Es gibt sie bei allen Automarken: Historische Modelle und Baureihen, die etwas abseits des großen Interesses stehen. Jeder liebt den Ford Capri, kaum einer den Fiesta. Die Masse schlägt sich um den Mercedes W 123, aber die 116er-S-Klasse hat es schwer. Und auch BMW hat so einen Fall: E9 Coupé mit Sechszylinder? 02? 3er E30? Her damit! Frühe 5er der Baureihen E12 und E28 dümpeln hingegen im Schatten der Publikumslieblinge dahin. 

Betrachten wir uns den E28 etwas genauer: Wenn es nicht der seltene M5 oder eine hohe Ziffer am Heck ist, ist die Nachfrage überschaubar. 525e mit Automatik oder gar 524d? Lass mal lieber. Selbst in einschlägigen Oldtimer-Zeitschriften taucht der E28 kaum auf, während seine einstigen Rivalen von Mercedes allgegenwärtig sind. Dabei hätte diese Baureihe weit mehr Aufmerksamkeit verdient, wie ich nach einer Ausfahrt im M 535i konstatieren kann. 

Gleich aus zwei Gründen hatte ich BMW Classic umgarnt: Nach meiner Tour mit "Inka", dem 525 (E12) in Knallorange (einige werden sich erinnern), hatte ich mich gefragt, ob der Nachfolger nicht noch besser wäre. Ähnliche Motoren, aber moderner. Zudem feiert der E28 jetzt sein 40-jähriges Jubiläum. Richtig gelesen. 40. Tempora fugit. 

Bildergalerie: BMW 5er E28 (1981-1987)

Als die Baureihe E28 im Frühjahr 1981 vorgestellt wird, springen die Betrachter von der Presse nicht gerade vor Begeisterung vom Stuhl. Der neue Fünfer ist in vielen Bereichen deutlich moderner und hochwertiger geworden. Nur sieht man ihm das nicht wirklich an. Auf den ersten Blick ähnelt er stark seinem Vorgänger, gewürzt mit etwas harmonischerer Linienführung. Die breiten Heckleuchten erinnern so manchen an den Audi 80 oder Ford Granada

Noch im August 1981, als in der "auto, motor und sport" der erste ausführliche Test des neuen 525i erscheint, bricht Redakteur Gert Hack eine Lanze für das BMW-Design: Funktionelle Nachteile hätten E28-Käufer nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Der E28 sei aerodynamischer, sparsamer (bis auf den 518 alle Modelle mit Einspritzung), leichter und überhaupt moderner (neue Vorderachse). Fazit: Der neue 5er ist neu.

Aus heutiger Sicht mutet es beinahe kurios an: Inzwischen kassiert BMW regelmäßig Prügel für zu gewagtes Design. Riesen-Grill und so, Sie wissen schon. Mit dem zeitlichen Abstand wirkt der E28 gerade wegen seiner schlichten Optik zeitlos. Was damals als fade kritisiert wurde, macht heute den Reiz aus. Sehen Sie sich die Bilder an: Balsam für die Augen.

BMW E28 M535i (1985) im Test

Da ich gerade beim Thema "Reiz" bin: Als echten Pluspunkt gegenüber Audi und Mercedes bot der BMW 5er seinerzeit fast durchgehend Sechszylinder unter der Haube, einzig der 518 (518i ab 1984) hatte einen Vierzylinder. Ansonsten entweder der kompakte, für den 3er entwickelte M20 in 520i bis 525e oder ab dem 525i DER BMW-Motor schlechthin: Ein massiver Grauguss-Block namens M30, 1968 eingeführt, von den Fans liebevoll "Eisenschwein" getauft. Seine unnachahmliche Laufkultur soll der Grund gewesen sein, dass BMW nie Wankelmotoren baute.

Nach einigen Kilometern im M 535i der BMW Classic (zwischen M und Ziffern ist offiziell  tatsächlich ein Leerzeichen) kann ich das nur bestätigen. Ich bin bereits viele alte Autos gefahren, sogar den NSU Ro 80. Aber auch er war nicht annähernd so kultiviert wie der E28-5er mit M30. Bei Tempo 100 ist fast nichts vom Motor zu hören. Und selbst bei 130 km/h bleibt es trotz mittelmäßiger Aerodynamik leise. Wohlgemerkt in einem Auto mit Erstzulassung 22. November 1985.

Seine Leistung von 218 PS und 310 Newtonmeter (185 und 290 mit Kat) holte der BMW M 535i nicht wie heute per Zillionen von Turbos, sondern schlicht aus der Tiefe von mächtigen 3,5 Liter Hubraum. Für die sportliche Note sorgte daher auch nicht so sehr die Maschine, was sich erst beim seltenen M5 der Baureihe E28 mit Vierventil-Technik änderte. Auf mich wirkt der M 535i eher wie ein athletischerer Langstrecken-Profi, ähnlich wie heutzutage der M340i

BMW E28 M535i (1985) im Test

Zwar hatte die spätere M GmbH bereits vom ersten 5er, dem E12, einen M 535i gebracht. Doch erst sein Nachfolger nahm ab 1984 richtig Fahrt auf. Es war die Zeit von Spoilern und Sportlichkeit: Selbst Mercedes brachte einen 190 E 2.3-16 auf den Markt, BMW legte mit M3 und M5 nach. Kurioserweise ist zwar auch der M 535i rundum mit Kunststoff beplankt und das Chrom (nicht überall) modisch eingeschwärzt, aber nicht tiefergelegt. Dafür hat er serienmäßig ein Sperrdifferential mit 25 Prozent Wirkung und die optionalen TRX-Felgen, deren Reifen heute wahnsinnig teuer sind. 

56.800 Mark kostete Ende August 1987 ein BMW M 535i Kat, dafür gab es auch zwei 518i. Der 535i ohne M war gut 3.000 Mark günstiger, während für den M5 satte 86.600 DM aufgerufen wurden. Extras standen ohne Ende in der Preisliste: Fahrer-Airbag gut 2.000 DM, Außenspiegel rechts 375 DM, Fünfgang-Sportgetriebe 1.430 DM und Klimaanlage 3.720 DM.

Sie lesen richtig: Eine Klimaanlage, die heute jeder Kleinwagen serienmäßig hat, kostete damals ein Vermögen. Kein Wunder also, dass ich im M 535i schwitzen darf, denn sein Vorbesitzer hatte nicht die Spendierhosen an. Und so stehe (respektive sitze) ich vor einem Dilemma. Entweder Seitenfenster runter (elektrisch!) zur Abkühlung oder Garen im eigenen Saft, aber mit dem herrlichen Motorklang im Ohr.

BMW E28 M535i (1985) im Test

Aber nicht nur die Symphonie der sechs Zylinder begeistert mich: Das fahrerorientierte Cockpit ist BMW-Bedienlogik vom Feinsten. Alles ist einfach zu verstehen, lediglich die flugzeugartige Check-Control im Dachhimmel wirkt zu verspielt. Ganz im Gegensatz zu den großen klaren Instrumenten und den perfekt angebrachten Hebeln am Lenkrad. Kann mir mal jemand erklären, wo der Fortschritt in 36 Jahren auf der Strecke geblieben ist?

Dieser 5er fühlt sich hervorragend an. Ein maßgeschneiderter Fahrerhandschuh, der aber ähnlich passgenau sitzt. Vorne ist zwischen der Tür und meinem linken Arm kaum Platz. Kein Wunder, der E28 ist nur 1,70 Meter breit. Durch seine speziellen Stoßfänger ist der M 535i mit 4.604 Millimetern sogar etwas kürzer als die restlichen E28. Aber an sich entsprechen Länge wie Breite dem Vorgänger E12.  

Meine Erwartungen an den E28 wurden trotzdem voll erfüllt. Okay, dieser hier hat gerade mal 8.000 Kilometer auf der Uhr, ist also praktisch ein Neuwagen. Dementsprechend fein präsentiert er sich innen. Erst die nach heutigen Maßstäben nicht ganz präzise Lenkung und der Zustand der TRX-Reifen erinnern mich daran, dass an meinem M 535i ein H-Kennzeichen prangt. 

BMW E28 M535i (1985) im Test

Und nicht nur ich bin begeistert von dem Wagen. Journalistische Distanz ist das eine, aber auch wir haben ein Herz. So wie Kollege Wagner, den das klare Design mit der "Haifischnase" ins Schwärmen bringt. Sein Kommentar: "Ikonenbrandt, Du brauchst einen E28." Er hat recht. Es muss ja nicht der M 535i sein, von dem nur 9.483 Exemplare gebaut wurden und der im guten Zustand bei mindestens 20.000 Euro und darüber notiert.

Ich würde in meinem persönlichen E28 entspannt cruisen und mich an seiner Optik erfreuen. Da reicht auch der 525i mit 150 PS, aber halt dem M30 unter der Haube. Dessen Vibrationsfreiheit pries schon die "auto, motor und sport" 1981 in ihrem Test und notierte unglaublich niedrige Werte beim Innengeräusch: 65 dB(A) bei 100 km/h, deren 68 bei 130.    

Meine Suche auf einschlägigen Portalen bestätigt die Tatsache, dass der E28 immer noch ein Geheimtipp für Kenner ist. Viel E12-Flair, aber deutlich bessere Rostvorsorge, moderne Technik und insgesamt stimmiger. Gute E28 bis zum 528i gibt es reichlich bis 10.000 Euro. Meinen Treffer will bestimmt kein anderer haben: Ein 525i mit monströsem Fahrer-Airbag (das hat schon wieder seinen Charme) plus Viergang-Automatik. Dafür nur gut 5.000 Euro. "Pfui!" schreit da manch BMW-Purist. Aber Liebe kommt durch Streicheln, nicht durch Treten.

Bildergalerie: BMW E28 M535i (1985) im Test

Bild von: Fabian Grass