Ein ESP verhindert, dass ein Auto ins Schleudern kommt. Zumindest diese Aussage stimmt noch. Aber heutige Stabilitätssysteme sind nicht mehr so simpel wie einst. Die ersten Anti-Schleudersysteme verringerten nur das Motordrehmoment und bremsten einzelne Räder ab, um das Auto auch bei extremem Über- oder Untersteuern stabil in der Kurve zu halten. Heutzutage setzt sich die Kompetenz eines ESP aus Dutzenden von Einzelsystemen zusammen. In der Kurve werden zum Beispiel auch die Stoßdämpfer anders eingestellt und auf gerader Strecke sogar der Seitenwind mit in die Kalkulation einbezogen. All das unterstützt den Autofahrer, der mit der Familie in den Süden fährt. Auch wenn er mit Anhänger unterwegs ist, helfen ihm moderne ESPs. Dies hat uns Opel nun mit dem Trailer Stability Assist (TSA) im Vectra demonstriert.

Gespannfahren: Kein Kinderspiel
Mit Anhänger zu fahren ist kein Kinderspiel, wahrlich nicht. Wir haben es mit einem Vectra und einem zwei Tonnen schweren Wohnanhänger ausprobiert. Das Problem: Wer zu schnell fährt und auch nur einen kleinen Lenkfehler macht, läuft Gefahr, den Anhänger zu verlieren. Mit unserem Testgespann konnte man bequem und sicher fahren, solange man unter 100 km/h blieb – die kritische Geschwindigkeit. So bezeichnet man das Tempo, ab dem sich ein Gespann schon durch geringe Störgrößen immer weiter aufschaukelt. Fährt man nur wenige km/h schneller, wird es blitzartig gefährlich. Dann reicht ein kleiner Ruckler am Lenkrad, eine Seitenwind-Böe oder eine Bodenwelle, und der Hänger beginnt zu pendeln. Und das wird schnell unangenehm, wenn das Hinterteil schwerer als das Zugfahrzeug ist. Dann wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Auf keinen Fall gegenlenken
Wenn man in eine solche kritische Situation kommt, sollte man zuerst vom Gas gehen und das Lenkrad ruhig halten. Auf keinen Fall Gas geben oder gegenlenken versuchen, das macht alles nur noch schlimmer. Denn keine noch so kräftige Beschleunigung kann ein pendelndes Gespann wieder gerade ziehen, und kein noch so gewiefter Lenkradartist das Schlingern in den Griff bekommen. Wenn alles nichts nützt, sollte man scharf bremsen. Dann tritt die Auflaufbremse in Aktion, und das Gespann ist wieder im Lot. Die Auflaufbremse gehört zur Bremsanlage des Anhängers. Die zur Erzeugung der Bremskraft nötige Energie entsteht, wenn der Anhänger auf das bremsende Zugfahrzeug aufläuft. Dabei wird der in die Anhängerdeichsel integrierte Bremsgeber gestaucht und diese Kraft über Seilzüge auf die Bremsbacken des Hängers übertragen.

Anhängerstabilitätsprogramm beim Vectra
Hilfestellung leistet das Anhängerstabilitätsprogramm TSA, das Opel für die Baureihen Astra, Vectra und Signum sowie in einigen Monaten auch für den Antara anbietet. Diese Spezialfunktion des ESP ist immer dann an Bord, wenn man eine Anhängerkupplung für den Vectra bestellt. Wie das bekannte ESP nicht dazu gedacht ist, dass man schneller um die Kurve fahren kann, so kann man mit dem TSA auch nicht schneller Gespannfahren. Wer das erreichen will, sollte mit einer Anti-Schlingerkupplung fahren. Diese spezielle Kupplung am Anhänger dämpft die Pendelneigung auf mechanische Art und Weise mit Reibbelägen im Inneren des Kupplungsmauls. Damit soll man die kritische Geschwindigkeit um etwa zehn km/h erhöhen können. Das System schaltet sich nur ein, wenn's brennt, also wenn sich eine gefährliche Schwingung andeutet.

Hauptkriterium: Gierwinkel des Zugfahrzeugs
Dies wird vor allem mittels Gierwinkelsensor erkannt. Wenn Frequenz und Amplitude der Drehung um die Hochachse des Zugfahrzeugs kritisch werden, greift das TSA ein, indem das Gespann heruntergebremst wird. Dabei ist die Hochachse die Achse, die senkrecht zur Fahrbahn durch die Fahrzeugmitte geht. Das System greift hart durch, indem die Bremsbacken zupacken. Dabei wird man aber niemals auf weniger als 70 km/h gebremst. Denn wenn man als Gespannfahrer auf der Autobahn einen LKW überholt hat und beim schwungvollen Wiedereinscheren ins Schlingern gerät, wäre zu starkes Verlangsamen fatal – dann würde der LKW hinter einem vielleicht nicht mehr bremsen können. Bei einer Bremsung auf 70 km/h wird der nachfolgende Laster, der ja meist mit etwa 80 km/h unterwegs ist, leichter reagieren können. Stabilisiert sich das Gespann, beendet das TSA den Eingriff.

Auch mit TSA nicht narrensicher
In der Praxis allerdings wird das Gespannfahren durch das System von Opel keineswegs narrensicher. So jedenfalls unser Eindruck nach einigen Schlingerfahrten auf Opels Testgelände in Pferdsfeld bei Rüsselsheim. Wir fuhren mit 80 km/h und drehten das Lenkrad dann ruckartig um etwa zehn oder fünfzehn Grad. Dabei kam der Anhänger heftig ins Schlingern. Beim ersten Durchlauf versuchten wir instinktiv, mit dem Lenkrad gegenzusteuern, wie man es macht, wenn man ohne Anhänger unterwegs ist. Ergebnis: Das Hängerschwingen wurde stärker, und der Anhänger drohte schon fast uns zu überholen. Das TSA griff nicht ein, da das System sozusagen glaubte, wir wollten Schlangenlinien fahren. Wie bei einem normalen ESP vergleicht auch das TSA immer den Fahrerwunsch (ablesbar am Lenkwinkel) mit dem Fahrzustand (abzulesen vor allem am Gierwinkel). Nur wenn hier ein Unterschied besteht, greift das System ein. Beim zweiten Mal hielten wir das Lenkrad ruhig, und siehe da: Alles klappte wie am Schnürchen. Nach ein oder zwei Pendelbewegungen bremste uns das TSA erbarmungslos auf 70 km/h herunter, und das Problem hatte sich erledigt.

Fazit: Auch mit TSA kein Kinderspiel
Mit einem Anhänger gerät man viel leichter in eine kritische Situation als bei einer normalen Pkw-Kurvenfahrt. Wir können deshalb die Aussage, dass Gespannfahren geübt sein will, nur unterstreichen. Auch mit dem Anhängerstabilitätssystem TSA an Bord gilt das. Zugegeben, unser Experiment war extrem: Wir zogen mit dem eher leichten Vectra einen deutlich schwereren, zum Schlingern neigenden Wohnanhänger und nahmen einen ziemlich starken Lenkeingriff vor. Dafür brach das Ganze nicht unerwartet über uns herein, wie es einem Urlaubsfahrer geht, den ein seitlicher Windstoß überrascht. Eine Schwachstelle des Systems ist, dass es nicht sehr fehlertolerant ist. Gegenlenken beim Schlingern ist wohl ein recht oft gemachter Fehler. Mit einer aktiven Lenkung könnte man die Auswirkungen dieses Fehlverhaltens verringern: Wenn das TSA eingreift, müsste die Lenkung dazu eine längere Übersetzung bekommen, also träger auf Lenkmanöver reagieren. Alles in allem wird das Gespannfahren auch mit TSA nicht zum Kinderspiel.

Bildergalerie: Rettung für Hängerfahrer?