Es ist seit Jahrzehnten das goldene Kalb der deutschen Politik: Die Frage nach einem generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Besonders zu Wahlkampfzeiten kocht das Thema wieder hoch. Eine Fraktion ruft "Freie Fahrt für freie Bürger", die andere verweist auf positive Aspekte beim Klimaschutz. Eine neue Studie zeigt nun: Die große Mehrheit fährt eh nie schneller als 130 km/h, dem Klima nutzt ein Tempolimit aber dennoch wenig.

Big-Data- und Verkehrsexperten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben Echtzeit-Daten von Autobahnabschnitten ohne Tempolimit ausgewertet. Das Ergebnis: Selbst nachts fahren die meisten langsamer als 130 km/h.

Ein bundeseinheitliches Tempolimit ist eines der größten verkehrspolitischen Streitthemen im Vorfeld der Wahl und spaltet die politischen Lager. Tatsächlich fahren auch auf Abschnitten ohne Tempolimit rund 77 Prozent der Autofahrer langsamer als 130 km/h, wie eine neue IW-Studie zeigt. Weitere zwölf Prozent fahren zwischen 130 und 140 km/h, und weniger als zwei Prozent fahren schneller als 160 km/h.

Für die Studie haben die IW-Wissenschaftler über einen Zeitraum von rund vier Monaten Daten von Autobahnzählstellen an Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung in Nordrhein-Westfalen ausgewertet. Dabei wurden rund 1,2 Milliarden Fahrten auf 1.762 Fahrstreifen erfasst.

Erwartungsgemäß sind die meisten Autofahrer zwischen 15 und 18 Uhr unterwegs, in dieser Zeit fährt laut IW kaum jemand schnell: Gerade einmal rund ein Prozent der Fahrer ist schneller als 160 km/h. Ab 19 Uhr steigt der Anteil der Schnellfahrer deutlich, bleibt insgesamt aber sehr klein: Zwischen 22 und 4 Uhr fahren nur vier Prozent 160 km/h oder schneller. "Die Zahlen zeigen, dass selbst bei freier Fahrt und nachts nur eine Minderheit sich mit maximalen Geschwindigkeiten wohlfühlt.", heißt es. 

Die Diskussion um das Tempolimit ist inzwischen 50 Jahre alt: Bereits 1971 wollte der damalige Verkehrsminister maximal 100 Kilometer pro Stunde auf allen deutschen Straßen durchsetzen. Seitdem wird debattiert. Das Hauptargument für Tempolimits war über lange Zeit die Unfallgefahr. Allerdings sind die Autobahnen heute die sichersten Straßen in Deutschland. Von 2.719 Verkehrstoten im Jahr 2020 starben 317 Menschen auf der Autobahn, allerdings wird etwa jeder dritte Kilometer auf der Autobahn gefahren.

Auch den CO2-Ausstoß dürfte das Tempolimit nicht entscheidend senken: Selbst bei einheitlichem Tempo 130 würden Modellen zufolge maximal zwei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Zum Vergleich: Die Bundesregierung plant bis 2030, im Verkehr an die 80 Millionen Tonnen einzusparen. "Die öffentlichen Erwartungen an ein Tempolimit sind nach 50 Jahren Debatte deutlich überzogen", sagt IW-Verkehrsökonom Thomas Puls.

Jedoch muss angemerkt werden, dass das IW von arbeitgebernahen Verbänden finanziert wird. Zu den Trägervereinen gehört auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", ein Tochterunternehmen des IW, hatte im Bundestagswahlkampf 2021 mit Anzeigenmotiven gegen Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) für Aufsehen gesorgt.