie gehabt gibt es hinten viel Beinfreiheit, auch vorne geht es luftig zu. Maximal darf der neue Tiguan übrigens bis zu 2,3 Tonnen ziehen.
Für beide Modelle wird Volkswagen ein neues Head-up-Display anbieten, das die Informationen in die Windschutzscheibe und damit in den virtuellen Raum vor dem Fahrzeug projiziert.
Neues Fahrwerk
Der MQB evo bildet die Basis für eine neue Fahrwerksgeneration von Passat Variant und Tiguan. Neben zahlreichen Einzelmaßnahmen hat VW für seine beiden Bestseller eine neue Generation des adaptiven Fahrwerks DCC entwickelt: das optionale DCC Pro. Darüber hinaus verfügen die neuen Modelle über den Fahrdynamikmanager, ein MQB-System, das im aktuellen Golf GTI Premiere feierte. Das System steuert die Funktionen der elektronischen Differenzialsperren (XDS) und die querdynamischen Anteile der bei DCC Pro geregelten Dämpfer.
Durch radindividuelle Bremseingriffe und radselektive Veränderung der Dämpferhärten macht der Fahrdynamikmanager das Fahrverhalten neutraler, stabiler, agiler und präziser. Die Grundarchitektur des Fahrwerks besteht aus einer MacPherson-Vorderachse und einer weiterentwickelten Vierlenker-Hinterachse.
Durch das neue DCC Pro wird die Allianz der adaptiven Fahrwerksregelung und des Fahrdynamikmanagers weiter verbessert. Gegenüber dem bekannten DCC mit üblichen 1-Ventildämpfern sind die Dämpfer des neuen DCC Pro mit zwei Ventilen ausgestattet. Damit einher geht ein angepasster Regelalgorithmus für die getrennte Zug- und Druckstufenansteuerung.
Die Diesel bleiben im Programm
Motorenseitig ist der neue Tiguan eine der letzten Baureihen, die neu noch mit Verbrenner kommen. Es gibt Turbodiesel (TDI), Turbobenziner (TSI), Mild-Hybrid-Turbobenziner (eTSI) und Plug-in-Hybride (eHybrid). Die Palette wurde bereits mit Blick auf eine künftige Euro-7-Abgasnorm entwickelt.
Die neuen Plug-in-Hybridantriebe liefern eine Systemleistung von 150 kW (204 PS) respektive 200 kW (272 PS). Im Vergleich zu den Vorgängern steigt die elektrische Reichweite je nach Ausstattung auf rund 90 bis 120 Kilometer. Zudem wird bei allen eHybrid-Versionen das AC-Laden schneller und das DC-Schnellladen erstmals serienmäßig möglich sein.
Und wie fährt sich das Ganze? VW-typisch eher unspektakulär, aber im Vergleich zum bisherigen Modell deutlich verbindlicher. Die Lenkung agiert präziser, besonders im Sport-Modus beim DCC Pro. In "Comfort" wird es weicher, dennoch ist die Indifferenz rund um die Mittellage vorbei. Auffallend auch: Wenig Untersteuern, obwohl der hohe Aufbau radikale Kurvenwilderei vereitelt.
Der Ingenieur neben mir drückt es so aus: Intuitive Lenkung, lineares Ansprechen. Ich würde sagen: Der Teller mit Schnittchen, die jedem schmecken. Keine schlechte Idee bei einem Bestseller. Ob es der Kundschaft schmeckt, werden wir in einigen Monaten sehen.