Was ist das?

Unter allen nur erdenklichen Voraussetzungen ein absolutes Himmelfahrtskommando. Der Versuch, asiatische Nobelmarken in Europa zu positionieren, war bisher in etwa so erfolgreich wie die absurde Verbindung aus Schuhlöffel und Rückenkratzer. Lexus? Siecht irgendwie seit Ewigkeiten vor sich hin. Infiniti? Zog in Westeuropa im März 2020 die Notbremse. Selbst Hyundai hatte es ja 2014 bereits einmal versucht. Mit mehr als überschaubarem Erfolg.

Das hindert die Koreaner mitnichten daran, es jetzt erneut zu probieren. Deren Edel-Tochter Genesis ist inzwischen mehr oder weniger eigenständig und in den USA seit 2016 ziemlich erfolgreich unterwegs. "Lexus und Infiniti kaufen die Amis aber auch wie die Verrückten, das heißt gar nichts", könnten Sie jetzt kontern und natürlich haben Sie Recht. Aber irgendwas ist hier anders. Spätestens seit man 2020 mit einem kompletten, und seien wir ehrlich, verflucht gelungenen Redesign um die Ecke kam.

Die neue Produktpalette um den E-Klasse-Gegner G80 und unseren Testkandidaten GV80 (geht mit 4,95 Länge gegen BMW X5, Mercedes GLE und Audi Q7) sieht aus wie Kieseinfahrt vor dem Chalais, Monte Carlo bei Nacht oder Kolonne zum EU-Gipfel. Irgendwo zwischen Bentley, Benz und Aston (Designchef Luc Donckerwolke kommt von Bentley ...). 

Mein erster Gedanke, als ich live vor dem GV80 stehe: Dieses Teil trieft vor Prestige. Übrigens auch innen und dort vielleicht sogar noch mehr. Design, Materialauswahl und die Fertigungsqualität bis in die hintersten Winkel sind auf einem Niveau, das selbst die deutsche Premium-Konkurrenz derzeit nicht oder gerade so erreicht. 

Genesis GV80 (2021) im Test
Genesis GV80 (2021) im Test

Die Image-Ausrede zieht hier also nicht mehr. Technologisch schon gleich zweimal nicht, denn der GV80 hat alles an Bord, zu was die Hyundai Motor Group derzeit im Stande ist. Und ja, das ist eine ganze Menge. 

Dinge wie das digitale 3D-Instrumentendisplay, Augmented-Reality-Navigation, automatisches Ein- und Ausparken mit dem Fahrzeugschlüssel oder eine elektronische Fahrwerksregelung, die Frontkamera-Daten nutzt, um die Federung in Echtzeit anzupassen, klingen eher nach neuer S-Klasse. Und dass der Totwinkel-Assistent beim Abbiegen oder Spurwechsel ein Echtzeit-Bild in Tacho (links abbiegen) oder Drehzahlmesser (rechts abbiegen) schickt, habe ich so auch noch nicht gesehen. 

Ziemlich viel ziemlich cooles Zeug also, aber fahren muss das große Genesis-SUV dann schon auch noch. In unserem Fall mit einem 3,0-Liter-V6-Diesel, der es auf 278 PS und 588 Nm bringt. Eine 8-Gang-Automatik ist Serie, der hier verbaute Allradantrieb ist optional. In Anbetracht des Leergewichts von 2.255 Kilo erscheint der Diesel wie die sinnvollere Wahl. Die Alternative ist ein 2,5-Liter-Vierzylinder-Turbobenziner mit 304 PS und 422 Nm.

Genesis GV80 (2021) im Test

Der GV80 ist als 5- und 7-Sitzer zu haben. Bei der Anhängelast von maximal 2.722 Kilo muss er den deutschen Edel-SUVs den Vortritt lassen. Bei den Preisen allerdings schlägt er sie windelweich. Die sogenannte Premium Line startet mit Diesel und Allrad bei 63.400 Euro. Die Luxury Line, unter anderem mit 22-Zöllern, elektronischem Sperrdifferenzial, Nappaleder, Innovation Paket (adaptive LED-Scheinwerfer, 3D-Instrumente, Head-up Display, 360-Grad-Kameransicht, Totwinkelkameras) und hervorragender 21-Lautsprecher-Lexicon-Audioanlage kostet ab 70.100 Euro. Unser vergleichbarer BMW X5 Dauertester brachte es auf über 100.000 Euro.

Fünf Jahre lang kümmert sich Genesis um alle Wartungs- und Verschleißarbeiten mit Hol- und Bringservice. Außerdem bekommt ein Auto der Marke in diesem Zeitraum kostenlose Updates „over the air“ und eine entsprechende Garantie. Ein persönlicher Assistent als zentraler Ansprechpartner kümmert sich von der Neuwagenbestellung bis zum Inspektionstermin um alle Belange.

Wie fährt er?

Starten wir mit dem Motor. Der Diesel ist ein komplett neuentwickeltes Aggregat. Ein weiterer Beweis dafür, wie entschlossen Genesis dieses Unterfangen angeht. Man könnte argumentieren, dass es ziemlich dämlich ist, jetzt noch massiv Geld in eine aussterbende Technologie zu investieren, aber im realen Leben schadet es den Verkaufszahlen eines großen, betont komfortablen SUVs sicher nicht, wenn man ein D auf der Heckklappe anbieten kann. 

"Das Auto federt relativ weich, schluckt größere Bodenwellen lässig weg und neigt sich in Kurven deutlich stärker als man das inzwischen von der deutschen Premiumkonkurrenz gewohnt ist."

Die 278 PS und 588 Nm entfalten sich progressiv und angenehm geschmeidig, unterstützt von einer gut eingestellten und sanft schaltenden 8-Gang-Automatik. Das ist alles wunderbar geschliffen, keine Frage. Mit Leistungslöchern und plötzlichen Gangwechseln gefolgt von hektischem Schub muss man sich hier nicht herumplagen. Diesel-typischen Lärm oder Vibrationen sucht man ebenfalls vergebens. Die Klangkulisse ist angenehm. Sie ist auch in verschiedenen Modi einstellbar, die Unterschiede sind allerdings kaum festzustellen. 

Gut, dass dem allem so ist, denn häufiger muss man den Selbstzünder ziemlich auswringen, um souverän voranzukommen - der Vortrieb ist allenfalls Durchschnitt. Ein BMW X5 30d etwa hat 100 Nm mehr Drehmoment und geht gut eineinhalb Sekunden schneller von 0-100 km/h. Das geht im BMW schon deutlich besser nach vorne, gerade auch, wenn man mal auf der Autobahn bei 140, 150 noch zulegen will. Trotzdem ist der Münchner sparsamer.  

Beim Fahrverhalten ist der GV80 ganz und gar auf der komfortablen Seite. Da scheint der amerikanische Markt dann doch noch ein wenig wichtiger zu sein. Die Lenkung ist leichtgängig, fühlt sich aber erfreulich präzise an und gibt in Anbetracht der wenig sportlichen Ausrichtung des Fahrzeugs gute, natürliche Rückmeldung. Das Auto federt relativ weich, schluckt größere Bodenwellen lässig weg und neigt sich in Kurven deutlich stärker als man das inzwischen von der deutschen Premiumkonkurrenz gewohnt ist. 

Genesis GV80 (2021) im Test

Daraus könnte man jetzt folgern, dass der Genesis völlig in sich zusammenbricht, wenn man ihn mal etwas beherzter in die Ecken jagt, aber das passiert glücklicherweise nicht. Trotz der starken Aufbaubewegungen hält er stoisch die Spur, krallt er sich überraschend renitent in den Asphalt und zieht er sich sehr neutral und sicher aus der Affäre.

Einen weiteren Pluspunkt gibt es für die Fahrhilfen. Der adaptive Tempomat und die Spurführung agieren sehr stimmig und obendrein absolut sanft und elegant. Die Systeme verfügen über eine KI-Komponente. Selbst wenn sie abgeschaltet sind, überwachen sie die eigenen Lenk- und Geschwindigkeitskorrekturen und versuchen diese bei der nächsten Aktivierung so gut wie möglich zu imitieren. 

Leider leistet sich das Chassis bei schlechteren Straßen, Schlaglöchern und kurzen Stößen einen fetten Lapsus, der in dieser Klasse eigentlich unentschuldbar ist. Umso mehr, wenn man überlegt, dass der GV80 auf einer neu entwickelten Plattform steht. 

Beschriebene Straßenzustände bringen das große SUV nämlich völlig aus der Fassung. Plötzliche Unebenheiten schlagen laut und kräftig in den Innenraum durch, das Auto schüttelt sich, die Karosserie wird unruhig und manchmal muss man sogar Lenkkorrekturen durchführen. Vom Kamerasystem, das die Straße scannt, um die Dämpfer vorzuwarnen, ist in diesen Momenten aber mal überhaupt nichts zu spüren. Ein mehr als ärgerlicher Fehler, wenn man bedenkt, wie gut das Auto sich in allen anderen Belangen schlägt. 

Wie ist er innen?

Ich hatte es ja eingangs bereits erwähnt, aber in diesem Fall sage ich es gerne nochmal: Das Interieur des GV80 ist die helle (im wahrsten Sinne) Freude. Materialgüte und Verarbeitung auch im Detail sind aller Ehren wert. 

Das Gestühl in Reihe eins ist auch auf längeren Strecken überaus bequem. Besonders komfortabel: Die weichen Kopfstützen. Im Fond herrschen Licht und Schatten. Die Rückbank glänzt mit elektrischer Verstellung in der Länge wie in der Neigung (ein bisschen Lümmeln und Liegen ist ja auch mal ganz schön), außerdem lässt sich der Beifahrersitz von der Rückbank aus nach vorne befehligen. Ein Segen für gestresste Rückbänkler mit langen Haxen, ein Fluch für Eltern mit zornigem Nachwuchs.

Die Beinfreiheit in der zweiten Reihe lässt für ein Gefährt dieser Größe allerdings zu wünschen übrig. Zum Luxus-Anspruch hätte ein Platzangebot gepasst, das besser ist als das eines X5. 

Genesis GV80 (2021) im Test
Genesis GV80 (2021) im Test

Die Displays für Instrumente und Infotainment haben eine hervorragende Auflösung, der mittige 14,5-Zoll-Screen überzeugt darüber hinaus mit schnellen Reaktionszeiten. Die Bedienung geht alles in allem in Ordnung. Da gibt es sicher weitaus schlechtere Lösungen. Besonders die Klimasteuerung mit einer Mischung aus Display und klassischen Drehknöpfen überzeugt. 

Wer das Infotainmentsystem nicht betouchen oder bequatschen will, kann auch mit einem Drehrädchen in der Mittelkonsole hantieren, auf dessen Oberfläche auch geschrieben werden darf. Grundsätzlich eine sehr gute Idee, aber aus irgendeinem Grund (will man sich einfach nur irgendwie abgrenzen?) hat man das Teil so weit versenkt, dass man es bedienen muss, wie eine gute alte Telefon-Wählscheibe. Und die hat aus gutem Grund vor Jahrzehnten das Zeitliche gesegnet. 

Ich bleibe trotzdem dabei: Der Genesis GV80 verfügt über ein herausragendes Interieur, das in puncto Technologie, Anmutung und Ergonomie nichts und niemanden zu fürchten braucht.  

Fazit: 7,5/10

Extrem wertiges Design, herausragender Innenraum, State-of-the-Art-Technologien und ein sehr komfortbetontes Wesen zum mehr als kompetitiven Preis. So könnte das was werden mit Genesis. Einzig die schwache Performance bei kurzen Stößen bleibt nach dem Test des X5-Q7-GLE-Konkurrenten in schlechter Erinnerung. 

Das Problem dürfte sein, dass Genesis sich mit seinem Rundum-Sorglos-Paket samt persönlichem Assistenten hauptsächlich an Privatkunden richtet. Auch das Fehlen eines Plug-in-Hybrids dürfte es nahezu unmöglich machen, in die Firmen-Pools und damit auch zu größeren Stückzahlen zu kommen. 

Verdient hätte es der Dicke in jedem Fall. Eine angenehm unsportliche und feudale Alternative im Premium-SUV-Segment, zu dem sich dieser koreanische Neuzugang nach dieser Performance auf jeden Fall hinzuzählen darf. 

Bildergalerie: Genesis GV80 (2021) im Test

Bild von: Fabian Grass

Technische Daten und Preise Genesis GV80 3.0D

Motor Reihensechszylinder-Diesel; 2.996 ccm
Getriebeart 8-Gang-Automatik
Antrieb Allradantrieb
Leistung 205 kW (278 PS) bei 3.800 U/min
Max. Drehmoment 588 Nm bei 1.500-3.000 U/min
Beschleunigung 0-100 km/h 7,5 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 230 km/h
Leergewicht 2.255 Kg
Zuladung 685 Kg
Bodenfreiheit 205 mm
Anhängelast 2.722 Kg
Kofferraumvolumen 735-2.152 Liter
Verbrauch Normverbrauch: 8,5-8,9 Liter; Testverbrauch: zw. 8,6 und 10,1 Liter
Emission 220-231 g/km CO2
Basispreis 63.400 Euro
Preis des Testwagens 83.330 Euro