Diese Nachricht schlug hohe Wellen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig erhebt Anklage gegen Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, den aktuellen Vorstandschef Herbert Diess und den Ex-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation. "Den genannten - ehemaligen oder amtierenden - Vorstandsmitgliedern der Volkswagen AG wird vorgeworfen, entgegen der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht den Kapitalmarkt vorsätzlich zu spät über die aus dem Aufdecken des sogenannten Diesel-Skandals resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen zu haben."

In der Veröffentlichung der Staatsanwaltschaft wird auf einen konkreten Motor Bezug genommen: "Zugrunde liegt dem Strafvorwurf der „Marktmanipulation“ der Wille des Gesetzgebers, Vorstände börsennotierter Unternehmen dazu zu verpflichten, kursrelevante Ereignisse wie zum Beispiel erhebliche finanzielle Risiken unverzüglich nach Bekanntwerden im Rahmen einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt zu machen, damit insbesondere Besitzer von Aktien ihr Kauf- oder Verkaufsverhalten darauf einstellen und Erwartungen oder Risikoeinschätzungen an die aktuelle Lage des Unternehmens anpassen können. Dieser Verpflichtung aus dem Wertpapierhandelsgesetz sind die Angeschuldigten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Software-Manipulationen bei den Diesel-Motoren des Typs EA 189 nicht nachgekommen."

Jetzt hat sich der Volkswagen-Konzern selbst zu Wort gemeldet. In einer offiziellen Pressemitteilung werden die Anschuldigungen zurückgewiesen. Dort heißt es: "Die erhobenen Vorwürfe sind nun durch ein unabhängiges Gericht zu prüfen. Volkswagen hat im Vorfeld dieser Entscheidung eng mit der Staatsanwaltschaft kooperiert. Auch der Aufsichtsrat hat sich intensiv mit dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft befasst und hat Respekt vor deren Arbeit. Dennoch kann das Präsidium aufgrund der seit Herbst 2015 durchgeführten umfangreichen und unabhängigen eigenen Untersuchungen auch aus heutiger Sicht weiterhin keine vorsätzlich unterlassene Information des Kapitalmarkts erkennen.

Neben der Unschuldsvermutung im Allgemeinen sprechen unter anderem auch folgende konkrete Aspekte gegen den Vorwurf einer Marktmanipulation: Die erheblichen Kursverluste der VW-Aktie nach Veröffentlichung der sogenannten „Notice of Violation“ am 18. September 2015 sind darauf zurückzuführen, dass die US-Behörden ihre Vorwürfe während laufender Gespräche mit Volkswagen völlig unerwartet veröffentlicht haben. Der Vorstand der Volkswagen AG konnte diesen Wechsel im Vorgehen der US-Behörden nicht vorhersehen. Er durfte sich insoweit auch auf die rechtliche Beratung der renommierten US-Kanzlei Kirkland & Ellis verlassen. Auf Grundlage der Beratung durch Kirkland & Ellis war bis zur Veröffentlichung der „Notice of Violation“ davon auszugehen, dass, wie in der Praxis bis dahin üblich, zunächst eine einvernehmliche Lösung mit den US-Behörden erarbeitet und diese dann in einer gemeinsamen Stellungnahme der Öffentlichkeit präsentiert werden würde.

Das Präsidium ist daher der Ansicht, dass der Vorstand der Volkswagen AG nach den vorliegenden Erkenntnissen vor Veröffentlichung der „Notice of Violation“ keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte hatte, die eine sofortige Information des Kapitalmarkts erforderlich gemacht hätten. Aus diesem Grund soll die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstandsvorsitzenden fortgesetzt werden. Der Aufsichtsrat wird morgen zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen.“

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Marktmanipulation - Anklage gegen Winterkorn, Pötsch und Diess

Presseinformation vom 24.09.2019

 

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat nach Abschluss ihrer umfangreichen Ermittlungen im sogenannten „WpHG- Verfahren“ wegen Marktmanipulation vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig Anklage gegen die drei Angeschuldigten Dr. Winterkorn, Pötsch und Dr. Diess erhoben. Den genannten – ehemaligen oder amtierenden- Vorstandsmitgliedern der Volkswagen AG wird vorgeworfen, entgegen der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht den Kapitalmarkt vorsätzlich zu spät über die aus dem Aufdecken des sogenannten „Diesel-Skandals“ resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen zu haben.

Zugrunde liegt dem Strafvorwurf der „Marktmanipulation“ der Wille des Gesetzgebers, Vorstände börsennotierter Unternehmen dazu zu verpflichten, kursrelevante Ereignisse wie zum Beispiel erhebliche finanzielle Risiken unverzüglich nach Bekanntwerden im Rahmen einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt zu machen, damit insbesondere Besitzer von Aktien ihr Kauf- oder Verkaufsverhalten darauf einstellen und Erwartungen oder Risikoeinschätzungen an die aktuelle Lage des Unternehmens anpassen können.

Dieser Verpflichtung aus dem Wertpapierhandelsgesetz sind die Angeschuldigten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Software-Manipulationen bei den Diesel-Motoren des Typs EA 189 nicht nachgekommen.

Zum Hintergrund:

Der Verkauf von Diesel-Fahrzeugen auf dem amerikanischen Markt war ein bedeutendes strategisches Ziel der Volkswagen AG. VW habe unter Beweis stellen wollen, dass es VW möglich ist, Umweltfreundlichkeit und Ressourcenschonung auch mit konventionellen Antriebskonzepten zu erreichen. Die Dieseltechnologie sollte als Kontrapunkt zur Hybridtechnik in den USA etabliert werden.

Da jedoch die Volkswagen-AG nicht in der Lage gewesen sei, einen Dieselmotor zu entwickeln, der imstande war, die in den USA im Jahre 2007 in Kraft getretenen strengen Abgasnormen einzuhalten, habe VW eine Softwarefunktion in den Fahrzeugen installiert, die im Prüfmodus der Fahrzeuge eine vermeintliche Einhaltung der NOx-Grenzwerte vortäuschte.

Nachdem bereits im Jahre 2014 amerikanische Behörden auf der Spur der vorgenannten Manipulationen waren, habe sich die Lage für den VW- Konzern im Frühjahr 2015 mit wachsender Erkenntnis und aufgrund beharrlicher Nachfragen der Behörden weiter zugespitzt. Es wurde zunehmend deutlich, dass mit einer Offenlegung des „Defeat Device“ erhebliche finanzielle Risiken im Milliardenbereich auf das Unternehmen zukommen würden, die sich später dann tatsächlich durch Zahlungspflichten in entsprechender Höhe auch verwirklichten.

So drohte im Jahre 2015 neben Schadensersatzforderungen aller Art unter anderem der Rückkauf sämtlicher auf dem US-Markt verkaufter rund 500 000 Fahrzeuge, die mit der Manipulationssoftware ausgestattet waren, was Kosten in Höhe von etwa 16 Milliarden Euro verursacht hätte. Darüber hinaus standen nach dem US- Bundesgesetz Strafzahlungen in einer Höhe von bis zu 37 500 US-Dollar pro Fahrzeug im Raum – Gesamthöhe damit etwa 19 Milliarden US-Dollar. Schließlich war auch die Zulassung des Modelljahres 2016 sehr stark gefährdet, was nochmals einen Umsatzverlust von vier Milliarden Euro bedeutet hätte.

Den Angeschuldigten sei aufgrund der sich aus der Brisanz der Thematik ergebenden erheblichen finanziellen Folgen bewusst gewesen, dass diese dem Kapitalmarkt mitzuteilen gewesen wäre. Sie hätten jedoch jeder für sich bewusst und gewollt von der erforderlichen ad-hoc-Meldung abgesehen, um den Börsenkurs der VW-Aktien auf dem bisherigen Stand zu halten und Verluste der VW-AG zu vermeiden.

Stattdessen habe man die Strategie verfolgt, ohne Offenlegung aller relevanter Umstände mit den US- Behörden einen Vergleich zu erzielen, in dem in der Wortwahl zwar von technischen Problemen, nicht aber von einem Betrug gegenüber Behörden und Kunden die Rede sein sollte. Zu einem solchen Vergleich kam es nicht, was angesichts der Verärgerung der US-Behörden über die bis dahin von der VW-AG praktizierte Hinhaltetaktik auch zu erwarten war.

Die 636 Seiten lange Anklageschrift geht davon aus, dass der Angeschuldigte Dr. Winterkorn spätestens seit Mai 2015, der Angeschuldigte Pötsch seit dem 29.6.2015 und der Angeschuldigte Dr. Diess seit dem 27.7.2015 jeweils vollständige Kenntnis von den Sachverhalten und den daraus sich ergebenden erheblichen Schadensfolgen hatten und jeder für sich ab jenem Zeitpunkt die erforderliche ad-hoc-Mitteilung hätte veranlassen müssen, was nicht geschah.

Tatsächlich wurde der Sachverhalt erst durch die am 18.9.2015 von den US-Behörden veröffentlichte „Notice of Violation“ bekannt. ---

Auch bei dieser Anklage wird das zuständige Landgericht Braunschweig nunmehr die Zulassung der Anklageschrift prüfen und im Falle der Zulassung Termine zur Hauptverhandlung bestimmen. Angesichts des Umfanges der Ermittlungen und der darauf aufgebauten Anklage ist über die Dauer dieser gerichtlichen Prüfung keine Prognose möglich.

Es wird auch in dieser Pressemitteilung erneut daran erinnert, dass für die drei Angeschuldigten bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung gilt.

Aus diesem Grunde können weitere Einzelheiten zu den Ermittlungsergebnissen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und der Unschuldsvermutung nicht mitgeteilt werden.