War die Zukunft früher besser? Nicht unbedingt, wie uns der regelmäßige Blick auf vergessene Autokonzepte der letzten Jahrzehnte zeigt. Etwa der Mercedes F 200 Imagination, der vor 25 Jahren mit Joysticks anstelle eines klassischen Lenkrads für Aufsehen sorgte. 

Eine spannende und fast unglaubliche Zukunftsvision präsentiert im Oktober 1996 der Mercedes F 200 Imagination auf dem Autosalon Paris. Heute sind viele Technologien des Forschungsfahrzeugs längst Alltag in Serienfahrzeugen. Ganz nebenbei zeigt der F 200 Imagination, wie ein modernes, großes Coupé aussehen kann – denn er kündigt wesentliche Designzüge des Mercedes CL an, der 1999 debütieren wird. Die Frontpartie, insbesondere die Scheinwerfer, sind eine Vorschau auf die S-Klasse der Baureihe 220, die 1998 erscheint. 

Aber nicht nur optisch sorgt das Forschungsfahrzeug für Furore. Seine augenfälligste Eigenschaft: Es hat kein Lenkrad. Der Fahrer steuert es mithilfe von Sidesticks und kann wählen, ob er dafür die rechte oder die linke Hand nutzt. Denn ein Sidestick befindet sich in der Türverkleidung und ein zweiter auf der Mittelkonsole. Zudem kann der Beifahrer jederzeit übernehmen. Denn ein dritter Sidestick ist in der Verkleidung der rechten Tür angebracht.

Mercedes F 200 Imagination (1996)

Die Voraussetzung dafür ist das sogenannte "Drive by wire": Die Aggregate, etwa die Lenkung, werden nicht über mechanische Verbindungen betätigt, sondern per Elektronik, Elektrik und mechanischen Stelleinrichtungen. "Die Kommandos des Autofahrers erkennt die Elektronik als Wunsch für einen bestimmten Fahrzustand – Beschleunigen, Bremsen, Lenken, Rückwärtsfahren – und entscheidet dann blitzschnell, auf welche Weise sie den Befehlen des Autofahrers am besten und am sichersten nachkommen kann", beschreibt die Presse-Information vom Oktober 1996.

"Das passiert situationsabhängig, denn der Computer nutzt die Informationen verschiedener Sensoren, die ihm unter anderem Auskunft über Geschwindigkeit, Rad- und Motordrehzahlen, Fahrbahnzustand und Karosseriebewegungen geben.", heißt es weiter.

Erprobt wird der F 200 Imagination übrigens im unternehmenseigenen Fahrsimulator. Auch auf diesem Gebiet ist Mercedes ein Pionier: Der erste Fahrsimulator des Unternehmens wird bereits 1985 eingeweiht. Eine weiterentwickelte Sidestick-Steuerung präsentiert die Marke 1998 in einem Versuchsträger auf Basis eines SL der Baureihe 129.

Mercedes F 200 Imagination (1996)

"Widescreen Cockpit" heißt das Anzeigesystem im F 200 Imagination zwar 1996 offiziell nicht. Doch die Parallele zur heutigen Mercedes-Ausstattung und auch zu MBUX ist augenfällig: Über die gesamte Cockpitbreite hinweg sind Farbmonitore angebracht. Diese stellen die Fahrzeuginstrumente und sämtliche -signale sowie den Bordcomputer dar. Die Displays zeigen auch die Signale der Videokameras an, welche die Rückspiegel ersetzen.

Außerdem werden Telefon, Navigation, Radio, CD- und auch DVD-Spieler auf den Monitoren dargestellt. Die Tonübertragung erfolgt auf Wunsch für den Beifahrer auf einen drahtlosen Kopfhörer. Der Digitalisierungsgrad in diesem Forschungsfahrzeug ist erheblich: Erprobt wird sogar die Internetanbindung inklusive Telebanking (wie es damals heißt) und digitaler Hotelreservierung: Mit dem F 200 Imagination fährt 1996 die Zukunft vor.

"Drive by wire" hat es ebenfalls in Serienfahrzeuge geschafft. Denn nur damit können automatisierte Fahrsysteme funktionieren: In bestimmten Situationen wird der Fahrer entlastet, und das Auto fährt hochautomatisiert. So gesehen ist der F 200 Imagination vor 25 Jahren ein Vorreiter des autonomen Fahrens.

Eine Teilvoraussetzung dafür und schon seit vielen Jahren Standard ist die elektrische Lenkung: Das Lenkrad ist Impulsgeber für die Steuerungen und Stelleinrichtungen. Das System ist zugleich verbrauchsgünstiger und trägt somit zur Gesamteffizienz eines Automobils bei.

Der F 200 Imagination bietet zahlreiche weitere Innovationen, die heute fast schon alte Bekannte im automobilen Alltag sind. Beispielsweise ein Scheinwerfersystem mit variabler Lichtverteilung, Window-Bags, die Fahrwerkregelung Active Body Control, Spracherkennung für das Mobiltelefon, ein elektrotransparentes Glasdach und eine elektrisch betätigte Parkbremse. Alle genannten Technologien sind in Serienfahrzeugen von Mercedes erhältlich, die meisten bereits seit vielen Jahren, wenngleich teilweise in etwas anderer Ausprägung.

Bildergalerie: Mercedes F 200 Imagination (1996)