Für was stehen Autos aus China in Europa? Sie sind unsicher, zeichnen sich durch abgekupfertes Design aus, sind windig verarbeitet und haben veraltete Technik an Bord. Ja, diese Vorurteile halten sich in unseren Köpfen. Aber damit denkt man an einen Stand von vor 15 Jahren. Es hat sich viel getan im Reich der Mitte und was heute in einer zweiten Welle nach Europa drängt, hat nur noch wenig mit den ersten automobilen Fußfassversuchen zu tun.
Dabei erreichen uns Hersteller, von denen man noch nie gehört hat und es werden immer neue Marken kreiert. Beispielsweise Wey. Wey gibt es in China seit 2017 und gehört dem Great Wall Motor-Konzern an, der wiederum seit seiner Gründung im Jahr 1984 bereits 11 Millionen Autos gebaut hat.
Eine weitere Marke des Konzerns ist Ora, die ebenfalls noch in diesem Jahr mit einem kompakten Elektroauto namens Funky Cat nach Europa kommt. Bei Wey konzentriert man sich hingegen erst einmal auf SUVs mit Plug-in-Hybrid. Und das Erstlingswerk – den Coffee 01 – konnten wir jetzt einem ersten Test unterziehen.
Wey Coffee 01 ... was ist das?
Was so aussieht wie eine Mischung aus Maserati Grecale, Toyota RAV4 und DS7 ist ein D-Segment-SUV, das sich wirklich sehen lassen kann. Der optische Mix auf 4,87 Meter Länge, 1,96 Meter Breite und 1,69 Meter Höhe ohne Heritage-Hintergrund ist echt gelungen. Und dabei stammt die im ganzen dann doch wieder recht eigenständige Gestaltung aus China. Man orientiert sich also weiterhin an Europa, versucht Urheberrechtsverletzungen mittlerweile aber weitestgehend aus dem Weg zu gehen.
Im Innenraum setzt sich der positive erste Eindruck fort. Windige Verarbeitung und billige Materialien? Fehlanzeige. Man setzt auf Leder, Alcantara, aufgeschäumte Oberflächen und eingefärbte Kunststoffe. Dazu kommen aufwändige Nähte und Arrangements dieser Werkstoffe, die beispielsweise in den Türverkleidungen gut und gerne mit deutschen Premiumprodukten mithalten können. Natürlich wird man aber auch hier an der einen oder anderen Stelle auf den Boden der Hartplastik-Tatsachen zurückgeholt, aber der Gesamteindruck ist außerordentlich stimmig.
Nachdem wir es uns auf den überaus bequemen Sitzen in der ersten Reihe bequem gemacht haben und den in großen Teilen lilafarbenen Innenraum haben sacken lassen, freuen wir uns über zahlreiche USB- und USB-C-Anschlüsse, eine Möglichkeit der kabellosen Smartphone-Ladung und einen Haufen an Bildschirmen.
Hinter dem zweispeichigen Lenkrad mit dünnem Kranz sitzt eine scharfe 9,2-Zoll-Einheit, die mit etwas klein geratener Schrift viele Infos liefert. Auf der Mittelkonsole thront ein 14,6-Zoll-Touchdisplay, das eine Fülle von teilweise recht undurchsichtig angeordneten Verstellmöglichkeiten bietet.
Die komplexe Software sieht aber gut aus und arbeitet schnell. Darunter befindet sich die Klimabedienung mit 9-Zoll-Display. Auch hier ist die Bedienung gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil man das recht flach verbaute Display schlecht einsehen kann. Besser sieht man das 7,5-Zoll-Head-up-Display. Optional kann es mit AR-Funktionen ausgestattet werden.
Für welche Kunden ist der Wey gedacht?
Das beim Wey Coffee 01 irgendetwas anders ist, merkt man auch daran, dass man vorne doch etwas hoch sitzt und die Rückbank im Fond flach verbaut wurde. Das SUV wurde nämlich von Anfang an als Plug-in-Hybrid-Modell entwickelt und mit einer gewaltigen Batterie geplant, die sich wie bei einem vollelektrischen Fahrzeug über fast den gesamten Unterboden erstreckt, fast 40 kWh an Strom speichern kann und eine theoretische Reichweite von 146 km bietet.
Dabei stellt Vittorio D‘Arienzo – Director for Product Planning – noch einmal explizit klar, dass der Coffee 01 nicht als PHEV gebaut wird, um irgendwelche Regularien zu erfüllen, sondern um einem ermittelten Kundenwunsch in einer bestimmten Zielgruppe zu entsprechen. Eine Zielgruppe, die aktuell noch nicht bedient wird und die aber laut Herstellerangaben da zu sein scheint.
Laut Thiemo Jahnke – Brand & Marketing Director Europe – handelt es sich dabei um Menschen, die offen für neue Marken sind und Interesse an einem sicheren, erwachsenen Auto haben. Außerdem wollen diese Kunden gerne auf ein Elektroauto umsteigen. Aber noch nicht ganz. Sie wollen erst einmal in Teilzeit ausprobieren, ob man im Alltag mit einem Stromer zurecht kommt und gleichzeitig die Sicherheit genießen einen zusätzlichen Verbrenner an Bord zu haben.
Ob der Plan aufgeht? Möglich. Dagegen spricht – zumindest in Deutschland – der Wegfall der Förderung für PHEV-Modelle ab 2023. Dafür spricht, dass es eigentlich keinerlei Konkurrenz für Wey gibt. Eventuell könnte man den etwa gleich großen Mercedes-Benz GLE als Vergleichsobjekt heranziehen, der mit einer ebenfalls recht großen Batterie mit 27 nutzbaren Kilowattstunden an Speicherleistung für rund 100 elektrische Kilometer gut sein soll. Allerdings sprechen wir hier von fünfstelligen Preisunterschieden. Und auch sich schlechter lesenden Datenblättern aus Stuttgart.
Wie fährt er sich?
Auf diesem Datenblatt attestiert Wey dem Coffee 01 eine Systemleistung von 476 PS und ein Systemdrehmoment von 847 Nm. Allerdings wollen auch 2,3 Tonnen Leergewicht bewegt werden. Trotzdem geht es in 5,0 Sekunden auf Tempo 100. Und wenn man die gleiche Disziplin rein elektrisch bestreiten will, müssen 7,0 Sekunden eingeplant werden. Das klingt alles ziemlich sportlich. Theoretisch. Denn in der Praxis hat der Coffee 01 zwar schon ordentlich Dampf, jedoch lässt sich dieser nicht allzu spontan abrufen.
Trotz der Leistungsdaten bleibt das Performance-SUV-Gefühl auf der Geraden also aus. Und auch in schneller gefahrenen Kurven ändert sich daran nichts, wo der durch die Unterflurbatterie recht niedrige Schwerpunkt zwar sein bestes gibt, um die dreimotorige Fuhre nicht allzu sehr ins Schaukeln zu bringen. Aber die doch um die Mittellage recht undefinierte Lenkung (die auch im Sport-Modus nicht straffer wird) und das eindeutig auf Komfort abgestimmte Fahrwerk arbeiten immer gegen die sportlichen Ambitionen des Antriebsstrangs.
Und dieser Antriebsstrang besteht aus einem 2,0-Liter-Turbobenziner sowie zwei Elektromotoren (einem unterstützend für den Vierzylinder-Verbrenner und einem exklusiv für die Hinterachse) plus einem 9-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. Viele Komponenten, die erstaunlich gut miteinander kommunizieren.
Denn von irgendwelchen Zu-, Um- oder Abschaltmanövern merkt man so gut wie nichts. Wind- und Motorgeräusche halten sich ebenfalls im Hintergrund. Cool. Weniger cool sind jedoch der penetrante EV-Sound bis 25 km/h, die lauten Abrollgeräusche der 21-Zöller und das eine oder andere Polter- sowie Klappergeräusch bei Schlaglöchern.
Beim Verbrauch langt der Coffee 01 ebenfalls gut zu. Zwar muss man sich immer wieder aus dem Hinterkopf holen, dass 476 Pferde nicht ohne ausreichend Nahrung arbeiten, die angegeben 0,4 l/100km erreichen wir trotz des vollen Akkus bei Abfahrt aber nicht. Nach gut 300 km mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 51 km/h kommen wir auf 6,5 l/100km. Und eine leere 39,67-kWh-Batterie. Rein elektrisch sind wir übrigens dann etwa 110 km gefahren. Bis zu einem maximalen Tempo von 130 km/h.
Kann man sich auch fahren lassen?
Mit über 20 Sensoren an Bord sollten diese Disziplinen eigentlich kein Problem sein. Was wir allerdings bislang an den daraus resultierenden Komfort-Features ausprobieren konnten, war entweder noch nicht ganz final in der Abstimmung, noch im Testbetrieb oder dann doch irgendwie grobschlächtig.
Der Spurhalteassistent ist noch sehr ruppig (mit der neuen Software, die noch vor der Markteinführung kommt, soll es besser werden). Der Aufmerksamkeitswarner kann nervig sein und erinnert sehr früh, dass man besser wieder den Blick auf die Straße richtet, obwohl man vielleicht noch nicht den entsprechenden Button für die Lenkradheizung gefunden hat.
Die 360-Grad-Kamera ist nett und liefert zahlreiche Perspektiven. Allerdings ist die Auflösung doch recht grobpixelig und man braucht saubere Linsen sowie gutes Licht, damit die Visualisierungen Spaß machen und wirklich helfen.
Die Assistenten, die für die allgemeine Sicherheit im Fahrzeug zuständig sind, scheinen aber einen guten Job zu machen, denn beim EuroNCAP-Crashtest konnte der Wey Coffee 01 ein Traumergebnis einfahren. Hier hat man sich besonders viel Mühe gegeben.
Phillipp Kemmler, Head of Communication Europe, meint nicht ohne Grund: "Die Eintrittskarte nach Europa ist EuroNCAP." Fünf Sterne und der insgesamt drittbeste jemals erreichte Wert resultierten aus dieser Sicherheits-Einstellung. Nur Tesla und Lexus waren schon einmal besser.
Wie viel Geld muss ich einplanen?
Für das was der Wey Coffee 01 am Ende doch bietet ... erstaunlich wenig. Hier bleiben sich die China-Autos also weiterhin treu. Bei 55.900 Euro geht es los. Dann bekommen Sie die Ausstattungslinie "Premium". Und die ist schon ziemlich umfangreich. Bis auf die AR-Funktion des Head-up-Displays sind alle im Text erwähnten Features mit an Bord.
Wenn Sie jetzt noch das Panoramadach, belüftete Alcantara-Sitze, beheiztes Gestühl im Fond, einen Parkassistent und verschiedenfarbiges Ambientelicht haben möchten, greifen Sie zur 59.900 Euro teuren "Luxury"-Ausstattung.
Angeboten wird das Modell über die Emil Frey-Gruppe mit rund 60 geplanten Verkaufspunkten in Deutschland. Bestellt werden kann ab sofort und die ersten Auslieferungen sollen noch in diesem Jahr (gut für die Förderung) oder spätestens im Januar 2023 starten. Garantie auf das gesamte Auto gibt es für fünf Jahre und unbegrenzte Kilometer. Auf den Antrieb und die Batterie gewährt Wey sogar acht Jahre, begrenzt die Laufleistung dann aber auf 160.000 Kilometer.
Fazit: 7/10 Punkte
Wenn wir alle Eigenschaften des Coffee 01 summieren, kann man das Europa-Debüt von Wey durchaus als gelungen bezeichnen. Das Fahrzeug sieht gut aus, wirkt qualitativ hochwertig und der einhornmäßige Antrieb macht den Coffee 01 zudem recht einzigartig.
Premium aus China ist also mit wenigen Abstrichen möglich und wenn Sie sich noch nicht zu einem vollelektrischen Auto durchringen können sowie keine Angst vor noch unbekannten Marken haben, könnte dieser sicher getestete Chinese tatsächlich eine preiswerte Überlegung wert sein.
Bildergalerie: Wey Coffee 01 (2022) im Test
Wey Coffee 01