Gegen Carlos Ghosn, den aus dem Hausarrest in den Libanon geflohenenen Ex-Chef von Nissan, wurde nun von den japanischen Behörden ein internationaler Haftbefehl erwirkt. Unterdessen untersucht die Türkei, wie Ghosn unbemerkt in Istanbul zwischenlanden konnte. In diesem Zusammenhang haben die türkischen Behörden breits sieben Personen festgenommen, die bei Ghosns Flucht geholfen haben sollen, wie Bloomberg.com meldete. Ghosn soll bei der Zwischenlandung auf dem alten Istanbuler Flughafen in einer Kiste von einem Jet zum anderen transportiert worden sein.

Carlos Ghosn war der im November 2018 bei seiner Ankunft in Japan verhaftet worden. Vorgeworfen wird ihm persönliche Bereicherung auf Kosten des Renault-Nissan-Konzerns und Verstöße gegen aktienrechtliche Vorschriften. Bis Ende 2019 war er gegen eine hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt worden. Aus dem Hausarrest heraus gelang ihm am vergangenen Sonntag (29. Dezember) die Flucht über die Türkei in den Libanon, dessen Staatsangehörigkeit er (neben der französischen und der brasilianischen) besitzt.

Nach seiner Flucht hatte er sich am Dienstag aus dem Libanon gemeldet. Er sei nicht vor der Justiz geflohen, sondern vor Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung, so der Ex-Manager. Nun könne er endlich frei mit den Medien kommunizieren und freue sich darauf, nächste Woche (also ab 6. Januar) damit zu beginnen. Ghosn will angeblich am 8. Januar in Beirut eine Pressekonferenz abhalten, wie die japanische Yomiuri-Zeitung berichtete. Bloomberg erwartet eine große Abrechnung mit den Nissan-Managern, die ihn ans Messer geliefert haben sollen.

Ghosn führt seine Festnahme auf ein Komplott von Nissan-Managern, der japanischen Justiz und der Regierung zurück. Man haben ihn so daran hindern wollen, die Fusion mit Renault zu vollenden. Bisher hält Renault nämlich nur etwa 44 Prozent der Nissan-Anteile. In der geplanten Pressekonferenz könnte Ghosn nun Namen nennen, so der Bloomberg-Bericht.

Möglicherweise wird Ghosn auch die missliche Lage des Konzerns thematisieren. Die Gewinne der japanischen Marke sind danach auf einem langjährigen Tiefststand. So gehörten auch die Aktien von Nissan und Renault im Jahr 2019 zu den verlustreichsten Autoaktien weltweit.

Die Abrechnung wird aber wohl auch das japanische Rechtssystem betreffen. Dieses zeichnet sich in der Tat durch ein paar Besonderheiten aus, die sich zu ungunsten des Verdächtigten auswirken. So werden fast 100 Prozent der Angeklagten letztendlich auch verurteilt. Außerdem erlaubt das japanische System, den Verdächtigen auch ohne Anklage für lange Zeit festzusetzen und ohne Beisein eines Anwalts zu verhören.

Ein weiterer Punkt der Abrechnung wird wohl die Untätigkeit der französischen Regierung sein, die dem französische Staatsbürger Ghosn nur ein Minimum an konsularischer Unterstützung gewährt habe, wie Ghosns Frau Carole wiederholt beklagt hat.

Die Umstände der Flucht von Ghosn aus dem Hausarrest sind unterdessen Gegenstand wilder Spekulationen. Der 65-Jährige soll sein Haus in Tokio, das per Video und durch Wächter bewacht wurde, in einem großen Musikinstrumente-Kasten verlassen haben, so der libanesische Sender MTV. Danach solle er dann entweder per Schiff oder/und in einem Privatjet das Land verlassen haben.

Da sämtliche Pässe von Ghosn von den japanischen Behörden konfisziert wurden, ist Ghosn offenbar mit gefälschten Dokumenten gereist. Nach einem Zwischenstopp in der Türkei ist er jedenfalls im Libanon gelandet. Dort hat er angeblich den libanesischen Präsidenten Michel Aoun getroffen, was dieser allerdings abstreitet. Jedenfalls muss Ghosn nicht befürchten, von den Behörden nach Japan abgeschoben zu werden, da der Libanon kein Auslieferungsabkommen mit Japan hat.