Mittlerweile wird ja so gut wie alles, was vier Räder hat, zum SUV umoperiert. Wie konnte es soweit kommen? Werfen wir dazu einen Blick in die unschuldigen Anfangszeiten dieser Fahrzeuggattung. Speziell deutsche Premiumhersteller, in deren Chefetagen man immer den US-Markt im Blick hatte, preschten beim Thema SUV vor: Mercedes brachte 1997 den ML heraus, BMW konterte ab 1999, also vor genau 20 Jahren, mit dem ersten X5. Zum Jubiläum waren wir in einem der stärksten Vertreter der Baureihe E53 unterwegs, dem X5 4.6is. Hat dieses Fahrzeug schon Klassiker-Qualitäten? Soll man gar von einem künftigen Oldtimer sprechen?

Aber der Reihe nach: Vom Start weg setzte BMW beim X5 auf viel Hubraum, im Gegensatz zur heutigen Konzernpolitik lief damals nix unter sechs Zylindern und drei Liter Hubraum. Nicht umsonst hatte man das Werk für den X5 im US-amerikanischen Spartanburg hochgezogen, wo heute auch X6 und X7 vom Band laufen. Im Zweifelsfall würden die Amis schon den 4,67 Meter langen X5 kaufen, falls die Europäer nicht auf den SUV-Zug springen würden. Doch das taten sie. Und zwar so überzeugend, dass in den 2000er-Jahren immer mehr X-Baureihen auf den Markt kamen. Anteil der X-Modelle am BMW-Programm 2018: fast 40 Prozent.

Das Topmodell des ersten X5 war zunächst der 4.4i mit 286 PS starken V8. Basierend auf dem intern M62 genannten Aggregat legte BMW Anfang 2002 noch eine Schippe nach und brachte den X5 4.6is mit namensgebenden 4,6 Liter Hubraum und 347 PS unter der Haube. Damit war die Büchse der Pandora geöffnet: Große und schwere SUVs, die dank Sportwagen-Motoren auf Hochsitz-Rennwagen machen. So ist der BMW X5 4.6is quasi der geistige Vater des heutigen X5 M. Mit dem Unterschied, dass man sich vor 17 Jahren noch nicht traute, M dranzuschreiben.

BMW X5 4.6 iS

Auf jeden Fall haut "mein" X5 4.6is gewaltig auf den Putz: Eine knallrote Lackierung, dazu ein passender Innenraum, als wäre dort ein Lippenstift explodiert. Wohin mein Auge auch wandert: Überall rote Akzente. Sehr rote. Wer zum Teufel hat sich damals seinen X5 so konfiguriert? Ein extravaganter Künstler? Eine Milieu-Größe? Wohl eher BMW selbst, denn dieser 4.6is ist gerade einmal 1.679 Kilometer gelaufen. Vermutlich nutzte man ihn als Schaustück, um die Möglichkeiten der "BMW Individual Collection" und ihrer "exklusiven Außenfarben" (O-Ton BMW im Jahr 2002) zu zeigen. Immerhin: Die 20-Zoll-Felgen mit 315er-Bereifung hinten waren beim 4.6is stets serienmäßig.

Schon allein durch die krasse Farbgebung qualifiziert sich der Wagen locker als sammelwürdiger Youngtimer, hinzu kommt, dass es den X5 4.6is nur gut anderthalb Jahre gab, ehe ihn der 360 PS starke 4.8is beerbte. Als mir aus dem Oldtimer-Tross mit 1959er-Mini oder BMW 3.0 CSL ausgerechnet der X5 für die erste Etappe zugelost wird, denke ich mir: Aufregend kann das doch gar nicht werden. Schließlich kenne ich noch den E53 als Neuwagen. Aber gut, beschweren ist nicht, also entere ich den "Roten Baron".

BMW X5 4.6 iS

Innen überzeugen die damals verwendeten Materialien, wobei sich dieses Auto aufgrund der geringen Laufleistung praktisch wie ein Neuwagen anfühlt. Billig war der X5 4.6is anno 2002 in keinster Weise: 78.200 Euro, mehr als drei 316i, kostete er damals. Selbst zum daneben existierenden X5 4.4i betrug der Unterschied satte 20.000 Euro. Hinzu dürften noch einige der damals neuen Euros mehr überwiesen worden sein, denn das Fahrzeug hat die große Radio-Navi-Einheit an Bord. Sie ist sehr eigenwillig zu bedienen: Als ich einen der Knöpfe drücke, klappt der Bildschirm ein und gibt den Zugang zum Cassettenschacht (!) frei. Dafür funktioniert die Navigation immer noch bestens, sofern man sich an den grobpixeligen Bildschirm gewöhnt. BMW hatte jedenfalls gute Gründe, etwa zeitgleich den iDrive-Controller im 7er einzuführen.

BMW X5 4.6 iS

Nun aber los! Nach Drehung des Schlüssels (ja, ein echter Schlüssel mit Bart!) grollt der V8 voller Vorfreude auf. Das M62B46 genannte Triebwerk ist ähnlich dem Motor aus dem damaligen Alpina B10, auch die Maschine des M5 (E39) entstammt der M62-Familie. Mit einer Gedenksekunde setzt sich der X5 4.6is in Bewegung, obwohl BMW seinerzeit die sportliche Programmierung der Fünfgang-Automatik anpries. 

Bevor ich es wage, voll auf den Stempel zu drücken, betrachte ich mir die Leuchtdioden im Drehzahlmesser. Erst wenn der Motor warmgelaufen ist, darf ich in die wirklich hohen Bereiche vorstoßen. Muss ich aber nicht, denn obwohl hier noch kein Turbo an Bord ist, werden bereits bei 3.700 Umdrehungen die maximalen 480 Newtonmeter Drehmoment bereitgestellt. Guter alter Maschinenbau ohne Downsizing und sonstwas für Lader schiebt den X5 4.6is vorwärts, nach 6,5 Sekunden fällt die 100 km/h-Marke. Wird der Wagen so gefordert, klingt der V8 büffelig-amerikanisch, im Normalfall dominiert hingegen Laufruhe.

BMW X5 4.6 iS

Sagte ich gerade amerikanisch? Man spürt beim ersten X5, dass er noch recht stark auf die US-Kundschaft hin ausgelegt war. Die Lenkung agiert eher indirekt und das Gewicht von mindestens 2,1 Tonnen vereitelt trotz Allradantrieb flotte Kurvenjagden. Immerhin: Das Fahrwerk des 4.6is wurde straff ausgelegt, außerdem führte BMW extra die Antriebswelle für die Vorderräder durch die Ölwanne, um einen tiefen Schwerpunkt zu erreichen. Typisch für Youngtimer rund um das Jahr 2000: Die elektronischen Helfer griffen um sich. ADB-X nennt sich die elektronische Differentialsperre im X5 4.6is, die in das bei BMW DSC genannte ESP integriert ist. Auch eine Bergabfahrhilfe war an Bord. Ist jemals ein 4.6is-Besitzer auf einen Berg gefahren?

Bildergalerie: BMW X5 Le Mans (2001)

Bemerkenswert ist der "M ohne M" jedenfalls allemal, wenngleich nicht so irre wie das Teil, in dem Hans-Joachim Stuck im Juni 2001 die Nordschleife des Nürburgrings in 7.49,92 Minuten umrundete. Wo heute jedes siebensitzige Diesel-SUV um die Wette fährt, stampfte damals das Experimentalfahrzeug X5 Le Mans mit einem über 700 PS starken V12 um den Ring. Der Monstermotor stammte aus dem Le-Mans-Siegerauto von 1999 und machte Stucks X5 bis zu 309 km/h schnell. Dieser X5 war definitiv ein "Sports Activity Vehicle".

Bildergalerie: Zeitreise: Unterwegs im BMW X5 4.6 iS (2001)