Es ist eine fast drehbuchreife Story: Eigentlich wollte die Schweizer Firma Micro Mobility schon 2019 ihr kleines Elektroauto im Stil der BMW Isetta auf den Markt bringen. Doch der Microlino wurde zum Zankapfel zwischen Micro und Artega. Bei dem deutschen Zulieferer sollte der Wagen vom Band laufen, doch die Vorstellungen beider Parteien entwickelten sich immer stärker in verschiedene Richtungen. Höhepunkt war die Vorstellung zweier unterschiedlicher Fahrzeuge auf der IAA 2019. In der Folge entzündete sich ein Rechtsstreit um die Rechte an der Konstruktion. Doch nun ist er beigelegt und die Fans der Knutschkugel haben plötzlich mehr Auswahl als gedacht.
Schwenken wir das Licht zunächst auf den Microlino: Hier plant man jetzt den Start der Serienproduktion 2021 in Turin zusammen mit ihrem neuen Produktionspartner CECOMP. Bereits Ende November 2019 kam es zu einer aussergerichtlichen Einigung zwischen Micro Mobility Systems und Artega / TMI (Tazzari). Die Unternehmen gehen per sofort getrennte Wege. Artega wird einen Kabinenroller basierend auf dem Microlino mit dem Namen "Karo" auf den Markt bringen dürfen und Micro wird seinen Microlino mit einem neuen Partner in Serie bringen.
"Das intensive Testen unserer 22 Vorserienfahrzeuge hat gezeigt, dass der aktuelle Entwicklungsstand noch nicht unsere Ansprüche hinsichtlich des Fahrverhaltens, Qualität und der Sicherheit erfüllt und wir technisch Einiges abändern müssen", so Firmenchef Wim Ouboter. Um dies in möglichst kurzer Zeit zu schaffen, hatte das Unternehmen im September 2019 Peter Müller als Technikchef verpflichtet. Peter Müller war unter anderem Manager bei BMW, Porsche und anderen Unternehmen aus der Automobil- und Motorradindustrie.
Als neuer Produktions- und Entwicklungspartner hat man das italienische Unternehmen CECOMP ausgewählt. CECOMP wurde 1978 von Giovanni Forneris gegründet und war als Modell- und Prototypenbauer in vielen diversen Fahrzeugprojekten involviert, darunter beim Lancia Delta Integrale. 2011 brachte das Unternehmen das von ihnen im Auftrag entwickelte und produzierte Elektrofahrzeug "Bluecar" auf den Markt, welches unter anderem in Paris für das von Bolloré betriebene Sharing "Autolib" im Einsatz ist. Das Unternehmen verfügt über fünf eigene Produktionsstätten in Europa für Prototypenbau sowie die Produktion von Klein- und Mittelserienfahrzeugen. Zudem ist das Unternehmen beteiligt an Icona, dem weltweit grössten Designunternehmen im Automobilbereich mit Büros in Turin, Los Angeles und Shanghai.
Aktuell liegen laut Micro über 16.000 Reservierungen für den Microlino vor. Trotz der Verspätung und den Wartezeiten gibt sich das Unternehmen zuversichtlich: "Letzten Endes werden die Kunden uns danken, dass wir diesen harten Entscheid gefällt haben. Wir sind ein Schweizer Familienunternehmen mit 20 Jahren Tradition in der urbanen Mobilität, das weltweit bekannt für innovative Produkte und hohe Qualität ist. Diesem Ruf wollen wir auch beim Microlino gerecht werden", sagt Oliver Ouboter. Sein Bruder Merlin fügt hinzu: "Der Microlino 2.0, wie wir ihn intern nennen, wird um ein Vielfaches besser sein als die aktuelle Version. Um Welten besseres Fahrverhalten, bessere Ergonomie, bessere Reparierbarkeit und auch in hohen Stückzahlen produzierbar. Die Geduld wird sich also lohnen, auch wenn wir es auch kaum erwarten können, den Microlino endlich in Serie zu bringen."
Und was macht Artega? Die Firma besitzt nunmehr die weltweiten Produktions- und Vermarktungsrechte an der sogenannten KARO-Isetta. Dahinter verbirgt sich das Microlino-Konzept, welches aber optisch voll auf die Nostalgie-Optik der BMW Isetta setzt. Die bis zu 90 km/h schnelle und mit über 200 Kilometer reichweitenstarke KARO-Isetta wurde offiziell gegenüber den Erben des Isetta-Vaters Ermenegildo Preti als Nachfolger der Iso Isetta anerkannt. Letztere wurde zwischen 1955 und 1962 von BMW in Lizenz gebaut.
Ab sofort werden Bestellungen für die zweisitzige KARO-Isetta angenommen; die ersten Auslieferungen sind für April 2020 vorgesehen. Parallel zur Aufnahme des Direktvertriebs über das Markenzentrum von Artega im nordrhein-westfälischen Delbrück wird ein weltweites Vertrieb- und Servicenetz aufgebaut.
Gemäß der außergerichtlichen Einigung hat Artega nun das Recht, die KARO-Isetta als eigenständiges Produkt herzustellen und zu vermarkten. „Am Ende hat sich bestätigt, was wir immer gesagt haben: Die Auflösung der Vertriebsvereinbarung ermöglicht es Artega, höhere Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen nach eigenen Vorstellungen zu realisieren. Artega kann nach Aufhebung der Wettbewerbsbeschränkungen endlich sein ganzes Potential ausschöpfen und schnell skalieren“, so Klaus Dieter Frers, Geschäftsführer der Artega GmbH.
Bildergalerie: KARO-Isetta
Das Fahrzeug verfügt nun über karosserieintegrierte LED-Scheinwerfer, kombinierte LED-Blinker und Tagfahrlichter im Frontbereich sowie LED-Rückleuchten. Die Typ 2-Ladestecker im Stil des Isetta-Tankdeckels befindet sich vorbildgerecht im Heck. Dort sorgt eine breite, klare Heckscheibe für guten Durchblick. Schnörkellose Formen wie etwa die abgerundete Fronttür zitieren das klassische Designvorbild. Die maximale Zulandung beträgt 200 Kilogramm.
Zur Markteinführung präsentiert Artega zwei Ausstattungslinien. Die "Intro"-Serie als limitierte Auflage sowie die flankierende "Edition"-Ausführung. Beide Linien weisen in Material und Design die Handschrift des Firmengründers auf, zudem trägt der Intro seine Signatur und eine individuelle Nummerierung. Beide Modelle sind in mehreren Lackierungen und einer exklusiven Velours-/Leder-Ausstattung erhältlich. Die limitierte Intro-Version kostet 21.995 Euro in Deutschland, die Edition-Variante wird ab 17.995 Euro erhältlich sein.
Wermutstropfen bei der KARO-Isetta und dem Microlino: Weil beide als Leichtfahrzeuge der Klasse L7e klassifiziert sind, kommen sie wie der Renault Twizy nicht in den Genuss der staatlichen Förderung für E-Autos.