Wir starten an einem ungewöhnlichen Ort für ein edles Elektro-SUV, das für reiche Leute aus einer Vorstadt konzipiert wurde: auf einem rauen, steilen Weg in Colorado. Das linke Vorderrad des Mercedes EQS SUV schwebt 45 Zentimeter über dem Boden. Das gegenüberliegende Vorderrad ist am Anschlag, während das Hinterrad auf der Beifahrerseite ebenfalls frei hängt.

Der Fahrer steigt aus, um die Situation zu begutachten. Die Tür öffnet und schließt sich mühelos, als stünden alle vier Räder fest auf dem Parkplatz. Wirklich erstaunlich, vor allem wenn man bedenkt, dass dieses SUV über 2,8 Tonnen wiegt. In diesem Moment erkennt der Autor, wie völlig unbeeindruckt dieses Oberklasse-SUV bleibt – in einer Situation, in die es nicht gehört und in die es wohl nie geraten wird, wenn eine Kundin oder ein Kunde am Steuer sitzt.

Bildergalerie: Mercedes EQS SUV (Test)

Der EQS SUV bewältigte die erwähnte Strecke mit ihren 30-prozentigen Steigungen und Gefällen, den Felsbrocken und steinigen Serpentinen wie die Alltags-Tour zum Supermarkt. Wie kann das sein, und was sagt es darüber aus, ob die Luxus-Kundschaft dieses Fahrzeug lieben wird? Es gibt nur eine Antwort auf diese Fragen: Hier ist durchdachte, vorausschauende Technik im Spiel.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV
2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Das dritte Auto auf der Plattform EVA2

Die 2021 eingeführte Elektroauto-Plattform EVA2 wurde bisher von zwei Limousinen genutzt, dem Mercedes EQE und dem Mercedes EQS. Im EQS SUV wird die Architektur erstmals für ein SUV verwendet.

EVA2-Projektleiter Holger Enzmann erklärt: "Wir haben 2015 mit der Entwicklung von EVA2 begonnen und wussten, dass diese Architektur eine Reihe von Limousinen und SUVs tragen würde, also wurde die Architektur von Anfang an so konzipiert, dass sie die Anforderungen aller Fahrzeugklassen erfüllt." Dazu gehörte natürlich auch, dass das Chassis steif genug für Geländefahrten ist.

Die Plattform gibt es mit kurzem Radstand (3,12 Meter) und mit langem (3,21 Meter). Die Limousine EQE hat den kurzen Radstand und verfügt über eine 91-kWh-Batterie mit zehn Modulen. Der EQS als Limousine und als SUV besitzen das lange Chassis, das zwei Batteriemodule zusätzlich beherbergt. Dabei ist die Batterie der EQS-Limousine (107,8 kWh) etwas kleiner als der Akku des EQS SUV (108,4 kWh). Anders als der EQS, der in Deutschland gefertigt wird,  wird der EQS SUV im Mercedes-Werk in Alabama gebaut.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Batterien, Reichweite und Spannungslage

Wie Mercedes die richtige Batterie auswählte, erklärt Enzmann so: "Es gibt so viele Kompromisse und Eigenschaften, die es auszubalancieren gilt, und wir haben uns für unsere zwölf 811-Module entschieden, um das zu ermöglichen, was unserer Meinung nach für unsere Kunden in Bezug auf Reichweite, Zyklen, Leistung und Aufladezeiten am besten ist."

Die Zahl 811 bezieht sich auf das Verhältnis der aktiven Materialien in den Batteriezellen: Nickel, Cobalt und Mangan. Bei einer DC-Schnellladung mit bis zu 210 kW werden die Module in 31 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufgeladen. Die maximale Reichweite beträgt bis zu 671 WLTP-Kilometer für die Basisversion EQS SUV 450+ mit Hinterradantrieb, bis zu 610 km für den 450 4Matic und bis zu 609 km für den 580 4Matic.

Die Ladezeiten bei einem 800-Volt-System wären wegen der nötigen Aufwärtstransformation länger

Die Entscheidung für ein 400-Volt-System erklärt Enzmann so: "Die Ladezeiten für Spannungen über 400 sind derzeit aufgrund der Aufwärts-Transformation länger, und wir haben Ziele, die auf der Zahl der in 15 Minuten nachgeladenen Kilometer basieren. Das von uns gewählte 400-Volt-System schneidet bei dieser kundenorientierten Kennzahl besser ab als Systeme mit höherer Spannung." Zumindest tut es das jetzt. Mercedes hat bereits angekündigt, dass die 2024 startende MMA-Plattform 800 Volt haben wird.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Ausschließlich PSM-Motoren

Den EVA2-Fahrzeugen gemeinsam sind auch die Motorisierungen der Hecktriebler und Allradler. Alle Motoren sind permanent erregte Synchronmotoren (PSM), da diese laut Enzmann die beste Balance zwischen Reichweite, Effizienz und Leistung für die Autos auf dieser Plattform bieten.

Der 450+ bietet eine Leistung von 265 kW und ein Drehmoment von 568 Nm. Der 450 4Matic liefert mit zwei Motoren die gleiche Leistung, hat aber 800 Nm. Das Topmodell 580 4Matic schließlich leistet 400 kW und kommt auf 858 Nm Drehmoment. Die hinteren Motoren haben zwei Wicklungen und drei Phasen, während der vordere Motor nur eine Wicklung und drei Phasen hat. Die Motor-Hardware der beiden 4Matic-Modelle ist identisch, der Unterschied in der Leistung ergibt sich durch die Motor-Software. 

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Fahrwerk und Hinterradlenkung

Bremsen und Fahrwerk sind beim EQS SUV die gleichen wie bei den anderen Mitgliedern der EVA2-Familie: Scheibenbremsen rundum, Vierlenkerachse vorne und Mehrlenkerachse hinten. Die Luftfederung mit Niveauregulierung ist serienmäßig und ermöglicht es, die Bodenfreiheit um etwa zweieinhalb Zentimeter zu erhöhen.

Wie bei der EQS-Limousine ist eine Hinterradlenkung serienmäßig. Bei niedrigen Geschwindigkeiten werden die Räder gegenläufig um bis zu 10 Grad eingeschlagen, was das Einparken und enge Kurvenfahrten bei niedrigem Tempo vereinfacht. Das Feature lässt den EQS viel kleiner wirken als er ist, da der Wendekreis sich von 11,9 auf 11,0 Meter verkleinert.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Glatte Außenhaut

Der EQS ist mit einem cW-Wert von 0,20 immer noch das aerodynamischste Serienfahrzeug der Welt. Aber der 20 Zentimeter höhere EQS SUV ist mit einem cW-Wert von 0,26 auch nicht schlecht. Die One-Box-Karosserie gleitet ohne viel Windgeräusche durch die Luft. Optisch fällt auf, dass die Räder weit außen in den Ecken liegen.

Die LED-Lichter verleihen dem Fahrzeug einen hochwertigen Charakter. Der Grill ist besonders schick, vor allem in seiner optionalen Form (siehe unsere Bilder), und die Türgriffe geben dem Ganzen eine elegante Note.

Seitlich gibt es einen EQS-Schriftzug an der A-Säule. Das schwarze Dreieck, das das Signet trägt, verdeckt ein massives Strukturelement, das offenbar aus Gründen der Crash-Sicherheit nötig ist. Die vorderen Säulen sind so dick, dass der Fahrer sich beim Manövrieren auf engem Raum und auf kurvigen Straßen vor- oder zurückbeugen muss, um eine gute Sicht zu haben. 

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV
2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV
2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV
2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Das Interieur

Innen wird die luxuriöse Gestaltung bei jeder Oberfläche offenbar. Alle Materialien, Funktionen und Optionen im Detail zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen. Wir konzentrieren uns hier auf die optional angebotenen drei OLED-Displays. Mercedes bezeichnet die Dreier-Kombination, die sich von A-Säule zu A-Säule spannt, als Hyperscreen. Dieser liegt unter einem randlosen Glasstück mit einem Durchmesser von 56 Zoll.

Die Einheit umfasst ein Instrumentendisplay (12,3 Zoll), ein Infotainment-Display (17,7 Zoll) und ein Beifahrerdisplay (12,3 Zoll). Clever: Wenn der Beifahrer sich ein Video auf "seinem" Bildschirm anschaut, aktiviert das System ein Stereokamerasystem, das die Augen der Person am Steuer beobachtet. Ertappt einen System dabei, dass man als Fahrer auf den rechten Bildschirm hinüberschaut, verschwimmt der Inhalt, bis man sich wieder auf die Straße konzentriert.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Wie bei anderen EQ-Modellen bietet das Navigationssystem eine Augmented-Reality-gestützte Führung zu nahe gelegenen Ladestationen (etwa 60.000 in den USA). Bei vielen Ladestationen wird auch die Anzahl der verfügbaren Ladepunkte und eine Bewertung angezeigt.

Fünf Sitzplätze gehören zur Standardausstattung, eine dritte Sitzreihe mit zwei zusätzlichen Plätzen ist optional verfügbar. Alle Sitze in den hinteren Reihen sind elektrisch verstellbar und lassen sich flach umklappen.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Vehemente Kraft, aber kein mitreißendes Fahrerlebnis

Wir sind alle drei EQS-SUV-Modelle gefahren; die meisten Kilometer legten wir im 580 4Matic zurück. Mit 400 kW fühlte sich der angegebene Sprintwert von 4,6 Sekunden durchaus plausibel an, ebenso wie die Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h. Der Großraum Denver ist nicht der richtige Ort, um diese Werte zu überprüfen. Aber der 580 legt so vehement los, wie man es bei diesen Zahlen erwartet.

Während wir Kilometer um Kilometer abspulten, stellten wir uns immer wieder die Frage: "Fährt er sich wie ein Mercedes?" Lassen Sie uns überlegen. In Bezug auf die Leistung ... absolut. Die Leistungsentfaltung unterscheidet sich zwar deutlich von der einer S-Klasse oder eines GLS mit Verbrennungsmotor, aber das sofort verfügbare Drehmoment bringt den EQS mühelos voran. Mission erfüllt.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Was den Luxus angeht (Innenraumangebot, hochwertige Materialien, umfangreiche Funktionen) ... ganz sicher. Der Innenraum hat das gewohnte Mercedes-Design, und es gibt viele schicke Details, wie die Aluminiumeinlagen in den Holzoberflächen. Sind Sie ein wenig gestresst? Dann wählen Sie eine Einstellung, die Ihnen dem Eindruck eines Regenschauers im Wald vermittelt oder den von Wellen am Strand, um Ihren Blutdruck zu senken.

Sie brauchen eine Massage? Wenn man vorne sitzt, hat man die Wahl zwischen verschiedenen Programmen dafür. Sie verstehen schon: Man hat wirklich das Gefühl, in einem Benz zu sitzen.

Hinter Dutzenden von Buchstabenkürzeln verbirgt sich eine Vielzahl von Sicherheitssystemen und Assistenten, darunter auch solche zum teilautonomen Fahren. Auch hier ist der EQS SUV ein typischer Mercedes: Man kommt sich gut geschützt vor.

Man kann den EQS hetzen, aber das Auto ermutigt nicht dazu, auch wenn es dem Fahrer pflichtbewusst gehorcht.

Da wir auf öffentlichen Straßen unterwegs waren, haben wir die fahrdynamischen Grenzen nicht ausgelotet, aber auf den von uns befahrenen Bergstrecken fühlte sich der SUV sehr gut geerdet an. Das Gewicht von 2,8 Tonnen und griffige Sommerreifen machen es möglich. Ein mitreißendes Erlebnis war das Fahren allerdings nicht.

Man kann den EQS SUV hetzen, aber das Fahrzeug ermutigt nicht dazu, auch wenn es dem Fahrer pflichtbewusst gehorcht. Die Isolation im Auto ist komplett. Über die Lenkung oder die Pedale erhält man kein Gefühl für die Straße. Null. Die Verbindung zwischen Mensch und Maschine ist futsch. Vielen Käuferinnen und Käufern wird das allerdings nur recht sein, denn das Fahrerlebnis ist sanfter und leiser als bei jedem Benz mit Verbrenner.

2023 Mercedes-Benz EQS 580 SUV

Offroad-Erlebnis der Extraklasse

Offroad-Fahren mit Elektroautos wie dem EQS SUV ist eine feine Sache: Wenn man mit heruntergelassenen Fenstern durchs Land fährt, hört man nur die Vögel, den Wind und das Geräusch der Reifen, die um Traktion kämpfen. Die Leistung im unteren Drehzahlbereich ist ideal, um steile Steigungen zu bewältigen. Die Elektronik überwacht und optimiert das Drehmoment an jedem Rad 160 Mal pro Sekunde.

Die Kundschaft kann es sich leisten, die Zufahrt zu ihrer Berghütte asphaltieren zu lassen. 

Bei einem herkömmlichen Geländewagen mit Motor, Getriebe, Zweigang-Verteilergetriebe und hydraulischer Lenkung fühlt der Fahrer alles, was das Auto tut, über das Lenkrad und die Pedale. Bei den besten Offroadern kann man die Konturen der Felsen spüren, über die man fährt.

Der EQS SUV bietet keine solche Rückmeldung. Ob das jemand vermissen wird? Wahrscheinlich nicht. Es würde uns wundern, wenn auch nur ein Bruchteil der Käuferinnen und Käufer jemals auf einer felsigen Strecke wie der von uns gefahrenen unterwegs wäre. Die Kundschaft kann es sich leisten, die Zufahrt zu ihrer Berghütte asphaltieren zu lassen.

Spulen wir noch einmal zum Anfang zurück. Bei der Entwicklung der EVA2-Plattform wurde auch an ein Offroad-Szenario wie unsere Strecke gedacht. Das erstaunlich steife Chassis – das auch den Schutz der Batterie gewährleistet – kommt allen Fahrzeugen der Familie zugute. Die guten Offroad-Eigenschaften sind ein positiver Nebeneffekt für unseren EQS SUV. Dieser Vorteil wird wohl nicht oft genutzt werden, aber es ist schön zu wissen, dass es ihn gibt. Und das ist eine echte Mercedes-Qualität.

Mercedes EQS 580 4Matic SUV

Motor 2 PSM-Aggregate (einer pro Achse)
Leistung 400 kW
Max. Drehmoment 858 Nm
Antrieb Allradantrieb
Beschleunigung 0-100 km/h 4,6 Sek.
Höchstgeschwindigkeit 210 km/h
Batterie 108,4 kW netto
Elektrische Reichweite 511– 609 km (WLTP)
Ladeanschluss CCS2, bis 11 kW AC, bis 210 kW DC
Aufladezeit 11:15h AC (0-100%) / 31 min DC (10-80%)
Leergewicht 2.810 kg
Anzahl der Sitze 7
Kofferraumvolumen 645– 2.100 Liter
Basispreis 135.291 Euro