Im königlichen Park zu Monza präsentierte Alfa Romeo 1962 ein besonderes Modell. Die Giulia 1600 TI, kurz "Turismo Internazionale", hatte 92 PS, gegen die sich ein Porsche 356 schon arg strecken musste. Und in die italienische Mischung aus Mittelklasselimousine und Sportwagen passten dank einer Sitzbank statt Einzelsitzen vorne auch noch sechs Personen.

Giulia-Motor mit sportlichem Sound
Der 1,6-Liter-Vierzylinder des Viertürers hat seine Wurzeln im Motorsport. Block und Zylinderkopf bestehen aus Aluminium. Zwei obenliegende, von einer Doppelkette angetriebene Nockenwellen steuern die Ventile. Legendär ist das röchelnde Ansauggeräusch des Doppelvergasers. Während die meisten anderen Hersteller auf maximal vier Gänge setzten, durfte man in der Giulia schon in einem Fünfganggetriebe rühren.

Sehr gute Aerodynamik
Die konservativ wirkende Karosserie der Giulia ist kantig, ihr cW-Wert von 0,34 damals aber eine Sensation. Nicht einmal der als Aerodynamik-Wunder gefeierte NSU Ro 80 – cW-Wert 0,355 – konnte da fünf Jahre später mithalten. Bei der im Windkanal feingeschliffenen Giulia – der Slogan hieß ,Vom Wind modelliert" – ist unter anderem das so genannte Kamm-Heck für den guten Wert verantwortlich. Die Oberkante des Kofferraumdeckels ist durch eine Sicke zweigeteilt. Für die charakteristische Form setzt sich bei den Alfisti schnell der Spitzname ,Knochenheck" durch. Eine Höchstgeschwindigkeit von 169 km/h hört sich heute nicht spektakulär an, ist für eine Limousine der 1960er durchaus respektabel. Gleichzeitig gehörte die Giulia mit ihren definierten Crashstrukturen zu den sichersten Fahrzeugen ihrer Zeit.

Sportversion für den Renneinsatz
Das Fahrwerk stammt im Kern von der Vorgängerin Giulietta. Zu den Verbesserungen gehören an der Vorderachse zusätzliche obere Querlenker, die Hinterachse wird von neu designten Längslenkern und einem T-förmigen Reaktionsdreieck besser geführt. Damit empfahl sich die ,Bella Donna" aus Mailand auch für den Rennstreckeneinsatz. 1963 stellte Alfa die 100 Kilogramm leichtere Sportversion Giulia 1600 TI Super vor. Durch zwei Weber-Doppelvergaser stieg die Leistung auf 113 PS. Die vordere Sitzreihe wich zwei einzelnen Schalen, geschaltet wurde nun nicht mehr per Hebel hinter dem Lenkrad, sondern mit einem Knüppel auf dem Mitteltunnel. Die Felgen fertigte Alfa Romeo aus einer ultraleichten Magnesium-Aluminium-Legierung. 501 Exemplare der Super-Version wurden gebaut, genug für die Homologation als Rennfahrzeug.

Kleiner Motor rundet Giulia-Palette ab
1964 rundete Alfa die Giulia-Reihe mit dem Modell 1300 nach unten ab, das aber mit vier statt fünf Gängen auskommen musste. Zu erkennen ist die Version an den einzelnen Scheinwerfern und dem Kühlergrill mit nur drei Querstreben. Die Serienausstattung fiel geringer aus. Der 1,3-Liter-Vierzylinder leistete zunächst 78 PS, ab 1965 in der Giulia 1300 TI 82 PS und ab 1970 in der Giulia 1300 Super 88 PS. Außerdem wurde ein – besser abgestuftes – Fünfgang-Getriebe verbaut. Die Giulia 1600 TI wurde 1965 mit 90 PS etwas schwächer, parallel boten die Italiener dafür die 98 PS starke Giulia 1600 Super an. Die TI-Version erhielten neue Stoßfänger aus Edelstahl, der Bandtacho wich Rundinstrumenten. Zwischen 200 und 500 Exemplare der Giulia – so genau weiß das niemand – wurden vom Mailänder Karosseriebetrieb Colli in einen Kombi verwandelt. Das Modell war bei Polizia und Carabinieri beliebt, aber auch als Servicefahrzeug bei Rennteams.

Überarbeitungen 1967, 1969 und 1970
Alle Giulias wurden für 1967 optisch und technisch überarbeitet. Die 1300er hatte nun 80, die 1300 TI 85 PS. Auch die kleine Giulia wurde nun mit Rundinstrumenten ausgestattet. Statt mit einem dünnen Bakelit-Lenkrad steuerte der Fahrer der Giulia 1600 Super sein Fahrzeug mit einem Dreispeichen-Volant aus dem Coupé Giulia GT. 1969 hielten in allen Versionen eine verbesserte Geräuschdämmung sowie eine hydraulisch betätigte Kupplung Einzug. Die mit 96 PS etwas schwächere Giulia 1600 S ersetzte das Modell 1600 TI. Das Fahrwerk der 1600 Super zeigte sich unter anderem durch einen Hinterachsstabilisator verbessert. 1970 rollten die neu eingeführte, 88 PS starke Giulia 1300 Super sowie die 1600 Super mit einem Zweikreis-Bremssystem vom Band. Der Handbremshebel saß nun auf der Mittelkonsole, das Zündschloss links vom Lenkrad.

Überarbeitungen 1972, 1974 und 1976
Dank Plattformstrategie und Rationalisierung waren die 1300er- und 1600er-Giulias ab 1972, bis auf den Motor, optisch und technisch weitgehend identisch. Auf Radkappen verzichteten die Italiener, die Modell hießen nun Giulia 1.3 und 1.6. Im Jahr 1974 modernisierte der Hersteller die Giulia ein letztes Mal und gab ihr den Namenszusatz ,Nuova", italienisch für ,neu". Die vier Hauptscheinwerfer waren nun gleich groß, den Kühlergrill zierte nur noch eine horizontale Chromleiste. Die charakteristische Sicke im Kofferraumdeckel war passé und damit auch das Knochenheck. 1976 gab es einen weiteren Aufschrei der Fans: Ein 1,8-Liter-Diesel mit 55 PS wurde angeboten. Das Modell verbrauchte unter sechs Liter Sprit auf 100 Kilometer und verkaufte sich immerhin 6.500 Mal. Nach 16 Jahren lief die Produktion der Giulia in Arese, nördlich von Mailand, aus. Insgesamt wurden bis 1978 knapp 300.000 Exemplare der 1300er- und rund 260.000 Einheiten der 1600er-Version gebaut.

Ableger der Giulia
Rund um die Giulia entstanden eine ganze Modellfamilie und weitere Ableger. Zunächst übertrugen die Marketingstrategen den Namen auf Fahrzeuge, die noch auf der Vorgängerbaureihe ,101" namens Giulietta basierten. Diese Modelle teilten sich aber nur den 1,6-Liter-Motor mit der ,echten" Giulia der Baureihe ,105". Zu Letzterer zählt indes der mit einem Achtzylindermotor ausgerüstete Alfa Romeo Montreal. Sogar der von Designer Franco Scaglione gezeichnete Tipo 33 und die auf einem Gitterrohrrahmen aufbauende Giulia TZ, beides Rennwagen, gehören zur Verwandtschaft. Karossier Zagato ließ sogar den Alfa 6C 1750 Zagato von 1929 mit Giulia-Technik wiederauferstehen. Ein ganz bekannter Giulia-Ableger ist das vom Designstudio Bertone entwickelte Coupé Sprint GT, von Fans heute meist nur ,Bertone" genannt. Das Coupé wurde von 1963 bis 1977 angeboten. Erhältlich waren Versionen mit 1,3, 1,6, 1,8 und zwei Liter Hubraum. Die Palette reicht bis zum 2000 GT Veloce, die GTA-Leichtbauversionen waren für den Renneinsatz gedacht. Von Zagato kam außerdem der keilförmige Giulia Coupé GT Junior Z, ein Zweisitzer auf Basis der Giulia. 1968 stellte Alfa Romeo der Giulia zusätzlich die etwas größere Limousine 1750 Berlina zur Seite, die ab 1971 auch als 2000 Berlina erhältlich war. Pininfarina in Grugliasco bei Turin baute schließlich auf Giulia-Technik ab 1966 den Alfa Romeo Spider. Der offene Zweisitzer wurde nicht zuletzt durch seinen Auftritt im Film ,Die Reifeprüfung" mit Dustin Hoffmann weltbekannt.

Bildergalerie: 50 Jahre Giulia