,Ich bin nie zufrieden", sagt uns Wolf Zimmermann. Als wir den Entwickler treffen, geht in Hethel, dem Stammsitz von Lotus, gerade der heißeste Tag seit Jahren zu Ende. Zimmermann kam von der Mercedes-Performance-Tochter AMG nach England und nennt sich jetzt CTO. Der Chief Technical Officer ist unter anderem der Entwicklungschef der britischen Sportwagen-Marke. Hoch aufgeschossen, schlank, schulterlange Haare und mit diversen Kreuzen und Totenköpfen an Kette und Armband sowie einer Gürtelschnalle aus schwerem Metall verströmt er eine Underground-Aura. Er ist 50, könnte locker als zehn Jahre jünger durchgehen und stieß bei Lotus auf Überraschungen, die ihm nun einen Berg Arbeit bescheren.

Deutsche Schaltpunkte
Das Automobil-Business ist auch im kleinen Hethel, 175 Kilometer nordöstlich von London, international. Und so sitzt noch ein zweiter Deutscher am Schaltpunkt der Macht in England: Michael Och trägt trotz der Hitze einen perfekt sitzenden Anzug, strahlt die Energie eines Atommeilers – sorry, eines Offshore-Windparks aus und kam von Porsche, um die Produktion von Lotus auf Vordermann zu bringen. In seiner Funktion als Werksleiter (Director of Operations) merkte er schnell, dass es bei Lotus wahnsinnig viel zu tun gibt. ,Die Leute hier sind nicht schlecht, sie haben nur zu lange im eigenen Saft geschmort." Das ist jetzt vorbei. Och ist gekommen, um den 1952 von Colin Chapman gegründeten Laden wieder in die Spur zu bringen.

Weiße Böden
Och fand in Hethel eine Old-School-Produktion vor. Viele Teile wurden außerhalb der Produktionslinien montiert, die Arbeiter trugen keine Handschuhe, was die Oberflächen der montierten Teile verschmutzte, und die Sauberkeit ließ generell sehr zu wünschen übrig. So ließ Och den Produktionsprozess optimieren, verpasste seinen Mitarbeitern Handschuhe – und ließ sämtliche Fußböden weiß lackieren. Das machte nicht nur die Werkshallen insgesamt heller, auch ist jetzt jedes zu Boden gefallene Teil sofort zu sehen. Für die Sauberkeit sind nun die Teams selbst verantwortlich. Früher gab es drei Teamleiter, heute sind es zehn, die mit entsprechend kleineren Gruppen die Verantwortung für ihren Bereich übernehmen. Och setzt ohnehin stark auf Eigenverantwortung: Die Trupps kümmern sich selbst um die Logistik und auch in vielen anderen Dingen gibt der Werksleiter nur die Richtung vor, für die Umsetzung im Detail sind wiederum die Arbeitsgruppen verantwortlich. Was in einer modernen Produktion vielleicht als selbstverständlich erscheint, gab es bis vor kurzem bei Lotus einfach nicht.

Flexible und längere Arbeitszeiten
Außerdem musste Och das starre Arbeitszeitengeflecht der Lotus-Mitarbeiter aufbrechen. Einer der Gründe: Die Lackieranlage ist beispielsweise 22 Jahre alt und fällt öfter mal aus. Jetzt kommen die Lackierer nur noch, wenn die Maschine läuft, früher saßen sie rum. Allerdings hat Och für dieses Jahr endlich eine neue Lackieranlage organisiert. Eine der wichtigsten und noch lange nicht abgeschlossenen Aufgaben des Werksleiters war die Steigerung der Effizienz. So hat er die Arbeiter besser nach ihren Fähigkeiten eingeteilt und ihnen bei gleichem Lohn längere Arbeitszeiten verordnet. Och selbst nimmt sich da nicht aus: ,Die Leute sind nur richtig motiviert, wenn du als Chef morgens als Erster kommst und abends als Letzter gehst. Ich bin also für meine Leute immer da."

200 Stunden für ein Auto
Lotus muss reinhauen: Um ein Auto fertig zu stellen, braucht man in Hethel 200 Stunden. Andere Hersteller haben in 40 Stunden ein Fahrzeug fertig. Arbeiter polieren beispielsweise aufwendig per Hand die aus Frankreich zugelieferten Karosserie-Kunststoffteile nach, bevor diese lackiert werden können. In Sachen Qualität will Och ebenfalls signifikante Verbesserungen erzielen. Hier sieht er aber vor allen Dingen die Konstruktions-Abteilung in der Pflicht. Schließlich beginnt gute Qualität bereits beim Entwickeln des Fahrzeugs. Michael Och hat 350 Leute unter sich und kennt jeden Einzelnen persönlich. 300 arbeiten direkt in Hethel, 50 im nahe gelegenen Norwich. Er ist stolz auf seine Leute, schätzt ihren Teamgeist, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Loyalität. Die ,Aufgabe" Lotus fasziniert ihn und ihm wird auch nicht bange bei der Aussicht, dass er 2011 noch über 100 neue oder überarbeitete Bauteile in die laufende Produktion integrieren muss.

Will Ferrari an den Pelz
Chefentwickler Wolf Zimmermann kämpft derweil an anderen Baustellen. Eigentlich kam er zu Lotus, um sich auf die geplanten Modelle Esprit, Elan, Elite, Eterne und das bisher nur unter dem Arbeitsnamen City Car Concept laufende Hybridfahrzeug für die Stadt zu stürzen. Nun musste er sich erstmal mit dem Evora beschäftigen. ,Der Evora hat ein super Fahrwerk, dessen Potenzial nicht vom Antrieb ausgeschöpft wurde." Da der Elan auf 2017 verschoben ist, bleibt der Evora das wichtigste Fahrzeug in der aktuellen Modellpalette der Briten, die in Deutschland momentan ohnehin nur den Evora und die Elise umfasst. Also kniet sich Zimmermann beim Evora rein. ,Die Engländer arbeiten anders. Die machen eine Sache irgendwie zu Ende und stecken dann den Kopf in den Sand. Mit mir geht das nicht, ich hinterfrage ständig alles. Deshalb kommen jetzt diverse Verbesserungen für den Evora." Während Lotus-Chef Dany Bahar gerne Porsche als Vorbild zitiert, hat Zimmermann Ferrari im Blick.

Eigener Achtzylinder
Wolf Zimmermann ist von Stuttgart nach Norwich gezogen und hat nach eigenen Angaben festgestellt, dass in der englischen Idylle jede Menge autoverrückter reicher Leute leben. ,Viele von denen haben einen Pagani und als Alltagsfahrzeug einen Mercedes S 65 AMG. Für solche Leute wäre doch auch ein Lotus ideal." Zimmermann denkt dabei auch an die Zukunft, an einen eigenen Lotus-Supersportler mit einem von Lotus entwickelten Motor. Das Triebwerk wird auf jeden Fall ein V8 sein. ,Ein Sechszylinder-Aggregat ist immer ein Kompromiss, die Zylinderwinkel sind nie perfekt", meint Zimmermann. In Sachen Schaltung sollen es Automatik-Getriebe sein, die sich wie das automatisierte Schaltgetriebe eines Sportwagens anfühlen. ,Wir wollen keine seidigen nahtlosen Schaltvorgänge, der Fahrer soll die Schaltung spüren", so Zimmermann. Der brandneue Evora IPS ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Vorbei die Schrulligkeit
Und was die Verarbeitungsqualität angeht, sollen beispielsweise die Zeiten der schrägen Nähte bald vorbei sein – die Kundschaft, die solche Schrulligkeiten schätzt, ist eben bedeutend kleiner als jene, die eine perfekte Verarbeitung bevorzugt. Zimmermann ist jedenfalls gut eingespannt, Zeit für Urlaub ist nicht drin. Und mit seiner ,Nur-nicht-bürgerlich"-Nummer passt er eigentlich gut zu Lotus. Wenn die malaysische Konzernmutter Proton das Entwicklungs-Budget aufrecht erhält, könnte Lotus mit dem frischen Wind aus Deutschland stärker werden als in den besten Zeiten seiner kultigen Vergangenheit.

Bildergalerie: (K)ein leichter Weg