Mercedes 300 SEL 6.3
Neben dem 600 war der 300 SEL 6.3 im Jahr 1968 die fetteste Hausnummer im Mercedes-Programm. Wie fährt sich der Hubraum-Gigant heute? Wir hatten die Gelegenheit, das auszuprobieren.
Mercedes 300 SEL 6.3
Der 300 SEL 6.3 geht zurück auf eine Idee des Mercedes-Benz Versuchsingenieurs Erich Waxenberger. Er erkennt in den 1960er-Jahren das Potenzial des V8-Motors aus dem Typ 600 auch für die Baureihe W 109, dem damaligen Vorläufer der heutigen S-Klasse.
Mercedes 300 SEL 6.3
Zunächst ohne Wissen des Pkw-Entwicklungschefs Rudolf Uhlenhaut baut Waxenberger ein Erprobungsfahrzeug auf. Doch Uhlenhaut bleibt das Tun nicht lange verborgen: Er hört den an seinem Büro mit dezentem Motorgrollen vorbeifahrenden Prototypen, beordert Waxenberger umgehend zum Rapport – und lässt diesen für die Weiterentwicklung gewähren.
Mercedes 300 SEL 6.3
Seine Weltpremiere erlebt der Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 auf dem Automobil-Salon in Genf im März 1968. Die Presseinformation fasst die Eigenschaften zusammen: „In der Kombination von größtmöglichem Komfort und außerordentlichen Fahrleistungen dürfte dieser Wagentyp unübertroffen sein. Man kommt damit den Wünschen der Kunden entgegen, die überdurchschnittliche Fahrleistungen erwarten.“
Mercedes 300 SEL 6.3
Äußerlich unterscheidet sich der 300 SEL 6.3 kaum von seinen schwächeren Brüdern. Unter dem Blech steckt aber ein Fahrwerk mit Luftfederung und automatischer Niveauregilierung.
Mercedes 300 SEL 6.3
Mit 39.160 Mark ist der Mercedes 300 SEL 6.3 kein Schnäppchen, aber doch deutlich günstiger als der 600, dessen Motor er nutzt. Heuzutage liegen gute 6.3er bei rund 80.000 Euro.
Mercedes 300 SEL 6.3
Zu den weiteren Kennzeichen des Mercedes 300 SEL 6.3 gehören trotz des dicken Preisschilds nicht etwa Alufelgen, sondern damals hochmoderne Halogen-Doppelscheinwerfer. Die Lampen avancieren im Laufe der Jahre zum beliebtesten Nachrüstzubehör für die schwächeren Modelle der Baureihe.
Mercedes 300 SEL 6.3
Und wie fährt sich der Mercedes 300 SEL 6.3? Nach dem Drehen des Zündschlüssels dringt ein zwar gut gedämmter, aber dennoch geiler (Verzeihung!) bolleriger V8-Sound ans Ohr. Tritt man aufs Gas, geht der gut 1,8 Tonnen schwere 6.3er gewaltig ab. 6,5 Sekunden auf 100 erreichte vor 50 Jahren kein einziger Porsche 911. Allerdings ist die Straßenlage des Benz nicht mit heutigen Modellen zu vergleichen: Mit reichlich Neigung geht es in die Kurven, allzu viel Rückmeldung liefert die Lenkung nicht. Aber schon das dünne Lenkrad vereitelt wilde Sportaktionen.
Mercedes 300 SEL 6.3
Immerhin tragen die mit Leder bezogenen Vordersitze bereits Kopfstützen. 1968 war das keineswegs selbstverständlich.
Mercedes 300 SEL 6.3
Abgesehen vom Wurzelholz wirkt das Armaturenbrett des Mercedes 300 SEL 6.3 fast schon bescheiden. Serienmäßig sind ein Drehzahlmesser, eine Servolekung, eine pneumatische Zentralverriegelung, eine Viergang-Automatik und elektrische Fensterheber.
Mercedes 300 SEL 6.3
Natürlich ist der Mercedes 300 SEL 6.3 in erster Linie ein Fahrerauto. Aber der Buchstabe L im Kürzel SEL verweist auf die Langversion der Baureihe 109. Hinten lässt es sich so vorzüglich aushalten.
Mercedes 300 SEL 6.3
Das 6.3-Kürzel am Heck kann abbestellt werden, viele der insgesamt 6.526 Exemplare rollen ohne die starke Hausnummer zum Kunden.
Mercedes 300 SEL 6.3
Mit dem Schuhlöffel scheint das gewaltige V8-Triebwerk des Mercedes 600 in den 300 SEL 6.3 gekommen zu sein. Im Motorraum geht es extrem eng zu. Die Eckdaten des intern M 100 genannten Achtzylinders: 6.333 Kubikzentimeter Hubraum, 250 PS und eine mechanische Bosch-Achtstempel-Einspritzpumpe.
Mercedes 300 SEL 6.3
Hier sehen wir den 300 SEL 6.3 gefolgt von der Nachfolge-Baureihe W116. Dort wurde das Topmodell noch gewaltiger. Doch der Mercedes 450 SEL 6.9 ist eine andere Geschichte ...
Mercedes 300 SEL 6.3
Ungewohnt für die sonst eher dezente Mercedes-Werbung ist diese Anzeige für den 300 SEL 6.3: Selbstbewusst protzt man mit den Leistungsdaten. 6,5 Sekunden von null auf 100 km/h und 220 km/h Spitze waren vor 50 Jahren allerdings auch ein echtes Pfund.
Mercedes 300 SEL 6.3
Sie glauben, der Mercedes 300 SEL 6.3 war nur eine Luxus-Schaukel für Bonzen? Von wegen! Eine damals kleine Firma namens AMG nahm den Benz in die Mangel. Eine Hubraumerhöhung auf 6,8 Liter sorgte für 428 PS und einen Drehmomentanstieg von 500 auf 608 Newtonmeter. AMG-Mitbegründer Erhard Melcher frisierte den Achtzylinder mithilfe klassischer Maßnahmen: Schärfere Nockenwellen und modifizierte Kipphebel, erleichterte Pleuel, neue Mahle-Kolben, größere Einlassventile, geänderte Brennräume, polierte Ein- und Auslasskanäle, eine neue Ansaugbrücke mit zwei Drosselklappen sowie eine Renn-Abgasanlage sorgten für besseren Gasdurchsatz und ermöglichten höhere Drehzahlen. Vom Einbau eines Zusatzölkühlers und dem Feinwuchten der Kurbelwelle profitierte die Standfestigkeit.
Mercedes 300 SEL 6.3
Die rote Lackierung samt Werbung eines großen Briefmarkenhändlers machte den 300 SEL 6.8 von AMG berühmt. Um für die leichten, 10 x 15 bzw. 12 x 15 Zoll großen Magnesiumfelgen – sie stammten vom ebenfalls legendären C-111-Versuchswagen – Platz zu schaffen, wurden die Kotflügel verbreitert. Türen aus Aluminium halfen, das Gewicht von ursprünglich 1.830 auf 1.635 Kilogramm abzusenken. Das Originalfahrzeug von 1971 existiert nicht mehr, doch 2006 ist der AMG 300 SEL 6.8 als detaillierte Rekonstruktion wieder aufgebaut worden.
Mercedes 300 SEL 6.3
Auf den ersten Blick wirkt das Cockpit des 6.8er-AMG nicht sehr sportlich. Aber es gibt ein griffigeres Lenkrad, Sportsitze und ein manuelles Getriebe. So begibt sich der rote Riese Ende Juli 1971 zum 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps.
Mercedes 300 SEL 6.3
In der Armada der kleineren BMW- und Porsche-Modelle traut 1971 keiner dem mächtigen Benz einen Erfolg zu. Doch es kommt anders: Bereits im Training zeigt der rote Viertürer sein Potenzial. Clemens Schickentanz überrascht mit der fünftschnellsten Trainingszeit. 80.000 Zuschauer wunderten sich über die schnelle, rote Limousine mit dem langen Radstand – übrigens der einzige Mercedes im Starterfeld. Beim anschließenden 24-Stunden-Rennen in Spa wird der 6.8er sensationell Zweiter. Auf der Geraden war die AMG-Limousine nicht zu schlagen, doch die weitgehend von der Serie übernommene Bremsanlage war mit dem Gewicht des Wagens (1.635 Kilogramm) ein wenig überfordert. Hans Heyer, einer der Piloten von damals, erinnert sich: Auf dem alten Kurs von Spa hatten die Scheiben viel Zeit sich abzukühlen, und auf den langen Geraden, da kriegte uns keiner, sagt Heyer heute.
Mercedes 300 SEL 6.3
1968 schwärmt Mercedes vom 300 SEL 6.3. In der Presse-Information heisst es: Damit ist es eines der temperamentvollsten und schnellsten Serienfahrzeuge auf dem Weltmarkt. Sein besonders leiser, absolut vibrationsfreier Lauf, die Luftfederung und das automatische Getriebe ergeben zusammen einen Fahrkomfort, der keine Wünsche mehr offenlässt.
Mercedes 300 SEL 6.3
Bis heute zieht der Mercedes 300 SEL 6.3 seinen Reiz aus seiner Unauffälligkeit. Das haben auch schon viele Liebhaber erkannt und das Preisniveau steigen lassen. Nicht unterschätzen sollte man auch die kostspielige Wartung der komplexen Technik. Dagegen ist der schnell geleerte 105-Liter-Tank fast schon ein Schnäppchen.
Die neuesten Fotostrecken
23 / 23