Wahrscheinlich würden mich die Chinesen jetzt ganz verwundert ansehen und sagen: eine Königin fährt doch nicht selbst? Denn in China lassen sich die meisten EL8-Besitzer laut Nio in ihrem Fahrzeug von A nach B fahren. Und ja, ich kann das nachvollziehen.

Selbst ich verspürte den Drang, einfach in die weit ausladende Lounge einzusteigen und mich durch das Umland von Köln kutschieren zu lassen während Katzentatzen meinen Rücken durchkneten. Aber ich bin ja auch keine Königin, sondern "nur" eine Journalistin, die jetzt von ihren Fahreindrücken des Nio EL8 berichten soll. Und das geht eben nur, indem die Köni ... Verzeihung ... die Journalistin hinter dem Lenkrad Platz nimmt. 

Bildergalerie: Nio EL8 (2024) im ersten Test

Was ist das?

Aber bevor wir das zusammen machen, kurze Rückblende: Seit 2014 gibt es das Startup für "Elektroautos im Premium-Segment" erst. 2021 ging es mit der Einführung der Modellpalette in Norwegen als erstes europäisches Land weiter, 2022 war Deutschland fällig. Der Nio EL8 ist jetzt schon das sechste Modell, das hierzulande eingeführt wird.

Halten Sie ihre Krone also fest, denn die könnte nicht nur vom Wind des geöffneten Panoramadachs entschwinden, sondern auch von der Geschwindigkeit des Wachstums, die das Unternehmen hinlegt.

Der EL8 setzt sich nun über seine Brüder EL6 und EL7 an die Spitze der Nio-eigenen SUV-Sparte. Knapp 5,10 Meter lang, 2,20 Meter breit und 1,75 Meter hoch – eine wahrlich königliche Erscheinung des Oberklasse-Fahrzeugs. Mit 480 kW (rund 653 PS,180 kW vorne und 300 kW hinten) geht es zudem "ausreichend" motorisiert vorwärts. Und wenn es der König einmal eilig hat, braucht er im Sport-Plus-Modus gar nur 4,1 Sekunden auf 100 km/h.

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Ebenso königlich ist das Battery-as-a-Service-Prinzip (BaaS), bei dem der leere Akku in wenigen Minuten an einer Nio-Swapping Station ausgetauscht werden kann. 51 Power Swap Stations zählt das Unternehmens-Netzwerk derzeit in Europa – 17 Punkte tauchen auf der Karte in Deutschland auf. Hierfür ist jedoch die Miete des Akkus nötig. Schließlich will der König sein Eigentum nicht verlieren.

Eigentum verpflichtet: in diesem Fall zum Aufladen des 73,5 kWh fassenden Akkus beim Standard Range für maximum 390 km und 90 kWh mit einem Maximum von 510 km beim Long Range. Für so ein Schiff nicht gerade üppig. An 660-Ampere-Säulen sollen zwar nur 20 Minuten bei 240 kWh von 10 auf 80 Prozent vergehen, jedoch gibt es die in Deutschland kaum. An unseren Schnellladern vergehen bei 185 kW rund 40 Minuten. Da kann der König glatt noch mal ein Nickerchen machen. 

Schnelle Daten Nio EL8
Leistung 480 kW (PSM mit 180 kW vorn, ASM mit 300 kW und SiC-Inverter hinten) 
Drehmoment 850 Nm
Akku netto 73,5 kWh (Standard Range)
90,0 kWh (Long Range)
Reichweite (WLTP) 375-390 km (Standard Range)
487-510 km (Long Range)
Max. Ladeleistung AC/DC 11/140 kW (Standard Range)
11/185 kW (Long Range)
Basispreis ohne Batterie 82.900 Euro (Comfort)
87.900 Euro (Executive)
Basispreis mit Batterie Standard Range: 94.900 Euro (Comfort), 99.900 Euro (Executive)
Long Range: 103.900 Euro (Comfort), 108.900 Euro (Executive)

Exterieur | Interieur | Fahrbericht | Preise | Fazit


Exterieur

Königlicher Prunk oder ausladender Kitsch lässt sich am Nio EL8 nicht ausmachen. Das Design entspricht seinen SUV-Brüdern – nur in größer: windschlüpfrig optimierte Linien, schlanke Scheinwerfer und Rückleuchten, ausfahrbare Türgriffe, gedeckte Farben und 20- bis 22-Zoll große Räder. Wobei Windschlüpfigkeit bei einer derart ausladenden Kutsche natürlich mit Vorsicht genossen werden darf. Aber die Nio-Designer geben vermutlich ihr Bestes, diese Schrankwand nicht allzu schwerfällig aussehen zu lassen. 

Zugegeben, meins isses nicht. Dieses auf Effektivität und Sachlichkeit untergeordnete Äußere, das oft einen zweiten oder dritten Blick fordert, was da eigentlich gerade vor einem vorbeifährt. Mit seinen Sensorik- und Kameratechnikkrönchen über der Frontscheibe erzählt der EL8 ohnehin genug: "Ich bin stattlich und weiß was ich kann, mir also völlig egal wie das aussieht!" Und so ist es, das Highlife findet ja sowieso zumeist im Inneren statt. Ich öffne ihnen kurz die Tür.

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Abmessungen Nio EL8
Länge 5.099 mm
Breite 2.199 mm 
Höhe 1.750 mm
Radstand 3.070 mm
Kofferraum 265 - 880 Liter
Leergewicht 2.538 kg (Standard Range) 
2.558 kg (Long Range)
Zuladung 632 kg max.

Interieur

Sind Sie jetzt auch automatisch hinten eingestiegen? Passiert den Besten. Dann lassen sie uns doch einfach dort anfangen. Insgesamt sechs Sitze bietet der Nio EL8. Sitze mit Heizung, Belüftung und Massagefunktion. Zudem in der ersten und zweiten Reihe mit Beinauflagen, die bei flach gelegter Rückenlehne den Sitz zum Schlafsofa mutieren lassen. Je nach Ausstattung thront im Tunnel eine Mittelkonsole mit Kühlschrank (wahlweise hält der bis 50 Grad auch das Essen warm), zwei kabellose Smart-Phone-Ladeschalen, eigene klimatisierte Zonen und eine königliche Beinfreiheit.

In der dritten Reihe müssten Sie sich dann mit der Temperatur einig werden. Hier gibt es nur eine Klimazone – insgesamt also fünf im Fahrzeug. Fahren nur maximal vier Personen mit, lassen sich beide hinteren Sitze getrennt voneinander umlegen und sorgen so für mehr Kofferraumvolumen – von 265 geht es rauf auf 880 Liter. Reicht für die Golftaschen des Königshauses.

"Ich wurde so programmiert. Ich finde es cool", so die Antwort von Nomi auf die Frage, warum sie gerade nach rechts gezeigt hat. Nomi? Das ist Nios Sprachassistentin mit GPT-Funktion und die kann von jedem Mitfahrenden im Fahrzeug angesprochen werden. Ich dachte, sie wollte mich auf etwas hinweisen – offensichtlich nicht. Ob ihre Antworten immer sinnvoll sind? Entscheiden Sie. Ihre Kinder werden sie vermutlich lieben, gerade mit Roboter-Kopf auf dem Armaturenbrett. Das Panoramadach hat sie mir auch geöffnet – nett.

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Ansonsten ist der Innenraum genauso schlicht gehalten wie das Äußere. Alles für das ungestörte Lounge-Feeling! Dementsprechend wenige Tasten und Knöpfe gibt es auch. Alles andere übernimmt der Touchscreen des Infotainmentsystems. Mir ist das immer ein bisschen zu wenig. Es braucht keine komplette Schaltzentrale, aber häufig gebrauchte Funktionen dürften ruhig einen Extraplatz erhalten. Immerhin, der Warnblinker besitzt einen solchen Platz auf der Mittelkonsole. Der Rest ist vermutlich Gewöhnung.

Weniger Gewöhnung sollte der Schulterblick sein, sondern vielmehr Routine. Wenn ich durch diesen aber die Kamera für den toten Winkel auf dem Infotainmentsystem rechts nicht mehr sehen kann, wenn ich nach links schaue, ist die Funktion fehl am Platz. Das machen Hyundai, Kia und Genesis beispielsweise besser mit der Einblendung rechts oder links auf dem Kombiinstrument. Aber bei Nio gibt es ja fast nichts, was nicht auch über Updates gesondert verbessert werden kann. 

Ansonsten wirkt das hier alles durchdacht und hochwertig. Lediglich kleine Details wie die Einfassungen der Fensterheber an den Türgriffen sehen in der hellen Ausstattung für diese Klasse zu sehr nach "Plastik" aus.  

Fahrbericht

Jetzt wird es aber Zeit, sich auf den Fahrersitz zu schwingen und das königliche Gefährt zu starten. Dank Luftfederung sitzt es sich hier nicht wie die Prinzessin auf der Erbse, sondern zu jeder Zeit äußerst gediegen und standesgemäß. Der EL8 fährt nicht, er gleitet. Wer mitfährt, wird kaum etwas von Schlaglöchern oder welligen Bodenbelägen mitbekommen. Wer fährt jedoch auch nicht – losgelöst vom eigentlichen Geschehen, ohne direkten Fahrbahnkontakt. Behäbig und indirekt. Aber wir fahren hier auch einen Zweieinhalbtonner, der jetzt nicht unbedingt zum Kurvenräuber werden muss.

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Nio EL8 (2024) im Kurztest
Nio

Nio EL8 (2024) im Kurztest

Der EL8 ist für Langstrecken auf der Autobahn und die entspannte Fahrt zum Golfplatz gedacht. Zum Chauffieren also eigentlich gar nicht so verkehrt, weswegen ich Anfangs auch direkt hinten einsteigen wollte. Das frühe Lob ohne gefahren zu sein. Wäre da nicht die massive Beschleunigung, die so gar nicht ins Konzept passen will, aber halt irgendwie immer mitfährt, wenn Elektromotoren übernehmen.

Wer den Pinn durchtritt sollte sich vorher sicher sein, dass seine Kinder gerade keinen Schokopudding futtern. Der könnte bei dem 4,1-Sekunden-Nackenschlag sonst als abstrakte Kunst auf der hellen Inneneinrichtung enden. Als Show-Off für die Golffreunde aber sicher Königs liebstes Gimmick. Ja, vermutlich auch gegenüber den Golf-GTI-Freunden. Alternativ zum chauffieren lassen, liefert der EL8 genug Kraft zum Ziehen eines Wochenenddomizils – bei 2.000 kg Zugkraft lohnt sich eine Anhängerkupplung.

Fahrleistungen Nio EL8
0 - 100 km/h 4,1 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 200 km/h
Verbrauch (WLTP) 22.0-23.1 kWh/100km (Standard Range) 
21.2-22.3 kWh/100km (Long Range)

Preise

Ohne Akku starten die Preise für den Nio EL8 bei 82.900 Euro für den Comfort und 
87.900 Euro für den Executive. In dem Fall kommt eine Miete von 169 Euro monatlich für die 75-kWh-Batterie (brutto) hinzu. Bei der größeren 100-kWh-Batterie (brutto) werden 289 Euro monatlich fällig. 

Inklusive Standard-Range-Akku startet die Comfort-Version bei 94.900 Euro, der Executive bei 99.900 Euro. Soll es der größere Long-Range-Akku sein, müssen mindestens 103.900 Euro (Comfort) oder 108.900 Euro (Executive) auf der königlichen hohen Kante liegen.

Fazit: 6/10

Wer vor allem Wert auf Komfort, angenehmes, unaufgeregtes Reisen und viel technischen Schnickschnack legt, ist mit dem Nio EL8 vermutlich gut beraten. Die Preise der Luxus-Konkurrenz starten zwar in etwas höheren Sphären, können dagegen auch mehr Kontakt zur Straße und damit Fahrspaß übermitteln.

Wem das, die geringe Reichweite, ein individueller Look und eine eventuelle Eingewöhnung jedoch egal ist, der könnte mal einen Blick wagen. Bei der Geschwindigkeit, die Nio jedoch nicht nur im Fahrzeug, sondern auch in der Entwicklung vorlegt, würde es mich nicht wundern, wenn sie auch in der Fahrdynamik und Reichweite schon bald auf Augenhöhe sind. Dinge, die sich nicht ganz so einfach Over-the-Air lösen lassen. Zur Not kann man sich natürlich immer noch fahren und massieren lassen. Gleiten wie ein König also.