In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre herrschte bei Volkswagen Stillstand: Der VW Käfer, eine Konstruktion aus den 1930er-Jahren, verkaufte sich noch immer wie geschnitten Brot, aber die deutsche Marke hatte ihren Kunden keinen anderen Pkw zu bieten. (Der Typ 2 alias Bulli war ein Nutzfahrzeug.)

Doch in Wolfsburg war man sich dessen bewusst und blieb nicht tatenlos. Einer der vielen Prototypen, die gebaut wurden, war der EA 97, eine kleine Limousine mit zwei Türen. Optisch erinnerte dieses Auto an den späteren Simca 1000. Es war eine Möglichkeit, die traditionelle Technik (und den Radstand) des Käfers zu nutzen, einschließlich des 1,2-Liter-Motors mit stehendem Gebläse, aber mit einer modernen und geräumigeren Karosserie (die Entwicklung begann 1957).

VW EA 97 (1960)
VW EA 97 (1960)

Es wurde sogar eingeplant, dass die EA 97-Familie wächst und Cabrio-, Kombi und Fastback-Versionen bekommt. Rund 200 Vorserienmodelle hatte VW bereits gebaut, die Produktionslinie stand. Lassen wir kurz die "Stiftung AutoMuseum Volkswagen" erzählen: 

"Auch der Entwicklungsauftrag (EA) 97 diente ursprünglich dem Ziel, einen Käfer-Nachfolger zu bauen. Im Verlauf der Entwicklung, die 1957 startete, lösten sich die Wolfsburger Stilisten von der Käfer-Form und fanden zur reinen Ponton-Linie, wie sie auch den parallel entwickelten Typ 3 auszeichnete, der 1961 als Volkswagen 1500 in Serie gehen sollte. Nach Auflage einer 200er Nullserie wurde das Projekt aber gestoppt: Der EA 97 war zu nahe am Käfer und auch am Typ 3 positioniert. 1969 aber erlebte er seine Renaissance und bildete die Basis für den „Brasilia“ – die brasilianische VW-Tochter VW do Brasil produzierte den Kompaktwagen bis 1982."

Volkswagen Typ3

1961 führte Volkswagen in Europa die Baureihe Typ 3 ein, die über dem Käfer positioniert war. Die neue Familie umfasste eine zweitürige Limousine, einen Variant und einen TL. Sie hatten einen 1500er (und später 1600er) Motor, immer noch mit Heckmotor und luftgekühlt, aber mit einem niedrigen Gebläse, was den Gepäckraum vergrößerte. Die Typ 3er waren etwas größer als der EA 97, aber es wurde schnell klar, dass es in Wolfsburg "Kannibalismus" geben könnte.

Wenn man nicht sofort den Käfer vom Band nehmen würde, geriete die Lücke zum Typ 3 sehr klein. Aber warum den Käfer angesichts hoher sechsstelliger Produktionsziffern im Jahr stoppen? Würden die Kunden in gleichen Maß auf den EA 97 umsteigen? 

Volkswagen Typ3

So wurde das Projekt EA 97 in Deutschland abgebrochen. Und das trotz Millionen-Investitionen und einer fertigen Produktionsstraße. Alles auf den Müll werfen? Nicht mit den sparsamen Niedersachen. Und so bekam der EA 97 ein halbes Jahrzehnt später im fernen Brasilien eine zweite Chance. 

Wir spulen vor ins Jahr 1967, als die brasilianische Automobilindustrie eine zweite Generation von neuen Autos vorbereitete. Ford kaufte Willys und nahm die Entwürfe für den modernen Corcel mit. General Motors hatte Pläne, einen deutschen Opel Rekord C mit einem amerikanischen Chevy II-Motor zu bauen: den brasilianischen Opala. Volkswagen übernahm die Kontrolle über Vemag und bereitete das Aussterben der DKW Belcar, Vemaguet und Fissore vor.

Und wie schon Jahre zuvor in Deutschland erkannte VW do Brasil, dass es neben dem Fusca (alias Käfer), dem Transporter und dem Karmann-Ghia weitere Optionen anbieten musste. Aber welches Modell soll eingeführt werden? Die Lösung wurde in Deutschland in den EA 97-Prototypen gesucht, die verstaubt in einer Ecke des Wolfsburger Werkes lagen. Pluspunkt: Den Typ 3 gab es nicht in Brasilien.

Volkswagen EA 97
Volkswagen EA 97

Fünf Exemplare des EA 97 wurden nach São Bernardo do Campo geschickt, um für den brasilianischen Markt angepasst zu werden. Unter dem Code B-135 ging der Wagen im Mai 1967 mit der Erprobung - zunächst mit einem 1600er-Vertikalgebläse-Motor und dann mit einer Flachgebläse-Version.

Schon bald bekam die Karosserie vier Türen. Dann wurde das einfache Paar runder Scheinwerfer des ursprünglichen EA 97 durch ein rechteckiges Set ersetzt, das moderner und imposanter ist.

Es schien, dass Volkswagen den VW-1600 (so lautete der offizielle Name des Viertürers) im Juni 1968 auf den Markt bringen konnte, sechs Monate vor dem Ford Corcel und dem Chevrolet Opala. Dann begannen die Rückschläge.

Volkswagen 1600
Volkswagen 1600

Die Anlagen für die neue Produktionslinie im Werk Via Anchieta in São Bernardo do Campo sanken vor der Küste Belgiens im Bauch des Frachters Paranaguá. Dann traten bei den Prototypen Kühlprobleme auf und die Tests mussten verlängert werden.

So war die erste Serie (mit nur 50 Einheiten) erst im November 1968, zur Auto Show in São Paulo fertig.

Obwohl er dort mit Corcel und Opala im Scheinwerferlicht stand, war der VW-1600 das Auto, das am meisten Bestellungen erhielt. Doch Volkswagen gab im Dezember Kollektivurlaub und erst Mitte Januar 1969 lief die Produktion richtig an. Dort fehlte es an Teilen...

Von Verzögerung zu Verzögerung kam der VW-1600 tröpfchenweise auf die Straße. In Ermangelung eines offiziellen Namens mit Charme und Klang wurde das Auto einfach als "Quatro portas" oder "Fusca quatro portas" bekannt.

Volkswagen 1600
Volkswagen 1600
Volkswagen 1600

Luftgekühlter Heckmotor, Drehstabfederung, von der Karosserie getrennte Plattform und 2,40 m Radstand? Die Prinzipien der Robustheit und Einfachheit des ursprünglichen Beetle wurden beibehalten.

Die Raumausnutzung war jedoch besser, und die Leistung stieg auf 60 SAE-PS, dank des namensgebenden Motors mit 1.584 ccm (mit stehendem Lüfter und einem einzelnen Vergaser). Jenen Motor bekamen 1970 auch Kunden in Europa im 1302/1303 S. Ein weiterer Gewinn waren die Scheibenbremsen vorne.

Weitere Highlights waren die Innenverkleidungen in Holz-Nachahmung und die Kunstledersitze. Der VW-1600 galt als komfortables Auto und erreichte bis zu 135 km/h.

Volkswagen 1600
Volkswagen 1600

Trotz guter Nachfrage am Anfang erreichte der Absatz nie die von VW erwarteten Mengen. Der brasilianische Markt befand sich in einer kuriosen Übergangsphase, und selbst diejenigen, die eine große Familie hatten, begannen, zweitürige Autos zu bevorzugen.

Die viertürigen Modelle begannen, als kommerzielle Fahrzeuge gesehen zu werden. Und es waren genau die Taxifahrer, die dem VW-1600 lange die Treue hielten.

Volkswagen 1600 Taxi

In Rio erhielt der "viertürige Käfer" den Spitznamen "Saboneteira" (Seifendose), wegen seiner Form mit geraden Linien und abgerundeten Ecken. Mit der Zeit kam ein weiterer Spitzname: "Zé do Caixão" ("Coffin Joe", eine Bestatter-Figur in brasilianischen Horrorfilmen), wegen der geradlinigen Karosserie und den vier Türgriffen, im Stil der Griffe eines Sarges.

Es kam eine Luxusversion mit neuen Stoßstangen und Dekoren. Die letzten Exemplare (Modell 1971) hatten vier runde Scheinwerfer im Stil des VW 412 und das VW-Schild senkrecht, direkt auf der Nase des Autos. 

Volkswagen EA 97 Variant e TL

Dem VW-1600 wurden noch zwei Brüder zur Seite gestellt: der Variant (1969 bis 1977) und der TL mit Fließheck und zwei Türen vorne (1970 bis 1976, ab 1971 auch mit vier Türen) begleitet. Sie hatten die gleiche Frontpartie, aber ähnlich wie beim Typ 3 und Typ 4 in Europa Motoren mit flachem Kühlgebläse (was Platz für mehr Gepäck schaffte) und Doppelvergasern.

Am Ende tötete Volkswagen selbst "Zé do Caixão" - ein gewaltiger Brand in der Fabrik in der Via Anchieta (mit 17 Toten und mehr als 200 Verletzten), im Dezember 1970, war der Vorwand. 1971 endete die Produktion der Stufenheck-Limousine. Eine damalige Verschwörungstheorie besagte, dass das Modell nur deshalb aus dem Programm genommen wurde, weil es so robust war, dass es den VW-Werkstätten keinen Gewinn brachte.

VW-1600 Táxi em Niteroi

In zwei Jahren wurden 24.475 Exemplare des VW-1600 als Limousine hergestellt. In den folgenden Jahrzehnten bewies die alte "Saboneteira" weiterhin ihren Widerstand und bewährte sich als Taxi. Und mindestens eines ist immer noch aktiv, seit 51 Jahren mit demselben Fahrer, der in der Stadt Niterói (RJ) Fahrgäste befördert:

"Es ist ein gut gebautes Auto, sehr robust, großartig für Taxis. Praktisch, einfache Mechanik, weder zu groß noch zu klein. Ich bleibe dabei!", sagt Edson Monteiro de Araújo.

Aus dem VW-1600 wurde später der kleinere Brasilia entwickelt. Dieses kombiähnliche Fahrzeug wurde zwischen 1974 und 1982 gut eine Million mal gebaut. Quasi die südamerikanische Antwort auf den ersten VW Golf. 

Bildergalerie: VW-1600 "Zé do Caixão"