Was ist das?
Im Grunde genommen die schnellere, heißere Version eines sehr sehr schnellen und sehr sehr heißen Autos. Als die Giulia Quadrifoglio 2016 auf den Markt kam, konnten die Fans ihr Glück kaum fassen - eine heckgetriebene 510-PS-Limousine von Alfa, die BMW M3 und AMG C 63 in Grund und Boden tanzt, war in etwa so wahrscheinlich wie seriös gekleidete Frauen in einer italienischen Talkshow.
Aber da war sie und jetzt, knapp fünf Jahre später, kriegen wir das Ganze auch noch in wesentlich leichter, stärker und theatralischer. Einen Rennwagen, der zufällig über Kennzeichen verfügt, quasi. Tanti Auguri!
Das mit den Glückwünschen passt ganz gut. Denn obwohl Giulia GTA und die noch extremere GTAm, die Sie hier sehen, erst jetzt auf den Markt kommen, sind sie ursprünglich ein Geschenk zum 110. Geburtstag der Marke im letzten Jahr. Vermutlich hat sich Alfa gedacht: "Ach weißte was, die Giulia Quadrifoglio verkauft sich eher so lala, lass uns eine Hardcore-Version ohne Rückbank rausbringen und mehr als das Doppelte dafür verlangen!"
Ob das betriebswirtschaftlich der Weisheit letzter Schluss ist, wird sich zeigen. Als Autoliebhaber jedoch kann man nur jubeln über dieses Biest von einem Viertürer, das auf den Rennstrecken und Concours dieser Welt jedem Supercar mit Links die Schau stehlen wird. Vor allem im neuen Farbton Verde Montreal muss man schon ganz schön kurbeln, um die eigene Zunge wieder vom Boden weg zu kriegen.
Was ist neu?
Man muss den GTAm ja nur ansehen, um zu erkennen, dass die Liste mit den Änderungen eine relativ umfangreiche ist. Das Unterfangen erinnert in seiner Extreme doch recht stark an den Jaguar XE Project 8. Nur dass der Alfa sich den Allradantrieb spart und verglichen mit dem aufgepumpten Jag ein echtes Fliegengewicht ist.
100 Kilo will man gegenüber der Quadrifoglio eingespart haben. Trotz der Flut an neuen Karosserieteilen. 1.520 sind es nun insgesamt ohne Fahrer. Der massive Heckflügel, der Heckdiffusor, die hinteren Kotflügelaufsätze, das ausfahrbare Spoilerschwert an der Front - natürlich alles aus Kohlefaser. Genau wie die Frontschürze, die breiteren vorderen Kotflügel, die Motorhaube und das Dach. Dazu gibt es Heck- und Seitenscheiben aus Polycarbonat. Die Carbon-Parts sparen gut 10 Kilo.
Das größte Stück vom Speck entfernen aber die Carbon-Schalensitze von Sabelt (-30 Kilo), die serienmäßigen Brembo-Keramikstopper (gut 20 Kilo) und die neue Akrapovic-Titanabgasanlage (-10 Kilo). Dazu kommen leichtere Fahrwerksfedern und die geschmiedeten 20-Zoll-Felgen (laut Alfa die weltweit einzigen Zentralverschluss-Felgen auf einer Limousine).



Dass es keine Rückbank mehr gibt, hilft auf der Waage natürlich auch. Genau wie Türpaneele aus Verbundmaterial. Die obligatorischen Türschlaufen statt echter Türgriffe dürfen ebenfalls nicht fehlen. Achten Sie nur darauf, dass Ihnen nie eine Fliege in den GTA flattert, sonst dürfte deren Gewichtsvorteil wieder dahin sein.
"Der GTAm ist, das muss man sich klar machen, ein komplett anderes Auto - kantiger, aggressiver, roher, professioneller, aber meine Herren, was für ein Event wurde hier denn bitte kreiert?"
Der großartige 2,9-Liter-Biturbo-V6 leistet nun bei gleichbleibendem Drehmoment (600 Nm) 540 PS. Das sind 30 PS mehr als bisher. Alfa macht ein angepasstes Motormapping und die neue Auspuffanlage dafür verantwortlich. Außerdem drehen die Turbos ein wenig höher. Da wir es hier mit einem verkappten Rennwagen zu tun haben, sollte die Maschine aber nicht nur mehr glänzen, sondern auch besser halten. Dafür gibt es eine optimierten Pleuelstange, eine verbesserte Kolbenbodenkühlung und einen zusätzlichen Ölkühler. Außerdem schaufeln die größeren Lufteinlässe mehr Kühlluft in den Motorraum.
Der GTAm vertraut auf das bewährte Chassis mit Doppelquerlenkerachse vorne und Multilink-Setup hinten. Allerdings gibt es straffere Dämpfer, Federn und Buchsen, eine dezente Tieferlegung, mehr Negativsturz an der Vorderachse und satte 50 Millimeter mehr Spur an beiden Achsen. Zudem hat man die Lenkung schneller und direkter gemacht. Jap, noch schneller und direkter. Das Auto steht jetzt auf deutlich breiteren Michelin Pilot Sport Cup 2-Pneus (265/30/20 vorne, 285/30/20 hinten) hinter denen sich erwähnte Keramik-Anker mit 390er- und 360er-Scheiben verbergen.
Das Aero-Konzept wurde mithilfe des eigenen Formel-1-Partners Sauber entwickelt. Der Frontsplitter und der Heckflügel sind verstellbar, es gibt allerhand neue Winglets, Flicks und Luft-Ein-/Auslässe, sieben neue Luftleitfinnen am Unterboden und einen optimierten Heckdiffusor. Laut Alfa erzeugt das Auto bis zu dreimal mehr Abtrieb als der QV. Alles in allem soll der GTAm auf dem Handlingkurs in Nardo fast fünf Sekunden schneller sein als das bisherige Topmodell. Bleibt nur zu hoffen, dass die neue Hardcore-Attitüde noch genug von dessen wunderbaren Handling-Eigenschaften übriglässt.
Wie fährt er?
Ich kann die vermutlich sehr überschaubare Gruppe, die über das entsprechende Bankkonto für den teuersten Alfa aller Zeiten verfügt, beruhigen. Der GTAm fährt herausragend, überwältigend, bahnbrechend gut. Es ist, das muss man sich klar machen, ein komplett anderes Auto - kantiger, aggressiver, roher, professioneller, aber meine Herren, was für ein Event wurde hier denn bitte kreiert?
Klar, der Motor hat 30 PS mehr, aber du merkst das eher übers Fahrzeuggewicht, darüber, dass er sich noch ein wenig leichter tut. An der grundsätzlichen Charakteristik oder dass es jetzt signifikant besser schieben würde, ändert sich wenig. Warum sollte es auch? Der Sechszylinder ist ein absolutes Viech, bei dem man sich nun vielleicht nur wünschen würde, dass er etwas höher drehen dürfte, weil er immer so schnell im 7.000er-Begrenzer hängt. Die 0-100 km/h gehen hier in 3,8 statt 3,9 Sekunden, die 0-200 km/h laut Alfa in 11,9 Sekunden. Maximal sind 300 km/h drin.

Das Getriebe arbeitet zackig wie eh und je, gönnt sich auch auf der Strecke keine Verstolperer oder Gedenksekunden. Sicher mit die beste Applikation des 8-Gang-ZF-Getriebes, das passt auch für ein Track-Auto hervorragend.
Zudem beweist der GTAm, dass auch in Zeiten spaßbremsender Partikelfilter noch völlig kranke Soundkulissen möglich sind. Die mittigen Akrapovic-Tröten hauen beim Start und über 3.500 Touren nochmal deutlich lauter und schmutziger um sich, als gewohnt. Das dröhnt schon monströs. Innen, wo das Weniger an Dämmung seinen Anteil haben dürfte, aber glücklicherweise auch außen. Wer jedoch nur rollt, am besten im Normal-Modus, wird den Frieden in der Nachbarschaft weiterhin wahren.
Und das Handling? Die Leichtigkeit des Seins? Dort wo die Giulia Quadrifoglio fast alles in den Schatten stellt? Nun, der Flow ist schon so ein bisschen weg, das Auto ist deutlich deutlich straffer. Bei einem kurzen Ausflug auf eine Landstraße in bedenklich schlechtem Zustand wirkte der GTAm weniger flüssig. Das Fahrwerk lässt in Längsrichtung durchaus noch recht viel Bewegung zu, seitlich spannt es sich hingegen extrem an.

Außerdem merkt man hier schon den verstärkten Fokus auf Downforce und Grip. Der QV schwebt ja förmlich über eine Serpentinenstraße, lässt sich kinderleicht und butterweich ins Übersteuern bringen. Das geht mit dem GTAm auch, wohl immer noch geschmeidiger als bei den meisten anderen, aber es wird schon klar, dass das Auto Kurvengeschwindigkeiten höher bewertet als reifengrillenden Youtube-Fame.
Und wissen Sie was, für den Zweck ist das genau richtig. Der GTAm ist eine Giulia mit Boxengassen-Einlassbändchen. Er ist ein Track-Gerät und der Unterschied genau da ist gewaltig. Das Auto baut viiieeel weniger Seitenneigung auf, lenkt tatsächlich nochmal wesentlich direkter und schneller ein. Trotzdem ist die Lenkung nicht nervös oder unnatürlich, einfach nur sehr sehr richtig. Anders als etwa der neue M3, der sich seine brutale Direktheit immer ein bisschen künstlich, hüpfig und übernervös erkauft, ist der Alfa einfach rasiermesserscharf, aber trotzdem geschmeidig, organisch, lockerleicht.
Er fühlt sich insgesamt steifer, kürzer angebunden an. Die Kombi aus Cup-Reifen, breiterer Spur, mehr Sturz und etwas mehr Lean auf die Vorderachse (die Gewichtsverteilung ist nun 54:46, nicht mehr 50:50) zieht das Auto in die Kurve wie einen Tourenwagen. Das hat nichts mehr mit dem QV zu tun.
Interessanterweise hatte Alfa genau den mit zum Termin gebracht und ich durfte ihn freundlicherweise drei Runden um die Strecke fahren. Für sich genommen ist der Quadrifoglio selbst auf normalen Straßenreifen noch immer ein Fest, aber dann steigst du in den GTAm zurück und bist in einer anderen Welt. Klar, hier fährt noch immer eine Limousine und kein 911 GT3, aber viel besser wird es in einem Viertürer nicht.
Die Unmittelbarkeit der Reaktionen, der Grip und die Seitenführungskräfte in schnellen, langen Kurven sind kolossal. Gleiches gilt für die Bremse. Echte Keramik-Brecher, die sehr ähnlich reagieren wie im Rennauto - extreme initiale Reaktion und heftige Stopp-Power, ordentliches Quietschen inklusive.
Macht all das aus dem herrlich verspielten QV ein zu ernstes, eindimensionales Monster? Nicht wirklich, ich würde es vielleicht so sagen: Jetzt spielen halt die Erwachsenen.
Es muss auch irgendetwas zu kritisieren geben?
Naja, man sollte es schon ein wenig extremer mögen. Es ist schon alles eine ganze Spur härter und knackiger hier drin. Auch lauter. Im Radkasten hörst du jeden Kieselstein einzeln und wenn es nass ist, dann lass lieber die Finger vom Race-Modus. Cup-Reifen und so.
Apropos: Dass es selbst hier nicht gelungen ist, ein Sport-ESP zu installieren, ist schon ein wenig albern. Es gibt halt nur ganz oder gar nicht. Jetzt sind die Limits im Dynamic-Modus mit aktiviertem ESP ausreichend hoch, aber Schlupf wird so gut wie gar nicht zugelassen. Im Race-Modus kriegst du Schlupf, aber eben auch nichts, was diesen im Notfall einbremst. Und ganz ehrlich: Wer hat Lust, bei seinem 178.000 Euro teuren Spielzeug ohne Rettungsschirm am Grenzbereich entlang zu fetzen?



Ich befürchte, nicht wenige dürften auch mit der Sitzposition der Carbon-Schalen ihre Probleme bekommen. Deren Lehne ist nämlich ungewöhnlich stark nach hinten geneigt und nicht einstellbar. Warum man den Fahrer platziert, als würde er gleich aus einer Zirkus-Kanone geschossen, ist unklar. Und ein wenig schade, denn die generelle Passform und die tiefe Einbaulage des Gestühls sind vortrefflich. So bleibt für bessere Kontrolle auf dem Track nur, etwas weiter nach vorne zu rutschen und die beine etwas stärker anzuwinkeln.
Hat man sich einmal vernünftig positioniert, trägt aber auch der Innenraum zum sehr speziellen Erlebnis Alfa Giulia GTAm bei. Du fühlst dich wie in einem Tourenwagen ... den ein Oligarch mit Alcantara-Fetisch aufgebaut hat.
Das Armaturenbrett ist voll davon, alles hinter dir auch. Inklusive liebevoll ausstaffierten Fächern für Helme und Feuerlöscher. In deinen Fingern, die riesigen gefrästen Schaltpaddles, eingezwängt in einen Vierpunktgurt, der dir zu verstehen gibt, dass du vielleicht mal wieder Sport machen solltest. Im Rückspiegel der knallgrüne Käfig und dieser monumentale Wing. An Drama, Motorsport-Flair und Charakter mangelt es definitiv nicht und das passt hervorragend zum Rest des GTAm.
Fazit: 9/10
Es ist schon was ganz Besonderes, dieses Auto. Wie es aussieht, wie es sich anfühlt. Der ungewohnt extreme Charakter. Die 100 Kilo weniger in Verbindung mit der deutlich strafferen Anbindung und der aufwendigen Aerodynamik, das sind Maßnahmen, die normalerweise in einen kompromisslosen Rennwagen-Umbau gehen und genau so fährt sich das Ding auch. Komplett auf Straßenmanieren verzichten muss man dabei dennoch nicht.
Eine große Leistung, bei der letztlich dennoch fraglich ist, ob sie den horrenden Aufpreis wert ist. Jaguar hat sich mit seinem ähnlich offensiv eingepreisten XE Project 8 durchaus ein wenig gemüht bei der Kundenakquise. Hoffen wir, dass die Giulia GTAm etwas mehr Liebe abbekommt, verdient hätte sie es allemal.
Bildergalerie: Alfa Romeo Giulia GTAm (2021) im Test
Technische Daten und Preis Alfa Romeo Giulia GTAm