Ich muss zugeben: Dieses Auto gehört nicht zu denen, die man spontan als wunderschön ins Herz schließt. Zu schräg wirkt der Citroën Ami 6 auf den ersten Blick. Und doch weckt die kleine Franzosen-Limousine aus den 1960er-Jahren von Minute zu Minute mehr Sympathien bei mir. Man möchte fast sagen: Ein Typ wie Udo Lindenberg: Keine Naturschönheit, aber ein authentischer Typ mit vielen inneren Qualitäten. Zum 100. Geburtstag der Marke Citroën konnte ich den Ami 6 fahren.

Lassen Sie uns aber zuvor kurz zurückblicken: Nach der Premiere der legendären DS im Jahr 1955 klaffte im Citroën-Programm eine fette Lücke zwischen 2CV und DS. Gleichzeitig wurden die Kunden wohlhabender, ohne hingegen gleich so viel Geld zu haben, um sich eine DS leisten zu können. Die Lösung für markeninterne Aufsteiger hieß Ami 6. 

 

Der Ami 6 verdankt seinen Namen dem Wunsch der Marke Citroën, mehr Frauen und Städterinnen als Kunden zu gewinnen. Das französische „Ami six“ (die 6 steht auch für den Hubraum) wurde daher bewusst als Wortspiel zum englischen „a Missis“ gewählt. Begleitet wurde die Markteinführung in Frankreich zudem von Werbeplakaten, die auf eine weibliche Zielgruppe ausgelegt waren. Damit nicht genug: "Ami" ist auch das französische Wort für "Freund".

Als Überraschung und echte Neuheit präsentierte Citroën der internationalen Fachpresse am 24. April 1961 auf dem Flugplatz von Villacoublay den Ami 6. Nur wenige Wochen später, am 9. Juni 1961, feierte die kleine Limousine ihre vielbeachtete Premiere im deutschen Händlernetz. Die Karosserie des Ami 6 mit den stark akzentuierten Linien und der nach hinten geneigten Heckscheibe sorgte für großes Aufsehen. Dabei hatte Designer Flaminio Bertoni die Vorgabe, ein Fahrzeug mit einem großen Kofferraum, einer optimalen Raumnutzung und Komfort für alle Passagiere zu entwickeln – und dies, ohne ein Kombi und nicht länger als vier Meter zu sein − perfekt umgesetzt. Bertoni, der auch die DS gestaltet hatte und 1964 starb, sah den Ami 6 als seinen gelungensten Entwurf an. Das mag verwundern, doch strenge Vorgaben gekonnt zu erfüllen, mag für manchen Designer befriedigender zu sein, als völlig freie Hand zu haben.

 

Also nichts wie hinein in den 3,91 Meter langen Ami 6: Hinten habe ich mit meinen 1,88 Meter nicht gerade viel Beinraum, aber tatsächlich eine gute Kopffreiheit. Clever gemacht, die Nummer mit der Heckscheibe. Dazu sitze ich vorne wie hinten auf sofaartigen Polstern. Nach links und rechts wird es dagegen ziemlich kuschelig, kein Wunder bei einer Fahrzeugbreite von nur 1,52 Meter.

Zeitreise: Unterwegs im Citroën Ami 6

Bereits im September 1961 wurde der Citroën Ami 6 um hintere Schiebefenster und einen von außen zu öffnenden Kofferraumdeckel ergänzt. Die neu konstruierten rechteckigen Scheinwerfer sorgten für eine um 26 Prozent höhere Lichtausbeute als die konventionellen runden Scheinwerfer.

 

Während der Innenraum des Citroën Ami 6 stark an das Interieur der DS erinnerte, war die Technik vom Citroën 2CV abgeleitet – so basierte unter anderem der luftgekühlte Zweizylinder-Boxermotor auf der Motorisierung der legendären „Ente“ und wurde für den Citroën Ami 6 auf 602 Kubikzentimeter mit 21 DIN-PS (16 kW) bei 4.500 U/min vergrößert. Die Spitzengeschwindigkeit betrug 105 km/h, der durchschnittliche Verbrauch lag bei 6 Liter/100 km. Im September 1963 erweiterte Citroën das Motorenangebot für den Ami 6 um ein stärkeres Triebwerk mit 24,5 PS (18 kW). Eine nochmals stärkere Motorisierung mit 32 PS (23,5 kW) folgte ab Modelljahr 1968.

Unter der Haube "meines" Autos arbeiten die erwähnten 24,5 PS, sie treffen allerdings auch auf nur 620 Kilogramm Auto. Das Cockpit ist schlicht, aber doch wesentlich schicker als im 2CV, die DS-Anleihen sorgen für viel Zeitkolorit. Wichtigstes Element ist die Revolverschaltung wie in der Ente. Auch im Ami 6 lautet die Devise also: Rausziehen, reinschieben, zur Seite drücken. Nach einigen Metern habe ich den Bogen heraus und wir gondeln gemütlich durch einen Vorort von Paris. Aus Kostengründen hat der Ami 6 keine Hydropneumatik, dafür ein Fahrwerk mit langen Federwegen. Gemütlichkeit ist Trumpf, einzig der typisch schnatternde Klang des kleinen Boxers könnte etwas dezenter sein. Nun gut, das ist die Sichtweise von 2019, in den 1960er-Jahren kümmerte das niemanden. Ganz im Gegenteil: 1966 avancierte der so bizarr anmutende Ami 6 mit 162.366 Zulassungen zum meistverkauften Auto Frankreichs.  

 

Nach der viertürigen Limousine präsentierte Citroën 1964 auf dem Pariser Automobilsalon die Kombivariante, den Citroën Ami 6 Break. Abgeleitet von der Limousine verfügte dieser über dieselbe Technik, bot jedoch mehr Einsatzmöglichkeiten. Zwei Ausstattungen – Tourisme und Confort mit vier oder fünf Plätzen – und eine Nutzfahrzeugversion „Service“ standen zur Wahl.

Nachdem die ersten 600 Ami 6 noch in den Panhard-Werken gebaut worden waren, konnte die Produktion im neuen Citroën Werk in Rennes-la-Janais (Bretagne) starten. Bis zum Ende der Produktion 1969 wurde der Ami 6 dort über eine Million Mal hergestellt. In Deutschland wurden über 10.000 Fahrzeuge zugelassen, ehe der Citroën Ami 6 im März 1969 vom optisch konventionelleren Ami 8 abgelöst wurde. Der Ami 8 hatte einen Vierzylinder unter der Haube, mit dem später auch der GS unterwegs war. Basierend auf dem Ami 8 entstand Ende 1969 noch ein ganz spezieller Typ: Der M 35 war ein Versuchsträger mit Einscheiben-Wankel, 267 Exemplare wurden zu Testzwecken an besondere Kunden verteilt.

 

Lust bekommen auf einen Ami 6? Dann sollten Sie etwas mehr Zeit bei der Suche einplanen. In Deutschland sind Ami 6 äußerst selten geworden, besser sieht es in Holland und Frankreich aus. Dort finden sich auch Anbieter für Ersatzteile, die Versorgung für den Ami 6 ist nämlich nicht so rosarot wie beim 2CV. 

Im März dieses Jahres kehrte übrigens der Name Ami zurück. Auf dem Genfer Automobilsalon präsentierte Citroën das elektrische Ami One Concept, es verkörpert eine "Vision von urbaner Mobilität". Das Ami One Concept wurde als emissionsfreie Alternative zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Zweirädern oder Scootern entwickelt und bietet neben einem kompakten, symmetrischen Design Platz für zwei Personen. Es kann − je nach Gesetzgebung des jeweiligen Landes – von jedem, der mindestens 16 Jahre alt ist, gesteuert werden; der Zugang zu den verschiedensten Carsharing- oder Mietangeboten erfolgt per App. Man darf gespannt sein, was daraus wird.

Bildergalerie: Zeitreise: Unterwegs im Citroën Ami 6