Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Und nun? Was soll ich mit diesem 540 PS starken und mindestens 140.000 Euro (Testwagen: 158.420 Euro) teuren V10-Geschoss anstellen? Vielleicht ein Alltagsbericht oder ein ähnlich pseudokreativer Vorwand mit dem ich frohsinniges Benzinverbrennen rechtfertige? Nee, muss nicht sein. Als Autojournalist wird man gelegentlich mit Klischees konfrontiert, wie: „Ihr fahrt ständig superschnelle Autos und arbeitet nicht!“ Ein nachvollziehbares Vorurteil, dass ich allerdings bislang nicht bedienen konnte.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Die meiste Zeit sitze ich nämlich im Büro, schreibe Artikel und Mails, telefoniere, bereite Dreharbeiten vor oder schneide Videos. Ja, gelegentlich sitze ich auch hinter dem Steuer eines superschnellen Autos. Das macht natürlich Spaß, hat aber immer einen konkreten Zweck und geschieht somit nicht nur zum Spaß. Das muss sich ändern!
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Es ist Freitagabend, die Wochenendeinkäufe wurden in den winzigen 112 Liter Kofferraum gezwängt, wieder entnommen, im Kühlschrank verstaut und jetzt liegt der R8-Schlüssel auf dem Esstisch. Wolken und Berufsverkehr lösen sich irgendwo jenseits meines Küchenfensters auf. Mal ehrlich, was würden Sie tun?
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Irgendwo in meiner Wohnung muss noch ein cartoongleich dampfender Umriss meiner Gestalt wabern, nachdem ich mich in Richtung R8 stürze. Der Weg zur nächsten Autobahn fällt glücklicherweise kurz aus, wobei das Heck ( 295/35 R19 Hinterreifen) mehrmals leicht die Auffahrt hinaufzuckt. Und weil ich gerade das Klischee des nutzlos hedonistischen Autoschreiberlings bediene, hier noch eins…
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Die langsam untergehende Sonne taucht die zwei autoleeren Fahrspuren vor mir in goldenes Licht. Der Geruch von frisch gemähtem Gras rauscht durch das offene Fenster. Das weiße Schild mit den schwarzen Strichen verkündet freie Fahrt für freie Bürger… oder so ähnlich. Achtung: Jetzt öffne ich die besonders pathetische Kiste dummer Metaphern.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Der V10 hinter den Sitzen erwacht wie ein entsetzter Braunbär, der sich beim nächtlichen Toilettengang den kleinen Zeh am Türrahmen gestoßen hat. Vollkommen unvermittelt übrigens, denn von dieser akustischen Gewalt bekommt man im Teillastbereich überhaupt nichts mit. Kaum zu glauben, doch beim normalen Dahinrollen bewegt sich das Klangbild des 5,2-Liter-Aggregats auf dem Niveau eines winzigen Downsizingbenziners. Als der R8 neu auf dem Markt war, klang das noch anders. Immer schärfere Geräuschvorschriften schnüren Sportwagen leider zunehmend den Klang ab. Aber, wurstegal. Ich will schließlich sinnlos schnell fahren!
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Der R8 und ich brüllen also über die linke Spur in Richtung 270, 280 und dann taucht der RWS schlagartig in eine Bodenwelle, die bei diesem Tempo mächtiger ausfällt als erwartet. Jetzt kommt die Erinnerung wieder: Ach ja, da war ja was. Anscheinend immer noch nicht repariert und immer noch kein Schild, das davor warnt. Einen Porsche-911-GT3-Testwagen hatte es an der gleichen Stelle beinahe komplett ausgehebelt.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Der R8 dämpft den welligen Fahrbahnversatz sehr viel selbstsicherer. Kurz darauf stehen 300 km/h auf dem Tacho. Die digitale Drehzahlnadel zittert bei etwa 7700 U/min. Und jetzt kommt der eigentliche Schock: Das macht schon irgendwie Spaß, aber Euphorie kommt trotzdem nicht auf.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Die überragende Isolierung nimmt mir das Gefühl für die Geschwindigkeit. Klar, durch Wind und Motor ist es etwas lauter, jedoch nicht so laut, dass mir die Ohren klingeln würden. Als gründlicher Autojournalist will ich mich nicht von solch kurzen Eindrücken in die Irre führen lassen. Lieber etwas länger am Gas bleiben! Vielleicht ändert sich was!?
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Fünf Minuten später erreiche ich (mit 307 km/h) das Autobahnende. Das ging überraschend schnell. Zur Sicherheit sollte ich die Akustik nochmal in die andere Richtung testen. Mein Eindruck bleibt unverändert. Von immer gleichen Ergebnissen auf immer gleiche Versuche sollte man sich allerdings nicht entmutigen lassen! Also nochmal in die andere Richtung – mit 307 km/h.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Die Höchstgeschwindigkeit des 1.580 Kilo (50 Kilo leichter als der Quattro) schweren RWS beträgt übrigens 320 km/h. Unter realen Bedingungen wird die Beschleunigung jedoch über 300 etwas zäh. Der RWS, was für Rear Wheel Series steht, hat ausschließlich Hinterradantrieb. Dazu habe ich bisher nicht viel gesagt. Auf die Fahrstabilität über 300 km/h hat dieses Detail keine Auswirkungen.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Zu diesem Schluss komme ich, nachdem ich ein weiteres Mal am Autobahnende gewendet habe und zurückgefahren bin. Lieber auf Nummer sicher gehen und nochmal wenden! Aber eigentlich will ich etwas zum Hinterradantrieb sagen. Bevor ich diesem (für Audi) ungewöhnlichen Feature auf den Grund gehen kann, braucht der R8 allerdings Sprit. Also mit 307 km/h zur nächsten Tankstelle.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Frisch betankt schlängelt sich der R8 über einige kurvige Landstraßen, wobei ich so gut wie nichts von der Hecklastigkeit mitbekomme. Ja, das Heck bricht aus, wenn man es darauf anlegt, lässt sich etwas widerspenstig mit dem Gas balancieren und macht alles, was ein hinterradgetriebener Mittelmotorsportler können muss. Jedoch nicht bei vernünftigen Geschwindigkeiten. Das macht den R8 RWS meiner Meinung nach zu einem Rennstreckenspielzeug, ähnlich eines Porsche 911 GT3.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Leider fährt der RWS nicht so puristisch. Die gefühllose Lenkung und die zum Untersteuern neigende Vorderachse passen nicht ganz ins Bild des potenziellen Track Tools. Der RWS kommt für meinen Geschmack etwas zu sehr wie ein Ergebnis der Marktforschung rüber. Jemand kam vermutlich zu dem Schluss, dass es einen kleinen Kreis an Käufern gibt, die Interesse an einem Hinterrad-R8 haben. Der Antriebsstrang aus dem Lamborghini Huracan LP 580-2 lag ohnehin im VW-Konzernregal und konnte somit kosteneffektiv in den R8 transplantiert werden.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Darüber hinaus fehlt leider das letzte Quäntchen ehrlicher Enthusiasmus. RWS hätte das GT3 von Audi werden können. Anstatt diese Idee konsequent zu verfolgen, wurde die Stückzahl künstlich auf 999 verknappt, was dem Auto einen Seltenheitsbonus gibt, der Spekulanten und Sammler anziehen soll. Die werden zumindest auf ihre Kosten kommen, da der RWS für Mittelmotor-Sportwagen-Verhältnisse durchaus fair eingepreist ist und trotz meiner Meckerei reichlich Fahrspaß bietet.
Spritztour mit dem Audi R8 RWS
Zusammenfassend: Der R8 RWS ist ein bisschen wie eine Vollgas-Autobahnfahrt an einem Freitagabend: Nicht allzu sinnvoll (ist eben ein Sportwagen), spaßig und irgendwie immer etwas besonderes.
Der ganze Unfug in Zahlen: 66,55 Liter Benzin; 107 Euro; 20,28 Liter/100 km.
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