Anfang 2014 erweiterte BMW Motorrad das Modellprogramm durch die R nineT und brachte damit ein Motorrad auf den Markt, welches eher an Fahrzeuge von Triumph oder Moto Guzzi als an eine aktuelle BMW erinnert. Das Ziel war klar: Der Roadster, der zu weiten Teilen dem Naked Bike R 1200 R entspricht, sollte zu einem Imagewandel beitragen. Man will (zumindest zum Teil) weg vom aufrecht sitzenden Klapphelm-Fahrer, der Warnweste und Funkgerät trägt. Man will wieder Biker auf eine BMW bekommen, die sich mit Tätowierungen, einem langen Bart und Lederjacke schmücken. Der Plan scheint aufzugehen. In den vergangenen zwei Jahren wurden 23.000 Exemplare der R nineT verkauft. Und so schiebt der Hersteller einen weiteren coolen Ofen hinterher, die R nineT Scrambler. Ob die neue Maschine nicht nur cool aussieht, sondern sich auch noch gut fährt? Ich habe sie bereits ausprobieren können.

Offroad-Elemente der 1960er-Jahre
Anfangen möchte ich mit dem Offensichtlichen, der Optik: Um aus der normalen R nineT eine Scrambler zu machen, kommen Elemente zum Einsatz, die schon in den 1960er-Jahren Straßenmaschinen für den gemäßigten Offroad-Einsatz fit machen sollten. Designchef Edgar Heinrich erklärt, dass man ein Bike schaffen wollte, welches ,ein bisschen Poser ist". Das ist gelungen, denn das Motorrad ist nicht nur wunderbar verarbeitet und glänzt mit tollen Materialien, auch die höhergelegte 2-in-1-Abgasanlage, die Teleskopgabel mit Faltenbälgen, die einteilige und sehr flache Sitzbank, das kurze Heck und der breitere Lenker sehen einfach fantastisch aus. Dazu kommen die unterschiedlich großen Felgen (vorne 19 und hinten 17 Zoll). Wer will, kann noch grobstollige Bereifung wählen, Speichenfelgen (395 Euro), Startnummertafeln, einen Scrambler-Windschutz und ein Schutzgitter für den Scheinwerfer (ohne Straßenzulassung) ordern.

Reduzierung aufs Wesentliche
Zu meiner Erleichterung ist die Testmaschine mit der serienmäßigen Straßenbereifung ausgestattet, denn ich will ja auch fahren und nicht nur mit fragwürdigen Offroad-Talenten posen. Übrigens: 95 Prozent der künftigen Kunden werden laut BMW ebenfalls keine grobstolligen Reifen wählen. Nach dem Aufsteigen fällt auf, dass man trotz der abgepolsterten Sitzbank immer noch schön hoch sitzt. Und zwar 820 Millimeter. Zu dem erhalten gebliebenen Höhengefühl trägt unter anderem der hinten um 15 Millimeter vergrößerte Federweg bei. Vor mir breitet sich der ausladende 17-Liter-Stahlblech-Tank aus. Der Verbrauch soll 5,3 Liter je 100 Kilometer betragen. Zwischen Lenkerstange und Rundscheinwerfer sitzen die abgespeckten Instrumente. Eine Geschwindigkeitsanzeige und ein zweizeiliges Display mit Tages- und Gesamtkilometerzähler, Tankuhr, Ganganzeige und Bordcomputer sind serienmäßig. Einen Drehzahlmesser gibt es als Option.

Irrer Sound von einem tollen Motor
Zum Glück braucht man aber keinen Anzeigen-Schnickschnack und allzu ausladendes Technik-Brimborium, um eine gute Scrambler mit gutem Fahrvergnügen zu kreieren. Ich lehne mich also leicht nach vorne, greife nach dem Lenker, drücke den Startknopf und schon knallt der luftgekühlte BMW-Zweizylinder-Boxer mit einem mega Sound durch die Akrapovič-Endschalldämpfer los. Im Stand schüttelt die 1,2 Liter Hubraum große Einspritzermaschine die Scrambler ganz schön durch, doch erhöht man die Drehzahl beruhigt sich der Lauf schnell. Ich ziehe die Kupplung und lege den ersten Gang ein. Hier würde ich mir ein klein wenig mehr Feedback wünschen, denn während man die weiteren Gangwechsel deutlich im Oberfuß spürt, merkt man den Ersten nur, weil das grün leuchtende ,N" auf der Anzeige verschwindet.

Mehr Criusen, weniger Vollgas
Schluss mit Trockenübungen: Ich verlasse den Parkplatz und biege auf eine schnurgerade Landstraße. Vollgas und rauf auf knapp 8.000 Umdrehungen pro Minute. In 3,6 Sekunden durchbricht die 110 PS starke R nineT Scrambler die 100-km/h-Marke und ist damit deutlich schneller als die Scrambler von Triumph, Ducati oder Moto Guzzi mit jeweils (zum Teil deutlich) unter 100 PS. Die Höchstgeschwindigkeit gibt BMW mit über 200 km/h an. Und ja, dem gut ausbalancierten Fahrwerk traue ich mehr als 200 km/h zu, doch da der Winddruck bei der verkleidungslosen Maschine bereits bei 160 km/h sehr unangenehm wird, begnüge ich mich mit einem nur sehr kurzen Abstecher auf die Autobahn und verfalle schnell in den Criuser- und Kurvenmodus.

Handlich-agil und wunderbar abgestimmt
Auch wenn das erste Einlenken etwas schwergängig geschieht, hat man sich schnell an den spielerisch handelbaren Mehraufwand gewöhnt und die 220-Kilogramm-Maschine wird sehr handlich und agil. Alle Parameter sind prima zu dosieren: Die Druckpunkte der Hand- und der Fußbremse sind gut zu erfühlen (vorne arbeiten zwei 320-Millimeter-Scheiben, hinten eine 265-Millimeter-Scheibe), die Gasannahme ist super-spontan, die Kraftweiterleitung der 116 Newtonmeter über den Kardanantrieb ist sehr direkt und die Kupplung ist nicht zu leicht- oder zu schwergängig. Trotzdem sollte man letztere beim Herunterschalten nicht allzu ambitioniert schnalzen lassen, wenn man keinen Wert auf leichtes Heckwackeln legt. Angenehm beim Cruisen ist außerdem, dass man wegen des massig vorhandenen Hubraums kaum schalten muss, um auch mal einen ungeplanten Zwischenspurt einlegen zu können. So brabbelt man bereits bei 60 km/h entspannt im sechsten Gang dahin.

Nicht fürs Gelände gemacht
Und im Gelände, ich fahre ja schließlich eine Scrambler?! Dort wird man die R nineT Scrambler vermutlich selten sehen. Ich vermute, weil sie a) nicht an die Leichtfüßigkeit der PS-schwächeren und leichteren Konkurrenz herankommt, b) einen Basispreis von 13.000 Euro hat und c) Heizgriffe (210 Euro) und die schicke Optik eher in eine lifestylige Großstadt als auf den Feldweg passen. Zum Vergleich: Eine Triumph Scrambler leistet mit ihrem 865-Kubikzentimeter-Zweizylinder 59 PS und 68 Newtonmeter Drehmoment, kostet dafür aber lediglich 9.840 Euro. Die Ducati Scrambler Classic kostet 10.290 Euro und wird von einem 803-Kubik-Zweizylinder mit 75 PS angetrieben. Die Markteinführung der BMW R nineT Scrambler findet im September 2016 statt.

Wertung

  • ★★★★★★★★★☆
  • Mit der R nineT Scrambler bringt BMW ein Motorrad auf den Markt, das noch weiter vom klassischen Warnwesten-Klapphelm-Fahrer-Klischee entfernt ist als die vor zwei Jahren erschienene R nineT. Wem die Leistung der etablierten Scrambler-Modelle nicht ausreicht und wer auf Zweizylinder-Boxersound steht, sollte bei BMW zugreifen. Das Bike ist durchweg perfekt abgestimmt, wertig verarbeitet und kinderleicht zu fahren. Ob die Stollenreifen für den durchgestylten Retro-Auftritt wirklich sein müssen, bleibt aber zum Glück jedem Käufer selbst überlassen.

    + ausbalanciertes und komfortables Fahrwerk, kraftvoller Motor, super Sound, reduziert aufs Wesentliche, schicke Optik, tolle Verarbeitung, handliches Fahrverhalten

    - nasse Fahrbahn gleich nasser Rücken, harte Sitzbank

  • Antrieb
    90%
  • Fahrwerk
    95%
  • Optik
    90%
  • Kosten
    70%

Preisliste


BMW R nineT Scrambler

Grundpreis: 13.000 Euro
Ausstattungen Preis in Euro
ABS Serie
ASC 320
Abgaskrümmer verchromt 90
Heizgriffe 210
LED-Blinkleuchten weiß 100
Diebstahlwarnanlage 220
Kreuzspeichenräder 395
Gelände-Bereifung auf Wunsch serienmäßig
Sitzbank einteilig auf Wunsch serienmäßig

Datenblatt

Motor und Antrieb
Motorart luftgekühlter Boxermotor 
Zylinder
Ventile
Hubraum in ccm 1.170 
Leistung in PS 110 
Leistung in kW 81 
bei U/min 6.000 
Drehmoment in Nm 116 
Antrieb Hinterradantrieb 
Gänge
Getriebe Schaltgetriebe 
Fahrwerk
Radaufhängung vorn Teleskopgabel 
Radaufhängung hinten Paralever 
Bremsen vorn Doppelscheibenbremse (320 Millimeter) 
Bremsen hinten Einscheibenbremse (265 Millimeter) 
Räder, Reifen vorn 120/70 R19 
Räder, Reifen hinten 170/60 R17 
Maße und Gewichte
Länge in mm 2.175 
Breite in mm 880 
Höhe in mm 1.330 (ohne Spiegel) 
Radstand in mm 1.522 
Leergewicht in kg 220 
Zuladung in kg 210 
Tankinhalt in Liter 17 
Kraftstoffart Superbenzin 
Fahrleistungen / Verbrauch
Höchstgeschwindigkeit in km/h > 200 
Beschleunigung 0-100 km/h in Sekunden 3,6 
EG-Gesamtverbrauch in Liter/100 km 5,3 
Schadstoffklasse Euro 4 


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