Seit Juli 2022 ist der ehemalige Skoda-Chef Thomas Schäfer nun CEO der Marke Volkswagen. Die Zeiten sind unsicher. Der Wandel hin zur reinen Elektromobilität kann aufgrund immer strikterer Vorgaben aus der Politik gar nicht schnell genug gehen. Obendrein geht es um Wohl und Wehe von 600.000 Mitarbeitern. Und nicht jeder Kunde hat Lust auf ein E-Auto. 

Anlässlich der Los Angeles Auto Show hat sich Schäfer Zeit genommen, für uns die Zukunft des Wolfsburger Auto-Riesen zu skizzieren. Dabei wirkt er sehr reflektiert, spricht aktuelle Versäumnisse - etwa bei Qualitätsanmutung und Bedienung - klar an und gelobt Besserung.

Es geht um erste Erfolge der ID.-Familie, eine Neuausrichtung des Designs, mit welcher Gegenoffensive man auf die Angriffe von Hyundai und Co. reagieren wird, wie schwer es traditionelle Verbrenner-Modelle schon in naher Zukunft haben werden (Stichwort: Polo-Aus), wann man frühestens komplett elektrisch sein könnte und wie es um die Zukunft der Performance mit R und GTI bestellt ist. Zudem will man einen deutlich günstigeren Einstieg in die E-Mobilität möglich machen - noch unterhalb des ID.2.

Beginn der Serienproduktion des VW ID. Buzz in Hannover (2. Juni 2022)

ID.-Volumen steigt

Angesprochen auf das Volumen des Neo-Bulli ID.Buzz bestätigt der VW-Boss, dass 2023 in Hannover bereits 100.000 Exemplare vom Band rollen werden. Der Anteil der Nutzfahrzeug-Variante liege dabei mit gut 50 Prozent höher als erwartet. Eine günstigere Caravelle als Alternative zum doch recht teuren MPV sei derzeit nicht geplant. Man wolle erstmal die aktuelle Produktion sichern. Mit den Batterien sei das schon ein Kampf. Eine weitere Variante schaffe man daher derzeit nicht. Aber man könne später eventuell nachlegen. 

Alle Modelle zusammengenommen (ID.3, ID.4, ID.5, ID.6 und ID.Buzz) hat man bei den Auslieferungen inzwischen die 500.000er-Marke geknackt.

Zurück zu alten Design-Werten

Wir stehen sicher nicht alleine da, wenn wir monieren, dass das VW-Design durchaus schon bessere Zeiten gesehen hat als die jetzigen. Wie es scheint, wurde das inzwischen auch intern bemerkt. "Wir arbeiten sowieso gerade an der Zukunft des Designs bei VW. Zurück zu alten Werten. Mehr Skulptur, Präzision, weniger runde Formen. Da muss man jetzt ran", gibt Schäfer zu.

Die ID.-Familie sei ein starker Wurf nach vorne, da habe man nach Diesel-Gate schon zeigen müssen, dass man ganz neu unterwegs ist. Aber man brauche jetzt wieder eine Verbindung zu den Markenwerten und da arbeite man intensiv dran.

Also mehr Retro? Das dürfte laut Schäfer eher die Ausnahme bleiben: "Die Menschen fühlen sich beim Design des ID.Buzz abgeholt. Das trifft den Nerv, passt zur Marke. Aber du kannst nicht alle Autos Retro machen, das bringt nämlich auch nichts. Aber ab und zu Ikonen in die Zukunft transformieren, das macht schon Sinn."

Volkswagen ID. Beetle Renders

So stellen wir uns einen Volkswagen ID. Beetle vor

Elektro-Einstieg unter 25.000 Euro

Ein Knackpunkt beim Übergang zur reinen E-Mobilität sind aktuell sicher noch die sehr hohen Preise. Die staatliche Förderung läuft nach derzeitigen Plänen wohl nicht länger als 2025 (wenig überraschend spricht sich Schäfer dafür aus, dass das auch dringend nötig ist), ohne sie liegt der Einstieg in die lautlose VW-Welt derzeit bei 38.060 Euro für den günstigsten ID.3. Das wird sich ändern müssen. Aber wie?

Schäfer sagt, dass sich ja jeder von oben nach unten robbe aufgrund der dominanten Kosten für Batterien. Man mache das ja nicht für Stückzahlen, sondern wolle wirtschaftlich sein. Den ID.2 und die Familie außenrum habe man jetzt wirtschaftlich hinbekommen. 

Man müsse sehen, was mit Rohstoffpreisen in Zukunft passieren wird, aber derzeit glaube man, dass man einen Preis von unter 25.000 Euro halten könne. "Das kann aber nicht das Ende der Fahnenstange sein", erläutert der Volkswagen-Chef. "Wir brauchen da auf jeden Fall noch etwas darunter. Das ist momentan wirtschaftlich schwierig, aber nicht unlösbar."

Volkswagen Gol, Saveiro und Voyage 2020

Volkswagen Gol (2020) für Brasilien

China, Indien, Südamerika verlangten auch nach so einem Auto. Es müsse ein Weltauto sein. Eine Art "Elektro-Gol". "Aber ohne Abstriche bei Sicherheit oder das wir da irgendwelche Reichweiten hindengeln, die keiner mehr gebrauchen kann. Wenn wir da mit 100 Kilometer arbeiten, das ist ja Quatsch", sagt Schäfer. "Das haben wir noch nicht gelöst, da sind wir intensiv dran." Und bis dahin gebe es für preissensitivere Kunden ja noch immer die Verbrenner. 

Polo vor dem Aus

Die Frage ist nur, wie lange noch. Sind Golf und Polo unter den ständig wechselnden Voraussetzungen überhaupt noch interessant? "Der Golf sicher, das ist relativ klar", verspricht der CEO. Beim Polo müsse man mal sehen. Man habe die Komplikation, dass man ab 2025 ja ein elektrisches Angebot unter 25.000 Euro anbieten werde (ID.2). "Und wenn Euro 7 so kommt, wie wir es letzte Woche gehört haben, dann sind Fahrzeuge wie der Polo und in dieser Klasse gar nicht mehr möglich."

Die Konsequenz daraus sei eine Flucht nach vorne. Alles auf Elektro, wie es Schäfer nennt. Der Verbrenner-Ausstieg erfolge spätestens 2033. Das könne man versprechen. Sollte sich daran - etwa durch eventuelle gerichtliche Anordnungen - etwas ändern, "bereitet uns das aber auch keine schlaflosen Nächte"

Live-Fotos von Volkswagen ID.LIFE von der IAA 2021

VW ID.LIFE auf der IAA 2021, das Einstiegsmodell bekommt aber ein anderes Design

Warum man dann nicht eine Vorreiter-Rolle einnehme und bereits 2030 aussteige, will ein Kollege wissen. "Wir haben 600.000 Mitarbeiter", erwidert Schäfer, "die muss ich auch in Betracht ziehen, schauen, dass die Werke ausgelastet sind. So ein Umstieg muss ja auch finanziert werden. Ich glaube wir haben einen starken Plan, da brauchen wir uns nicht verstecken. Sollen die anderen mal zeigen, was sie für ein Line-up haben."

E-Fuels und Wasserstoff keine Alternative

Und das Leben des Verbrenners mit alternativen Kraftstoffen verlängern? Da hat Thomas Schäfer klare Ansichten: "E-Fuels spielen eine Rolle. Sind sie die Alternativlösung zu batterieelektrischem Fahren? Nein, ganz sicher nicht. Aber man braucht sie zur Dekarbonisierung einer Bestandsflotte, für Flugzeuge, Schiffe und so weiter. Wie das allerdings in Europa darstellbar sein soll mit den verfügbaren alternativen Energien, da fehlt mir die Fantasie."

Ähnlich pessimistisch ist er beim Thema Wasserstoff: "Das Thema ist nicht trivial und es kostet ein Vermögen. Für Volumen halte ich das in absehbarer Zeit nicht für einsatzbereit."

Mehr Premium wagen, Qualität verbessern

Dafür scheint Volkswagen wieder offener zu sein, was höhere Positionierung und Leistung angeht. Nach dem Phaeton hatte man sich hier ja weitgehend verabschiedet, wieder mehr Respektabstand zu Audi gewahrt. Jetzt greifen unter anderem Hyundai, Kia und Genesis voll an, werden hochwertiger, bringen an die 600 PS, etwa im Kia EV6 GT oder Hyundai Ioniq 5 N. Volkswagen will aber nicht klein beigeben. 

"Wir sind ja permanent dabei, was die MEB-Upgrades betrifft, zu antizipieren, was die Konkurrenz in 5,6 Jahren macht und sich da sauber zu verorten. Kann sein, dass die da vorgelegt haben unter bestimmten Aspekten, aber die holen wir wieder ein. Da gibt es auch keinen Respektabstand zu Audi, wo wir sagen, da dürfen wir nicht hin."

VW Tiguan (2023) Erlkönigbilder vom November 2022

VW Tiguan (2023) Erlkönigbilder vom November 2022

Und weiter meint Schäfer: "Bei Qualität und Wertigkeit da müssen wir ein paar Sachen wieder angehen. Das ist ja kein Geheimnis, dass wir da nochmal nachlegen. Auch bei der Bedienung wieder mehr Klarheit. Das ist jetzt die Challenge, das jetzt auch schnell auf die Straße zu bringen. Der Tiguan wird da nächstes Jahr schon ein guter Schritt vorwärts, da werden Sie merken, dass er beim Thema Wertigkeit und Funktion Boden gut gemacht hat."

GTI und R erhalten

Zu guter Letzt wollten wir noch wissen, wie es künftig um das Thema Performance bestellt sein wird. Die Kundschaft lege immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit, hieß es zuvor im Gespräch. Sind da Sportmodelle überhaupt noch relevant? Das sei absolut so, bekräftigt Schäfer. Man sehe ja bei Porsche, wie man mit Taycan Turbo S und Co. unglaubliche Erlöse erzielt. Das zeige, dass die alte Welt übertragen in die Zukunft funktioniere. Das bilde sich eben anders ab. Nicht mehr durch das Röhren, sondern durch die Beschleunigung. 

"GTI" insbesondere und "R" seien Markennamen und die gelte es in irgendeiner Form zu erhalten und dann strategisch weiter zu nutzen und nicht mit einem auslaufenden Verbrenner sterben zu lassen. "Wir überarbeiten das gerade, das werden Sie in den nächsten Monaten sehen, dass wir das richtig hinstellen. Bisher war das ein bisschen unklar, das müssen wir jetzt klären", führt Schäfer aus.