Wir müssen hier ab und zu auch unser Bildungsniveau zum Ausdruck bringen: "Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst! Was ihnen hoch zum Lobe spricht, fiel reichlich euch zur Gunst." So ließ es Richard Wagner einst seinen Helden Hans Sachs in "Die Meistersinger von Nürnberg" sagen. Nun, den ersten VW Scirocco hatte er nicht im Sinn. Passen würde es aber.

Zunächst aber gibt uns unser Fotomodell Rätsel auf. Auf dem Kennzeichen steht "77", was auf das Jahr des großen Facelifts hinweist. Im Rahmen dessen wurden die Stoßfänger kunststoffummantelt und bis an die Radausschnitte herumgezogen, die vorderen Blinker vergrößert sowie B-Säule und Spiegelgehäuse schwarz lackiert.

Aber die fetten Zierstreifen plus das mercedesige Kürzel "SL" erfordern noch mehr Recherche. Aha: 1980, kurz vor dem Erscheinen der zweiten Generation des Scirocco, brachte VW seinen SL als sportlich angehauchtes Sondermodell. Vor allem zeigt sich das am Lenkrad im GTI-Stil und den grellen Sitzen. Den 110-PS-Motor aus dem Golf GTI gab es aber nicht, unter der Haube unseres SL verbergen sich 85 PS.

VW Scirocco SL (1980)
VW Scirocco SL (1980)
VW Scirocco SL (1980)

Doch der Reihe nach: Bereits 1971 hatte das VW-Management beschlossen, dem später als Golf bekannten Kompaktwagen ein schickes Coupé zur Seite zu stellen. Beide Modelle gestaltete Giorgio Giugiaro, heraus kam ein eckiges, aber fast zeitloses Design.

Der Typ 53, wie der spätere Scirocco intern hieß, debütierte bereits vor dem Golf I auf dem Genfer Autosalon im März 1974 und kam vor diesem auf dem Markt. So konnte man Kinderkrankheiten ausbügeln (die der Golf immer noch genug hatte) und die Resonanz testen. Schließlich war der Nachfolger des Karmann-Ghia trotz gleichen Produktionstandorts völlig anders: Ecken statt Rundungen, Motor vorne statt hinten, Wasser- statt Luftkühlung.

Angeblich war der Name Scirocco für Golf und Scirocco geplant, letzterer wäre dann das Scirocco Coupé gewesen. So kam es dann doch nicht, Scirocco bezeichnet übrigens einen heißen Wüstenwind, der von der Sahara in Richtung Mittelmeer weht. 

VW Scirocco SL (1980)
VW Scirocco SL (1980)

Heiß wird es mir im Scirocco vor allem, durch die Sonne, die ohne Klimaanlage ins Auto knallt. Und dort auf wenig atmungsaktive Sitze trifft. Ihre markante Farbgebung ist beinahe das Aufregendste im sachlichen Innenraum. Vor Probleme stellt mich das Cockpit nicht, schließlich gibt es nicht viel zu bedienen. Auch keine Servolenkung, was beim Parken für die Fotos meine Oberbekleidung endgültig ruiniert.

Also besser das kleine Dreiecksfenster ausstellen und ab auf die Piste! Mit typischem Klang geht der 1,6-Liter-Motor vom Stamm EA 827 vorwärts. (Rückwärts übrigens noch markanter, das Geräusch kenne ich noch aus Kindertagen.) Mit 10,8 Sekunden auf Tempo 100 nicht einmal unflott, schließlich wiegt der nur 3,88 Meter kurze Scirocco lediglich 800 Kilogramm.

Und sonst? Gutes Handling, tolle Übersichtlichkeit, aber eine nicht allzu präzise Schaltung mit nur vier Gängen. Über 500.000 Kunden machte das in sechs Jahren nichts aus. Nach drei Generationen (und eine langer Pause zwischen der zweiten und dritten Auflage) ist seit 2017 erst einmal Schluss mit Scirocco. Wer bei VW heute eine sportliche Kleinigkeit will, muss zum Polo GTI greifen. Aber wenn wir einen Wunsch bei Markenchef Schäfer frei hätten: ID. Scirocco im Retrodesign bitte! 

Bildergalerie: VW Scirocco SL (1980)