Man kennt sie. Und irgendwie auch wieder nicht. Die Rede ist nicht von den eigenen Nachbarn, sondern von Autos, die so unauffällig blieben, dass sie heute nur eingefleischte Fans noch kennen. Solche Modelle müssen nicht zwangsläufig Flops gewesen sein, aber sie liefen unter dem Radar des gewöhnlichen Autokäufers.

In unregelmäßiger Folge holen wir hier unter dem Titel "Kennen Sie den noch?" solche Old- und Youngtimer aus dem Nebel des Vergessens.

Nicht einmal 138.000 gebaute Fahrzeuge in sechs Jahren: Wann haben Sie zuletzt die zweite Generation des Lancia Delta gesehen? Während sein Vorgänger, insbesondere als Integrale, noch präsent ist, segelte der Typ 836 (wie er intern hieß) schnell in den Nebel des Vergessens.

Vor 30 Jahren löste der Delta II nach langen 14 Jahren den Giugiaro-Delta von 1979 ab. Eine ungewöhnlich lange Zeit, jedoch hatte man sich bei Lancia schon deutlich früher Gedanken zum Nachfolger gemacht. 

Lancia Delta (1993-1999)

1988 führte Fiat unter der maßgeblichen Verantwortung von Vittorio Ghidella die Plattform Tipo Due ein, die im folgenden Jahrzehnt die Basis für fast alle Kompaktmodelle des Konzerns bildete. Der erste Ableger des Tipo Due war der fünftürige Fiat Tipo, der zweite die 1989 vorgestellte Stufenhecklimousine Lancia Dedra, die den bisherigen Prisma ablöste.

Obwohl sich der moderne Dedra schnell etablierte und dem Unternehmen Gewinne bescherte, legte Lancia zunächst auf gleicher Basis nicht nach. Stattdessen blieb die erste Serie des Delta bis 1993 im Programm, in einigen Sonderversionen sogar bis 1994. Sie verkaufte sich weiterhin gut, nicht zuletzt dank der Werbewirksamkeit zahlreicher Rallye-Erfolge des Integrale und seiner Varianten.

Die Entwicklung der zweiten Delta-Generation begann erst 1988, als der viertürige Dedra bereits serienreif war. Als Basis diente die Tipo-Due-Plattform. Nach viereinhalbjähriger Entwicklungszeit debütierte das Fahrzeug im Frühjahr 1993. Die vergleichsweise lange Entwicklungszeit führte dazu, dass der Delta von Anfang an über einige Sicherheitsmerkmale verfügte, die der ältere Fiat Tipo erst verspätet erhielt. Während seiner knapp siebenjährigen Produktionszeit wurde der Nuova Delta nur geringfügig modifiziert. Im Laufe der Jahre kamen eine zweite Karosserievariante und verschiedene Motorisierungen hinzu.

Lancia Delta (1993-1999)

Warum die Verzögerung? Nun, womöglich wollte Fiat zuerst seinen Tipo in die Spur bringen und eine mögliche Kannibalisierung durch Lancia vermeiden. Auch der in der gleichen Klasse ansässige Alfa Romeo 33 wurde von 1983 bis 1994 gebaut. Im Gegenzug durfte der Lancia Dedra beim Stufenheck reüssieren, erst 1990 folgte der Fiat Tempra.

Die Form des zunächst nur als Fünftürer und ab 1995 auch als Dreitürer angebotenen Nuova Delta wurde vom Turiner I.DE.A Institute unter der Leitung von Ercole Spada in Zusammenarbeit mit dem Centro Stile Lancia entworfen und gilt stilistisch als Wiederbelebung des Alfa Romeo Alfasud. Insbesondere die hohe Heckpartie mit kurzem Überhang, die flach auslaufende Dachlinie und die Kunststoffblenden in den C-Säulen, die das Türprofil des Alfasud stilisiert wiedergeben, gelten als Designzitate.

Andererseits weist der Delta 836 zahlreiche Gemeinsamkeiten mit zeitgenössischen Lancia-Modellen auf. Die Türen des Fünftürers, die Windschutzscheibe und die Seitenscheiben teilt er sich mit dem Lancia Dedra, der ebenfalls bei I.DE.A. entworfen wurde. Die horizontal angeordneten Rückleuchten wurden ab 1997 auch beim hochpreisigen Kappa Coupé verbaut. Dennoch wirkt der Delta II formal nicht so gelungen wie sein Vorgänger, man fühlt sich eher an einen eingekürzten Kappa (der 1994 erschien) erinnert.

Lancia Delta (1993-1999)

Zudem fehlten die heißen Integrale-Modelle plus Meriten im Motorsport. Los ging es mit 75 PS aus 1,4 respektive 1,6 Liter Hubraum. Weitere Stufen waren 90, 103 oder auch später 131 PS. Das höchste der Gefühle war der Delta 2.0 16V HF mit bis zu 193 PS. Dieselfreunde bekamen ein Aggregat mit 90 PS Leistung.

Zum großen Haken beim Lancia Delta II geriet die Preisgestaltung: Bei der Markteinführung in Deutschland im Frühjahr 1993 lag der Listenpreis in der schwächsten Motorisierung (1,6 i.e.) bei 25.700 DM, die 1,8-Liter-Version kostete 30.800 DM. Damit war er rund 3.000 DM teurer als ein vergleichbar motorisierter VW Golf und 4.000 DM teurer als ein Fiat Tipo. Der Preis für die Spitzenversion HF 2.0 Turbo LS lag mit 43.500 DM rund 1.000 DM über dem des etwas schwächeren VW Golf VR6.

Die zeitgenössischen Tester waren durchaus angetan: Der ADAC fuhr 1994 den Delta 1.6 LE für 28.750 Mark und attestierte ihm eine gute Serienausstattung. Fahreigenschaften? "Sportlich und doch komfortabel". Nur der 75-PS-Motor wirkte bei hohem Tempo "ein wenig rauh und gequält", 13,8 Sekunden auf 100 km/h seien aber "für den Alltagsgebrauch" ausreichend.  

Lancia Delta (1993-1999)

Zwei Jahre später wurde die Kritik schon lauter: Immer noch kein Beifahrer-Airbag, lässige Verarbeitung und Trunksucht plus Übergewicht. Dennoch sei der Delta II eine "höchst individuelle Alternative zum Marktführer-Trio Astra-Escort-Golf". Das ist auch heute als Youngtimer nicht anders: Exakt sieben Fahrzeuge tummeln sich im Internet. 

Die Produktion endete im Spätsommer 1999, der Abverkauf der letzten Fahrzeuge dauerte bis ins Jahr 2000. Insgesamt war der Nuova Delta deutlich weniger erfolgreich als der Dedra mit Stufenheck: Bis 1999 baute Lancia mehr als dreimal so viele Dedras wie Deltas.

Nach der Produktionseinstellung erhielt der Nuova Delta nicht sofort einen Nachfolger. Seine Position in der Modellpalette nahm für einige Jahre der Lybra ein, der auch den Dedra ersetzte. Erst 2008 brachte Lancia mit dem Typ 844 die dritte Generation des Delta auf den Markt. Delta Nummer 4 soll übrigens als reines Elektroauto im Jahr 2028 starten.

Bildergalerie: Lancia Delta (1993-1999)