Wenn ein großer Hersteller wie VW ein neues Modell vorstellt, dann heißt es meist: Das Auto ist komfortabel und sportlich zugleich, es ist lifestyle- und designorientiert, dabei aber auch familienfreundlich. All das ist der Elektro-Kleinlaster namens „aCar“ nicht. Das aCar will robust, einfach, günstig und langlebig sein. Auf den Markt kommen soll er Ende 2019. Wir haben das ungewöhnliche Auto bereits als Prototyp getestet.
Das aCar wurde für Afrika entwickelt, für Dörfer irgendwo im Nirgendwo, wo es keine Tankstellen, keine geteerten Straßen und keine Kfz-Mechatroniker gibt, dafür aber Transportaufgaben in Hülle und Fülle: Kinder, die einen Schulweg von 20 Kilometern haben. Gemüse, das auf den nächstgelegenen Markt gebracht werden muss. Oder ein Arzt, der Impfungen in dem Dorf vornehmen muss. So entstand an der Technischen Universität München das aCar: ein nur 3,70 Meter langes und 1,50 Meter breites, aber stolze 2,10 Meter hohes Fahrzeug, das man als zweisitzigen Pick-up oder als Mini-LKW (einen "Kipper") bezeichnen könnte. Die Batterie soll bei der Serienversion für 100 bis 200 Kilometer reichen, je nach verbauter Version (10, 15 oder 20 Kilowattstunden). „Aber so viel Reichweite werden wir gar nicht brauchen“, glaubt Sascha Koberstaedt, einer der Väter des Leichtfahrzeugs: „In Afrika dauert eine Fahrt zwar oft viele Stunden, aber man kommt wegen der Straßenverhältnisse nicht weit.“
„In Afrika dauert eine Fahrt zwar oft viele Stunden, aber man kommt wegen der Straßenverhältnisse nicht weit.“
Der elektrische Antriebsstrang stammt von Bosch. Eine Besonderheit ist die niedrige Betriebsspannung: Während ein „normales“ Elektroauto meist eine Hochvoltbatterie (400 oder noch mehr Volt) hat und daher nur von eigens geschulten Servicetechnikern repariert werden darf, genügen beim aCar 48 Volt – ein wichtiger Aspekt, wenn das Fahrzeug künftig mal von einem Automechaniker in Ghana überholt werden muss. Natürlich begrenzt die niedrige Spannung die Motorleistung, wie man schon in der Schule lernt: Ein Watt Leistung entspricht ja einem Volt mal einem Ampere. Bei nur 48 Volt müsste für viel Leistung auch die Stromstärke sehr groß werden – und man bräuchte armdicke Elektrokabel im Auto. Aber hohe Leistung ist in Afrika nicht gefragt. Das aCar hat zwei Elektromotoren mit je acht Kilowatt, was zusammen 22 PS ergibt – damit ist das Thema Sportlichkeit schon abgehandelt.
Die beiden E-Maschinen treiben beide Achsen an, das aCar ist also ein Allradler. Die Vorderachse kann man per Knopfdruck abschalten. Aber warum überhaupt ein Elektrofahrzeug? Gibt es dafür denn in Afrika genug Steckdosen? „Das schon, meint Koberstaedt schmunzelnd, aber die meisten funktionieren nicht. Nein, im Ernst: Ein internationales Stromnetz wie in Europa wird in Afrika niemals existieren, aber es gibt durchaus eine dezentrale Stromversorgung.“ Basis können Solarmodule sein, Windkraft oder auch mal ein Wasserkraftwerk. Und die Entwicklung in Afrika ist rasant, der Trend geht hier ganz klar zur Elektromobilität, ist Koberstaedt überzeugt. Aber auch ein Reichweitenverlängerer auf der Ladefläche wäre denkbar, heißt es.
Aber jetzt will ich das Wägelchen erst mal selber fahren. Hochbeinig und etwas wackelig wirkend, steht das aCar vor mir. Die dünnen Türen (die in Afrika höchstens in der Regenzeit zum Einsatz kommen dürften), öffnen weit. Doch auf den Fahrersitz zu kommen, ist dennoch nicht so einfach, denn man steigt mehr hinauf als hinein. Das Cockpit ist spartanisch ausgestattet, umso einfacher ist die Bedienung. Ich drücke die D-Taste und fahre los – lautlos natürlich und eher langsam, 22 PS sind bei 800 Kilo Leergewicht nicht viel. Meine Strecke ist eigentlich für geländegängige Motocross-Bikes gedacht, die steinige Piste weist jede Menge Kuppen und steile Auffahrten auf. Traktionsprobleme hat das Wägelchen nicht, der Allradantrieb ermöglicht eine Steigfähigkeit von über 40 Grad. Doch schon in der ersten Kurve fällt mir die Lenkung auf: Eine Servounterstützung gibt es im Prototyp nicht, später soll es sie optional geben. Außerdem schlägt jede Bodenunebenheit aufs Lenkrad durch. Das ist das größte Manko in Sachen Fahrkomfort. Wenn man davon überhaupt sprechen kann – selbst ein Leichtfahrzeug von Ligier bietet mehr davon. Wenn die Alternative allerdings ein Kamel, ein magerer Esel oder gar ein langer Fußmarsch ist, geht der Vergleich anders aus.
„Wenn die Alternative ein Kamel, ein magerer Esel oder gar ein langer Fußmarsch ist, geht der Vergleich anders aus."
Womit wir beim Thema Verwendungszweck wären. Das aCar hat eine bemerkenswerte Zuladung von einer Tonne – ein gigantischer Wert für ein Leichtfahrzeug, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel ein Dacia Dokker bei etwa 500 Kilo liegt. Doch wenn man Trinkwasser transportieren will, ist eine Tonne schnell erreicht. Hinten gibt es eine Schüttgutfläche, auf der sich auch eine Euro-Palette transportieren lässt. Alternativ soll es eine Version mit einem geschlossenen Kasten geben. Auch Sitzflächen quer zur Fahrtrichtung, eine Wasserpumpe, ein Kühlschrank für Impfstoffe oder sogar ein Kran wären auf der Ladefläche denkbar – das aCar ist modular und vielseitig.
Entwickelt wurde das aCar für Afrika, doch inzwischen soll das Auto auf der ganzen Welt vermarktet werden, von Brasilien, über Ägypten und Iran bis Indonesien und Thailand. Doch den Anfang soll Deutschland machen. Weinbauern könnten ein solches Fahrzeug brauchen, glaubt man bei aCar Mobility, aber auch Gärtner und Förster, vielleicht sogar Flughäfen oder Almbauern. Auch an Anwender, bei denen kein Allradantrieb gefragt ist – zum Beispiel die Münchner Straßenkehrer – könnten bedient werden. „Wenn wir stärkere E-Motoren bekommen, ist auch ein Hinterradantrieb denkbar“, so Koberstaedt.
Seinen Ursprung hatte das aCar-Projekt an der TU München, wo es von Prof. Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik geleitet wurde. Seine Doktoranden Martin Šoltés und Sascha Koberstaedt wollen das aCar nun zur Serienreife führen und haben dazu die Firma Evum Motors gegründet, die derzeit etwa zehn Mitarbeiter hat. Der erste Prototyp entstand 2016, er wurde bereits in Ghana getestet. Das zweite Testfahrzeug stand 2017 auf der Automesse IAA. Die Serienproduktion soll Ende 2019 beginnen, und zwar im niederbayerischen Bayerbach. 1.000 Stück sollen im ersten Jahr entstehen und innerhalb Europas an Unternehmen und Behörden verkauft werden. Ab 2020 soll das aCar dann aber von Partnerunternehmen in Entwicklungsländern produziert werden. Für die Entwicklungsländer wird ein Preis von 10.000 Euro angestrebt, in Europa jedoch soll das Auto stolze 22.000 Euro kosten. Ich finde, bis zum Marktstart sollte Evum noch ein wenig am Komfort arbeiten, denn auch ein Straßenkehrer oder Gärtner fährt privat vielleicht einen modernen Kleinwagen ...
Bilder: A. Heddergott / TUM