Zehn Meter vor uns taucht in der engen Kurve ein Lkw auf. Er hat Tetra-Packs mit Milchtüten geladen, die jetzt aufgeplatzt und über die gesamte Straße verteilt sind. Der Laster muss erst vor ein paar Minuten umgekippt sein. ,Sowas war damals vollkommen normal, sowas konnte immer passieren", sagt uns Panamericana-Veteran Hans Herrmann später. Wir sind unterwegs in Mexiko, fahren mit dem neuen Flügeltürer Mercedes SLS AMG auf Original-Routen der legendären Carrera Panamericana. Die Strecke ging seinerzeit vom tiefen Süden Mexikos über 3.000 Kilometer bis an die amerikanische Grenze nach Ciudad Juárez – heute ist die Schwesterstadt vom texanischen El Paso als tödliche Drogenhölle weltberühmt.
Gar nicht so viele Käfer
Mit einer Polizeieskorte geht's raus aus der quirligen Stadt Puebla Richtung Oaxaca. Die Sicherheitskräfte zeigen uns den Weg aus einer Gegend, für die wir kein Navi haben und wo uns auch eine Karte nicht sonderlich weiterhilft, da die meisten Straßen nicht ausgeschildert sind. Unsere Kolonne ist somit recht auffällig unterwegs: mehrere bullige Dodge-Charger-Streifenwagen der Policía Federal und ein paar Flügeltürer, die es erst ab Ende März 2010 zu kaufen gibt. Häufig sehen wir die Modelle Tsuru, Platina und Sentra von Nissan, den VW Pointer oder den Chevy Corsa und seine für unsere Augen ungewöhnliche Stufenheck-Variante Chevy Monza. Dazwischen tummeln sich noch jede Menge cooler abgerockter Ami-Kisten aus den 60ern und natürlich der VW Käfer. Allerdings prägt er das Straßenbild nicht in dem Maße, wie wir es vermutet hätten – auch die Mexikaner wenden sich langsam ab von der automobilen Technik der 1930er-Jahre.
Asphalt: Erstaunlich gut
Die Mexikaner sind ausgesprochen freundlich. Sie gucken sich interessiert die Wagen an – wir haben nicht das Gefühl, in einer unsicheren Gegend zu sein. Dass es hier zeitweise auch anders zugeht, werden wir später noch erleben. Erstmal nehmen wir die zerschlissenen Fahrbahnen raus aus Puebla Stadt unter die Räder, weichen mit unserem tief liegenden Wagen den noch tiefer liegenden Schlaglöchern aus. Aber der Asphalt wird schnell besser, ist über 90 Prozent der Strecke in einem Top-Zustand. ,Das war schon in den Fünfzigern so, Mexiko hatte ein starkes Interesse an der Rallye", erzählt uns Hans Herrmann. Der Renn-Haudegen ist 82 Jahre alt und wirkt 20 Jahre jünger. An der Panamericana hat er mit einem Porsche Spyder teilgenommen – aber sein Trainings-Gerät war der Mercedes 300 SL. Und so ein 300 SL gewann 1952 überraschend die Carrera Panamericana, wurde damit zur Legende. Dazu beigetragen hat auch die Tatsache, dass die original Panamericana nur von 1950 bis 1954 stattfand – es gab einfach zu viele tödliche Unfälle. ,Auch das war vollkommen normal, pro Jahr sind bis zu fünf Freunde von dir bei Rennen tödlich verunglückt. Nach fünf Jahren waren über 20 Freunde weg. Das mussten wir damals hinnehmen", so Herrmann.
Geier-Sturzflug
Das 300-SL-Siegerfahrzeug mit Karl Kling und Hans Klenk raste über genau die gleichen Strecken, die wir gerade mit dem SLS befahren. Wir können uns ungefähr vorstellen, was damals für Gefahren zu meistern waren: Hinter Kurven lauern heute noch zerzauste Esel auf der Fahrbahn oder Kühe, die so abgemagert sind, dass sie aussehen, als hätte man ihnen die Haut ganz knapp über das Gerippe gespannt. Ab und zu wetzt auch ein sandfarbener Hund mit dickem Fell über die Straße. Und heiß ist es, wir fühlen über 30 Grad im Schatten. Kling und Klenk kamen damit gut zurecht – bis ihnen bei hohem Tempo ein Geier die Windschutzscheibe zerschlug. Das Vieh landete in Klenks Gesicht, reißt aber nur ein paar schnell zu verarztende Schürfwunden. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass sich so ein Unfall wiederholen würde, äußerst gering war, wurden später vertikale Schutzstäbe vor die Windschutzscheibe des 300 SL geschraubt. Dieser Knast-Look gab dem Wagen ein dramatisch cooles Aussehen.
15 Millionen Dollar
Den originalen Sieger-SL von 1952 hat Mercedes mit an die Strecke gebracht – aber fahren dürfen wir das wertvolle Stück nicht. Dafür hat ein Sammler aus dem amerikanischen Seattle seinen 300 SL zur Verfügung gestellt. Der Wagen ist mit 15 Millionen Dollar versichert, auch wenn er auf einer Auktion vielleicht gerade acht Millionen Dollar erzielen würde. Und diese heftige Versicherungssumme bedingt, dass wir nur mitfahren dürfen – am Steuer sitzt Hans Wurl, der Verwalter der über 100 Fahrzeuge umfassenden Sammlung des Amerikaners. Wurl ist auch Ami und hat deutsche Vorfahren – spricht aber selber kein einziges Wort deutsch. Er schont den 300 SL nicht: Knatternd und röhrend lässt er den Sechszylinder-Wagen losballern. 180 PS treffen auf unter 900 Kilogramm Gewicht. In der Kabine riecht es leicht nach Benzin, es ist laut und die rechte Schulter der Beifahrers drückt gegen die Flügeltür. Im Stand wird die Hitze schnell unerträglich: Eine Klimaanlage gibt es nicht und die Seitenscheiben lassen sich wegen des Gitterrahmens nicht herunterkurbeln. Nur kleine Plexiglas-Ausstellfenster sorgen für ein wenig frische Luft.
Solide und sicher
Hans Herrmann kann sich noch gut an den 300 SL erinnern. Der Wagen sei beliebt gewesen, weil er als äußerst solide und sehr sicher galt. Die Panamericana fand im Herbst statt, zu dieser Zeit war es auf der Strecke drückend heiß. Entsprechend war das Klima im Innenraum der Wagen. ,Aber es hat richtig Spaß gemacht, die Panamericana war das größte Abenteuer der damaligen Zeit." Und an einigen Stellen war auch Herrmann nicht ganz wohl. So galt ein Gebiet südlich von Oaxaca als Indio-Land. Die dort lebenden Indianer mochten keine ,Gringos" genannten Amerikaner, angeblich verschwanden dort immer wieder Touristen. So war es den Fahrern verboten, in dieser Gegend Ersatzteil-Depots anzulegen. Ausgerechnet dort bricht an Herrmanns Porsche 550 Spyder der Querlenker. Bloß raus aus dem Wagen: "In der Regel brannten die Fahrzeuge nach einem Unfall", erzählt uns Herrmann. Die Indianer kommen und sehen Herrmanns ,Telefunken"-Sponsoring. Herrmann erwähnt schnell, dass er Deutscher ist und die örtliche Bevölkerung ist freundlich zu ihm. Als er zwei Tage später sein Auto zurückbekommt, ist es komplett erhalten. Die Amis bekamen ihre Fahrzeuge immer vollkommen ausgeschlachtet zurück.
300 SL und SLS AMG
Ein Stück fahren wir mit Hans Herrmann, so kennt er inzwischen beide: den 300 SL und den neuen SLS AMG. Letzterer ist mit 571 PS unterwegs, kommt von null auf 100 km/h in 3,8 Sekunden. Der alte 300 SL ließ sich am besten bei hohen Drehzahlen abbremsen, bei niedrigen Drehzahlen ,musst du auf die Bremse treten wie ein Ochse". Auch für die Kupplung brauchte man in dem wahnsinnig heißen Wagen jede Menge Kraft. Und der SLS? Herrmanns Gesicht wirkt sonnig und entspannt: ,Komfort, unglaublicher Komfort." Der SLS ist bequem – mit Kopfstützen, Klimaanlage, Siebengang-Doppelkupplungs-Getriebe und verstellbarem Fahrwerk. Herrmann steuert den SLS wie in alten Zeiten, der Mann kann einfach gut fahren. Auch wenn der SLS seinen glorreichen Uhrahn preislich locker in den Schatten stellt – die erste Jahresproduktion des mindestens 177.000 Euro teuren Wagens ist bereits ausverkauft.
Neue Panamericana
Wir fahren weiter über Brücken, die staubtrockene Flussbetten überspannen, cruisen durch hügelige Kakteen-Wälder. Und auf einmal müssen wir neben einem Humvee mit aufgepflanzten Maschinengewehr halten. Zusammengerollte Nagelketten glänzen am Straßenrand, überall sind Soldaten mit Pumpguns und M16-Sturmgewehren. Das fette MG auf dem Humvee sieht aus wie eine Flak, könnte unseren Wagen mit einem Feuerstoß halbieren. Diese Straßenkreuzung direkt an einer Pemex-Tankstelle wird wohl gerne von Drogen-Kurieren auf dem Weg in die USA genutzt. Jetzt durchsucht das Militär verdächtige Fahrzeuge nach verbotenen Stoffen. Dann geht es weiter auf der Panamericana, der Straße, die Alaska mit Feuerland verbindet. Seit 1988 gibt es auch die entsprechende Rallye wieder, jetzt für Oldtimer. Die Mexikaner sind nach wie vor Feuer und Flamme für das Rennen. Abends wird unsere Karawane gefeiert – unter anderem mit zerbröselten gerösteten Heuschrecken, die leicht salzig schmecken.
Gar nicht so viele Käfer
Mit einer Polizeieskorte geht's raus aus der quirligen Stadt Puebla Richtung Oaxaca. Die Sicherheitskräfte zeigen uns den Weg aus einer Gegend, für die wir kein Navi haben und wo uns auch eine Karte nicht sonderlich weiterhilft, da die meisten Straßen nicht ausgeschildert sind. Unsere Kolonne ist somit recht auffällig unterwegs: mehrere bullige Dodge-Charger-Streifenwagen der Policía Federal und ein paar Flügeltürer, die es erst ab Ende März 2010 zu kaufen gibt. Häufig sehen wir die Modelle Tsuru, Platina und Sentra von Nissan, den VW Pointer oder den Chevy Corsa und seine für unsere Augen ungewöhnliche Stufenheck-Variante Chevy Monza. Dazwischen tummeln sich noch jede Menge cooler abgerockter Ami-Kisten aus den 60ern und natürlich der VW Käfer. Allerdings prägt er das Straßenbild nicht in dem Maße, wie wir es vermutet hätten – auch die Mexikaner wenden sich langsam ab von der automobilen Technik der 1930er-Jahre.
Asphalt: Erstaunlich gut
Die Mexikaner sind ausgesprochen freundlich. Sie gucken sich interessiert die Wagen an – wir haben nicht das Gefühl, in einer unsicheren Gegend zu sein. Dass es hier zeitweise auch anders zugeht, werden wir später noch erleben. Erstmal nehmen wir die zerschlissenen Fahrbahnen raus aus Puebla Stadt unter die Räder, weichen mit unserem tief liegenden Wagen den noch tiefer liegenden Schlaglöchern aus. Aber der Asphalt wird schnell besser, ist über 90 Prozent der Strecke in einem Top-Zustand. ,Das war schon in den Fünfzigern so, Mexiko hatte ein starkes Interesse an der Rallye", erzählt uns Hans Herrmann. Der Renn-Haudegen ist 82 Jahre alt und wirkt 20 Jahre jünger. An der Panamericana hat er mit einem Porsche Spyder teilgenommen – aber sein Trainings-Gerät war der Mercedes 300 SL. Und so ein 300 SL gewann 1952 überraschend die Carrera Panamericana, wurde damit zur Legende. Dazu beigetragen hat auch die Tatsache, dass die original Panamericana nur von 1950 bis 1954 stattfand – es gab einfach zu viele tödliche Unfälle. ,Auch das war vollkommen normal, pro Jahr sind bis zu fünf Freunde von dir bei Rennen tödlich verunglückt. Nach fünf Jahren waren über 20 Freunde weg. Das mussten wir damals hinnehmen", so Herrmann.
Geier-Sturzflug
Das 300-SL-Siegerfahrzeug mit Karl Kling und Hans Klenk raste über genau die gleichen Strecken, die wir gerade mit dem SLS befahren. Wir können uns ungefähr vorstellen, was damals für Gefahren zu meistern waren: Hinter Kurven lauern heute noch zerzauste Esel auf der Fahrbahn oder Kühe, die so abgemagert sind, dass sie aussehen, als hätte man ihnen die Haut ganz knapp über das Gerippe gespannt. Ab und zu wetzt auch ein sandfarbener Hund mit dickem Fell über die Straße. Und heiß ist es, wir fühlen über 30 Grad im Schatten. Kling und Klenk kamen damit gut zurecht – bis ihnen bei hohem Tempo ein Geier die Windschutzscheibe zerschlug. Das Vieh landete in Klenks Gesicht, reißt aber nur ein paar schnell zu verarztende Schürfwunden. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass sich so ein Unfall wiederholen würde, äußerst gering war, wurden später vertikale Schutzstäbe vor die Windschutzscheibe des 300 SL geschraubt. Dieser Knast-Look gab dem Wagen ein dramatisch cooles Aussehen.
15 Millionen Dollar
Den originalen Sieger-SL von 1952 hat Mercedes mit an die Strecke gebracht – aber fahren dürfen wir das wertvolle Stück nicht. Dafür hat ein Sammler aus dem amerikanischen Seattle seinen 300 SL zur Verfügung gestellt. Der Wagen ist mit 15 Millionen Dollar versichert, auch wenn er auf einer Auktion vielleicht gerade acht Millionen Dollar erzielen würde. Und diese heftige Versicherungssumme bedingt, dass wir nur mitfahren dürfen – am Steuer sitzt Hans Wurl, der Verwalter der über 100 Fahrzeuge umfassenden Sammlung des Amerikaners. Wurl ist auch Ami und hat deutsche Vorfahren – spricht aber selber kein einziges Wort deutsch. Er schont den 300 SL nicht: Knatternd und röhrend lässt er den Sechszylinder-Wagen losballern. 180 PS treffen auf unter 900 Kilogramm Gewicht. In der Kabine riecht es leicht nach Benzin, es ist laut und die rechte Schulter der Beifahrers drückt gegen die Flügeltür. Im Stand wird die Hitze schnell unerträglich: Eine Klimaanlage gibt es nicht und die Seitenscheiben lassen sich wegen des Gitterrahmens nicht herunterkurbeln. Nur kleine Plexiglas-Ausstellfenster sorgen für ein wenig frische Luft.
Solide und sicher
Hans Herrmann kann sich noch gut an den 300 SL erinnern. Der Wagen sei beliebt gewesen, weil er als äußerst solide und sehr sicher galt. Die Panamericana fand im Herbst statt, zu dieser Zeit war es auf der Strecke drückend heiß. Entsprechend war das Klima im Innenraum der Wagen. ,Aber es hat richtig Spaß gemacht, die Panamericana war das größte Abenteuer der damaligen Zeit." Und an einigen Stellen war auch Herrmann nicht ganz wohl. So galt ein Gebiet südlich von Oaxaca als Indio-Land. Die dort lebenden Indianer mochten keine ,Gringos" genannten Amerikaner, angeblich verschwanden dort immer wieder Touristen. So war es den Fahrern verboten, in dieser Gegend Ersatzteil-Depots anzulegen. Ausgerechnet dort bricht an Herrmanns Porsche 550 Spyder der Querlenker. Bloß raus aus dem Wagen: "In der Regel brannten die Fahrzeuge nach einem Unfall", erzählt uns Herrmann. Die Indianer kommen und sehen Herrmanns ,Telefunken"-Sponsoring. Herrmann erwähnt schnell, dass er Deutscher ist und die örtliche Bevölkerung ist freundlich zu ihm. Als er zwei Tage später sein Auto zurückbekommt, ist es komplett erhalten. Die Amis bekamen ihre Fahrzeuge immer vollkommen ausgeschlachtet zurück.
300 SL und SLS AMG
Ein Stück fahren wir mit Hans Herrmann, so kennt er inzwischen beide: den 300 SL und den neuen SLS AMG. Letzterer ist mit 571 PS unterwegs, kommt von null auf 100 km/h in 3,8 Sekunden. Der alte 300 SL ließ sich am besten bei hohen Drehzahlen abbremsen, bei niedrigen Drehzahlen ,musst du auf die Bremse treten wie ein Ochse". Auch für die Kupplung brauchte man in dem wahnsinnig heißen Wagen jede Menge Kraft. Und der SLS? Herrmanns Gesicht wirkt sonnig und entspannt: ,Komfort, unglaublicher Komfort." Der SLS ist bequem – mit Kopfstützen, Klimaanlage, Siebengang-Doppelkupplungs-Getriebe und verstellbarem Fahrwerk. Herrmann steuert den SLS wie in alten Zeiten, der Mann kann einfach gut fahren. Auch wenn der SLS seinen glorreichen Uhrahn preislich locker in den Schatten stellt – die erste Jahresproduktion des mindestens 177.000 Euro teuren Wagens ist bereits ausverkauft.
Neue Panamericana
Wir fahren weiter über Brücken, die staubtrockene Flussbetten überspannen, cruisen durch hügelige Kakteen-Wälder. Und auf einmal müssen wir neben einem Humvee mit aufgepflanzten Maschinengewehr halten. Zusammengerollte Nagelketten glänzen am Straßenrand, überall sind Soldaten mit Pumpguns und M16-Sturmgewehren. Das fette MG auf dem Humvee sieht aus wie eine Flak, könnte unseren Wagen mit einem Feuerstoß halbieren. Diese Straßenkreuzung direkt an einer Pemex-Tankstelle wird wohl gerne von Drogen-Kurieren auf dem Weg in die USA genutzt. Jetzt durchsucht das Militär verdächtige Fahrzeuge nach verbotenen Stoffen. Dann geht es weiter auf der Panamericana, der Straße, die Alaska mit Feuerland verbindet. Seit 1988 gibt es auch die entsprechende Rallye wieder, jetzt für Oldtimer. Die Mexikaner sind nach wie vor Feuer und Flamme für das Rennen. Abends wird unsere Karawane gefeiert – unter anderem mit zerbröselten gerösteten Heuschrecken, die leicht salzig schmecken.