Panzer, Mammut, Himmelsschaukel: 1991 sorgte die damals neue Mercedes S-Klasse für Aufsehen. Zum einen durch schiere Größe, zum anderen durch einen mächtigen V12. Besonders auf dem Heimatmarkt Deutschland zeigt man sich angesichts von Größe und Präsenz der Limousine irritiert. Deutlich werden die Maße vor allem im Vergleich zum direkten Vorgänger, der Baureihe 126. Andere Märkte lieben die neue S-Klasse gerade deswegen – schließlich dient ein Fahrzeug der Oberklasse häufig auch der Repräsentation.

Heutzutage mag man angesichts gigantöser SUVs über die damals so umstrittenen Abmessungen fast lachen: 5,11 Meter ist die Normalversion der Baureihe 140, 5,21 Meter misst der SEL. Auch die Breite von 1,89 Meter taugt mittlerweile kaum mehr zum Streitthema. Für Amüsement sorgten die Peilstäbe am Ende der hinteren Kotflügel. Sie fahren beim Einlegen des Rückwärtsgangs heraus und sind in der Realität durchaus praktisch. Quasi prähistorisches PDC.

Mercedes selbst hatte den 140er natürlich über Jahre hinweg entwickelt. Moderner als der noch recht chromlastige Vorgänger sollte die neue S-Klasse werden, sogar mit einem Fließheck wurde experimentiert. Gleichzeitig aber durch repräsentativ, gerade mit Blick auf den 1986 vorgestellten BMW 7er (E32), der erstmals massiv S-Klasse-Kunden abwarb. Auch deswegen sollte der W 140 eigentlich schon früher erscheinen, doch die gesellschaftlichen Umbrüche von 1989 zwangen zum Umdenken.

V12-Gigant im 600 SE/SEL

Doch die Kritik ist 27 Jahre nach der Vorstellung der Baureihe 140 vergessen. Längst hat sich diese Generation der Mercedes S-Klasse zum gesuchten Youngtimer emtwickelt, nachdem sie als schnöder Gebrauchtwagen massenhaft nach Osteuropa abwanderte.

Ein Technikhighlight ist der völlig neu entwickelte 6,0-Liter-V12-Motor der Typen 600 SE/600 SEL: Mit einer Nennleistung von 300 kW (408 PS) sind sie die bis dahin leistungsstärksten Pkw der Marke. Generell befinden sich die Benzinmotoren der Baureihe mit Vierventiltechnik und verstellbaren Einlassnockenwellen auf dem neuesten Stand. Den Start des Leistungsspektrums markiert der 300 SD, der den Luxusklasse-Turbodiesel nun auch auf Märkten außerhalb Nordamerikas verfügbar macht.

Revanche an BMW

Doch zurück zum dicken V12: Schon die Bezeichnung 600 sollte Assoziationen zum legendären Mercedes 600 wecken, der als Ultra-Luxuslimousine zwischen 1964 und 1981 im Programm war. Direkt vor dem Beifahrer pappte auf der Holzleiste die Bezeichnung 600 SE oder 600 SEL in Chrom. Und nicht nur das: Für Zündstoff sorgte die Anbringung eines V12-Logos auf der C-Säule. Natürlich konnte man es auch abbestellen, aber so offensiv protzen? Das gehörte sich für manch deutschen Kleingeist nicht. 

Dabei hatte Mercedes durchaus Gründe dafür: Die Sechsliter-Maschine war zwar der erste Zwölfzylinder von Mercedes nach dem Krieg, aber BMW preschte schon 1987 mit dem 750i vor und war so die erste deutsche Marke im Nachkriegs-V12-Club. Diese Schmach wollte man in Stuttgart nicht auf sich sitzen lassen und entwickelte sogar einen V16-Motor (wie übrigens BMW auch, der berühmte "Goldfisch"). Letztlich begnügte man sich mit zwölf Zylindern und der Genugtuung, dank satter 408 PS den 326 PS starken 750i angehängt zu haben.

So fährt sich der Mercedes 600 SE

Wie fährt sich ein 600 SEL heute? Vor allem hinten bietet die Langversion extrem viel Platz, aber auch vorne. Zwischen meinem Bein und der Fahrertür ist viel Luft, auf der anderen Seite trennt mich eine fette Mittelkonsole mit unzähligen Knöpfen vom Beifahrer. Assoziationen zu einem Flugzeugcockpit kommen auf und man merkt, was uns Displays und Sprachsteuerung erspart haben. Im übrigen sitze ich auf Velourspolstern. Obwohl der 600 SE damals an der 200.000-Mark-Grenze kratzte, war Leder aufpreispflichtig.

Ich lasse den Motor an. Läuft er wirklich schon? Sehr leise gehen die zwölf Zylinder ihrer Arbeit nach. Und das bleibt auch so: Nicht einmal beim Kickdown lässt sich der Motor aus der Ruhe bringen. Schlicht und ergreifend eine sahnige Kraftentfaltung. Glatte sechs Sekunden braucht das Zwei-Tonnen-Schiff auf Tempo 100. Obwohl in den ersten Baujahren nur eine Viergang-Automatik an Bord ist, liegen bei 70 km/h äußerst entspannte 1.500 Umdrehungen an. Es stimmt wohl doch: Hubraum ist durch nichts anderes zu ersetzen außer durch noch mehr Hubraum. 

Modellpflege und S-Klasse in extralang

Eine Modellpflege bringt drei Jahre nach der Premiere eine dezente stilistische Überarbeitung. Die neue Variante wird auf dem Genfer Salon im März 1994 präsentiert, parallel sinkt die Leistung des 600ers auf 394 PS. Da entspricht die Modellnomenklatur schon rund ein Jahr lang einem neuen Muster: Im Juni 1993 wurden die Typenbezeichnungen geändert, das „S“ ist nun der dreistelligen Zahl vorangestellt.

Im September 1995 debütierte auch eine neue Variante der S-Klasse für alle, denen selbst der einstige SEL zu eng war: der Typ S 600 lang Pullman, der als neue Staatslimousine mit Sonderschutztechnik entwickelt wurde. Die Spezialanfertigung misst 6,21 Meter und ist damit exakt einen Meter länger als der Typ S 600 mit langem Radstand. Die Verlängerung kommt den Fondpassagieren zugute, die auf bequemen Sitzen in Vis-à-vis-Anordnung Platz nehmen und ihr Fondabteil mittels Trennscheibe vom Fahrerbereich separieren können. Die Pullman-Limousine der Baureihe W 140 ist als S 500 und S 600 auch ohne Sonderschutz erhältlich; die ersten Exemplare beider Varianten entstehen im August 1996.

Spezialanfertigung für den Papst

Im März 1997 wird eine weitere Variante der Baureihe W 140 fertig gestellt: der Typ S 500 lang Landaulet, eine Einzelanfertigung für Papst Johannes Paul II. (Sie entdecken ihn und den Pullman in unserer Bildergalerie) Das Landaulet-Verdeck wird elektrohydraulisch betätigt und gibt den Blick frei auf den Heiligen Vater, der auf seinem mittig angeordneten Thronsessel Platz nimmt. Für zwei Begleitpersonen stehen Klappsitze zur Verfügung.

Trotz der anfänglichen Kritik ist der W 140 durchaus kein Flop, zumal er nur sieben Jahre lang gebaut wird. Bis zum Produktionsende 1998 werden im Werk Sindelfingen insgesamt 406.717 Limousinen der Baureihe 140 hergestellt, davon 28.101 Einheiten mit Dieselmotor. In dieser Stückzahl enthalten sind auch die Sonderschutz-Versionen und die Pullman-Limousinen, die nach Ende der Großserienfertigung noch bis Mitte 2000 produziert werden.

Bildergalerie: Mercedes 600 SEL (W 140) im Fahrbericht